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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Vorzeichen

(Geschrieben im Januar 1848.)

Wenn sich der Untergang auf Staat und Haus gerüstet,
So schickt er seinen Herold erst voran,
Dem's nach der Umkehr des Gewordnen lüstet:
Den Wahnsinn, der den Sinn verkehrt in Wahn.

Der schlägt den Mörtel ab und löst die Fugen,
Damit des Meisters Arbeit leicht und kurz,
Die Stützen wanken, die den Giebel trugen,
Und weithin donnere der jähe Sturz.

Da ist ein zwecklos Rennen, thöricht Schaffen,
Ein Fliehen und ein Suchen auch der Noth,
Man zahlt mit Gold und schärft die schneid'gen Waffen,
Die färben soll des Eigners eigner Tod.

Wie Robeam, als, die beim Volk in Ehren,
Den Steuerdruck ihm klagten als verhaßt,
Ausrief: den Zoll ums Doppelte zu mehren,
Sein Finger wiege gleich der sonst'gen Last.

Als vor Byzanz die Moslim schon zu schauen,
Und Einigkeit zu retten nur vermag,
Da stritten sich die Grünen und die Blauen;
Die Schwarzen ohnehin bis diesen Tag.

Wenn nun ein Letztes hinweist auf die Frühern,
Ist auch ein Früh'res nur weil eins zuletzt,
Und hörst du erst des Wahnsinns Lache wiehern,
Klingt's mit des Unheils Weinen schon versetzt. - -

Ich weiß ein Land, das lag so unbeweglich,
Es regte kaum die Glieder wie ein Wurm,
In Ringen schob sich's nach der Nahrung täglich,
Die Zeit war nur ein Glockenschlag vom Thurm.

Die nächste Nähe lag auf hundert Meilen,
Die Dämmrung gab noch viel zu helles Licht,
Das Höchste schien des Niedern Schmach zu theilen,
Und Ruhe war nicht bloß der Bürger Pflicht.

Da bäumt sich's plötzlich auf wie böse Fieber,
Ein schaurig Wehen geht durchs ganze Land,
In Wellen steigt's und stürzt sich brandend über,
Gelöst ist des Gewohnten altes Band.

Das matte Aug' strengt an die blöden Sterne
Und sucht des Uebels Keim, der gar zu nah',
Mit leerem Grübeln in der weiten Ferne,
Erforscht, was wird, und nicht, was längst geschah.

Die bösen Fugen, die die Zeit gelichtet
Und die die Trägheit kaum noch hielt in Haft,
- Laßt sehen, ob ein Anstoß sie verdichtet,
Der Widerstand verdoppelt ja die Kraft!

Stört sie im Schlaf der Feile dumpfes Nagen,
- Theilt andern mit des eignen Volkes Druck!
Die Kette, weiß man, wenn sie Alle tragen,
Ist sie nicht Kette mehr, sie wird zum Schmuck.

Es mangelt Geld - geht bei dem Wucher borgen,
Ist Haben doch und Sollen beides Geld,
Verzehrt im Heute alle künft'gen Morgen,
Denn morgen ist das Ende ja der Welt.

Klagt euch das Denken seiner Freiheit Schranken,
- Ruft einen Büttel, der noch eng're gibt!
Der Krone Vorrecht seien die Gedanken,
Ein Vorrecht, das man freilich sparsam übt.

Doch halt! sie denken. Die in bessren Zeiten
Von Schlauheit nur und Selbstsucht ein Gemisch,
Sie fangen an im Schulgezänk zu streiten,
Und zum Katheder wird der Aktentisch.

Vom Weltplan, von des Urvolks erstem Wandern,
Von Gott, der sie hausväterlich gesetzt,
In Häuser, die das Eigenthum von Andern,
Die andrer Väter Söhne auch zuletzt.

Ist das der Wahn nicht, der bethört die Sinne,
Und ist der Wahnsinn nicht der Untergang,
Wenn er befällt die Wächter auf der Zinne,
Die schützen sollen vor des Unheils Drang?

Das Unheil aber naht, so muß ich meinen,
Der Einsturz folgt, wenn erst kein Widerstand,
Die Tollheit hör' ich lachen, ich muß weinen,
Denn ach, es gilt mein eignes Vaterland.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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