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Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Des Kindes Scheiden

Ueber des Bettes Haupt flog säuselnden Fluges ein Engel,
Und des Unsterblichen Blick fiel auf das schlafende Kind.
Wie sein eigenes Bild im Spiegel silberner Wellen,
Lächelt freundlich und hold an ihn die süße Gestalt.
Leise sinkt er herab, sich freuend der lieblichen Täuschung,
Und tritt luftigen Schritts neben das schlafende hin.
Ach! es schlummert so süß, und Unschuld und himmlischer Friede
Säuseln im Athem des Munds, ruh'n auf der silbernen Stirn,
Kräuseln zum Heiligenschein des Hauptes goldene Locken,
Ruh'n, wie ein Lilienzweig, in der gefalteten Hand.
Freundlich lächelt der Engel; doch bald umwölkt sich sein Antlitz,
Trüb, mit brütendem Ernst, wendet er seufzend sich ab.
Er überschauet im Geist den Sturm der kommenden Tage,
Dem die Eiche nur steht, welcher die Blume zerknickt;
Rauschen hört er des Unglücks seelenmordende Pfeile,
Wider die Unschuld und Recht, nur ein zerbrechlicher Schild;
Thränend sieht er das Aug', das weich die Wimper bedecket,
Und zerschlagen die Brust, die jetzt athmend sich hebt.
Banges Mitleid erfaßt die Seele des himmlischen Boten,
Fragend sieht er empor, und - der Allmächtige nickt.
Da umfängt er den Nacken, und küßt die zuckenden Lippen;
Spricht: "Sei glücklich, o Kind!" - und - die Kleine war todt.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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