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Franz Grillparzer
Gedichte
. 1872
An der Wiege eines Kindes
Da liegt sie, eingehüllt,
Die hülflose Kleine!
Eine Blume an Schönheit,
Und an Bewußtlosigkeit, daß sie schön.
Ein leeres Blatt die Seele;
Die Sinne, Griffel ohne Führer;
Der Verstand, ein Schreiber, tief im Schlaf.
Kein Geist rief noch: es werde Licht
Ueber der dunkeln Urnacht;
Und Mensch- und Thierheit streiten
Wem sie gehört.
Sie lächelt. - Warum?
Sie weint. - Weßwegen?
O laßt sie weinen, lächeln ohne Grund;
Gebt diese Kunst ihr mit ins Leben!
Der beste Grund zum Frohsinn ist der Frohsinn,
Und mög' auch künftig, wenn sie weint,
Nie das Bewußtsein sagen ihr, warum.
Wie rein die Stirne sich hebt,
Die Wangen strotzend leuchten,
Die Unterlippe, als zum Kuß geformt,
Ein Rosenblatt sich schwellend hebt,
Vom Oberlippchen zierlich überrandet,
Und Wang' und Kinn mit ihren Grübchen
Zur strengen Schönheit fügen süßen Reiz.
Du bist schön, o Kleine,
Und wirst es mehr noch sein, wenn nicht mehr klein!
Sei mir gegrüßt, Gesegnete der Götter!
Denn, wahrlich, Schönheit ist der Götter Segen!
So ausgeschieden sein vom Niedern und Gemeinen,
Am Fuß der Himmelsleiter hingestellt,
Die von der Erde aufsteigt zu den Göttern.
Und einen ew'gen Mahner an der Seite,
Der leise ruft: Zerstör' mich nicht!
Das Schöne, es ist gut, und schön das Gute!
Und so wirst du auch gut sein, gut wie schön,
Und klug wie beides, und verständig;
Des Vaters Aug' in deiner klaren Stirn,
Es wird von Recht einst sprechen, wie in seiner;
Der Mutter Mund ob deinem weichen Kinn,
Es wird von Geist ertönen, wie bei ihr,
Und fester Sinn wird thronen in den Brauen.
Was lächelst du? als hättest du vernommen
Der allzuraschen Lippe weihend Lob;
Ich sage dir, die Güte, die dich schmückt,
Sie wird dir einst der Thränen mehr entpressen,
Als die Vergehung weinet und der Schmerz;
Und des Verstandes Fackel wird dir leuchten,
Da, wo du wünschtest lieber blind zu sein,
Und spotten werden dein die andern Blinden.
Doch immerhin! laß beide strahlen,
Erwärmend und erleuchtend für und für!
Thu dir genug, so thust du's auch der Welt,
Und so geh ruhig deinen stillen Pfad!
Und wenn du einst am Rande deiner Bahn,
Gebettet in der Schwachheit Schaukelwiege,
Und eingewickelt in des Alters Binden,
Zum zweitenmal ein Kind, stillathmend ruhst,
So gebe gnädig dir ein güt'ger Gott,
Daß du auch lächeln könnest, dann, wie jetzt,
Dem Eintritt in ein noch verhülltes Leben!
Franz
Grillparzer . 1791 - 1872
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