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Franz Grillparzer
Gedichte
. 1872
Die Viel-Liebchen (Philippchen) der Doppel-Mandeln
Zwillingskinder eines Stengels,
Zwillingsschwestern einer Schale,
Liegen wir geschmiegt beisammen,
Zwei in Einem, Eins in Zweien,
Als ein Sinnbild wahrer Liebe,
Als Symbol der festen Treue.
Der du unsre Schale brichst!
Hüte dich, uns je zu trennen,
Noch zu theilen unsre Hälften:
Oder willst du's doch, so thu' es
Nie mit einem, dem du abhold,
Den du möchtest flieh'n hinfürder.
Denn, o wiss' es nur, du Kühner!
Wir, gezeugt in einem Schooße,
Und gewiegt in einer Wiege,
Und getraut zu einem Bette,
Ob man uns auch theilt und scheidet,
Suchen stets uns zu vereinen.
Aus den Augen, von den Lippen
Dessen, der von uns gekostet,
Ruft das Eine zu dem Andern:
Hörst du Liebchen? mein Viel-Liebchen!
Komm und tröste den Verlass'nen,
Komm und hilf ihm, der verwaist.
Und das Liebchen hört die Stimme;
Ueber Hügel, über Berge
Treibt es den, der sie empfangen,
Hin zur schwergetheilten Hälfte,
Hin zu dem oft längst Vergess'nen,
Der die Frucht mit ihm getheilt.
Und da stehn die beiden Menschen,
Sehen tief sich in die Augen,
Fühlen mächtig sich gezogen,
Wissen nicht, wie das geschehen,
Können nimmer sich verlassen,
Müssen fürder einig gehn.
Drum ihr Fremden, Ungeweihten!
Seht ihr je sich Zwei umfassen,
Die die Doppelfrucht getheilet,
Denkt nur, es sind nicht sie selber,
Nicht die Menschen, die sich küssen,
Die Viel-Liebchen küssen sich.
Franz
Grillparzer . 1791 - 1872
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