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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Franz Grillparzer
Gedichte . 1872



Sinngedichte und Epigramme

(Vermischten Inhalts.)


Jeder Muse ein Gebiet ist zugefallen
Vom Bildungskreis als ein Vermächtniß,
Doch der Geschichte, die Mutter von allen:
Mnemosyne - das Gedächtniß.



Historische Schule.

Wenn ihr aus der Geschichte Gott studirt,
Ist die Aussicht eine geringe,
Studirt aus ihr nur, wie sich's gebührt,
Die menschlichen Dinge.

Denn im Verstehn von Gottes Art
Sind wir und bleiben Kinder.
Er straft vor allem die Dummen hart,
Die Schlechten - minder! -



Die Weltgeschichte, die sich dünkt was rechtes,
Ist die Zoologie des Menschengeschlechtes.



Historiker.

1.
Die Geschichtschreiber waren sonst befangene,
Die neue Zeit gab neue Richte,
Wir schreiben nicht mehr die vergangene,
Wir schreiben künftige Geschichte.


2.
So einem historischen Tropf
Läßt der Fortschritt keine Ruh,
Er stellt das Alte auf den Kopf
Und endlich das Neue dazu.



Conjektural - Geschichte.

In aller Menschheit Urzustände
Tragt ihr eures Geistes Licht,
Doch sieht man nicht die Gegenstände,
Man sieht nur euer Licht.



Eure Geschichtsforschung im letzten Ausdruck
Ist nichts als Urkunden - Naturselbstdruck.



Urkundensammlungen.

O weh, o weh, ich arme Geschichte!
Was fällt auf mich das Material so dichte,
Alle meine Glieder liegen d'runter begraben,
Will doch wenigstens den Kopf frei haben,
Zwar das Denken ist jetzt entbehrlich für Jeden,
Brauch' aber höchst nöthig das Maul zum reden.



Die griechischen Mythen und ihr Wesen
Wird zu erklären niemals glücken,
Einen verschlungenen Faden kann man lösen,
Eine Stickerei aber nur zerpflücken.



Man spricht jetzt viel von dem Glauben:
Der Eine wünscht zu glauben,
Der Andre glaubt zu glauben,
Der Dritte hat den Glauben,
Allein der Glaube hat Keinen.
Was mein ist, ist nur Meinen.



Glaube.

Der Ungläubige glaubt mehr, als er meint,
Der Gläubige weniger, als ihm scheint.



Proselytismus.

Warum zu ihrem Glauben
Sie gern Genossen nehmen?
Vielleicht um in der Menge
Sich weniger zu schämen.



Das gebildete Christenthum.

Homöopathie und Magnetismus,
Sind die Stufen zum Pietismus,
Aus lächerlich Kleinem und Clairvoyance
Erwächst die riesige Obscuranz.



Physiko-Theologisch.

Unser Gott ist ein greifbares Faktum,
Wir nehmen vorerst den Darm als Abstraktum,
Und stopfen demnächst vom wirklichen Schwein
So Fleisch als Fett und Blut hinein,
So füllt sich die Leere, wird straff und stät,
Das schlotternde Absolute concret.



Religionsbestrebungen.

Ihr erkennt die Krankheit der Zeit
Und seid mit dem Heilmittel bereit,
Allein was in Loth und Gran gesund,
Davon tödtet den Kranken ein ganzes Pfund.



Das Weltgericht mit Straf' und Lohn
Verficht der Schule Wortgetümmel,
Die Hölle ist bewiesen schon,
Beweist nur noch den Himmel!



Feindesgefahr.

Die Hilfe Gottes, muß ich vermuthen,
Liegt für uns heut' ein wenig im weiten,
Denn nach diesem Leben hilft er den Guten,
In diesem Leben den Gescheidten.



Ihr sorgt für unsern bessern Theil,
Ihr Hohen, halb Männer, halb Weiber,
Gesichert ist unser Seelenheil,
Wer fragt da noch viel um die Leiber.



Als Sinnbild des Bodens, auf dem ihr steht,
Scheint Petrus vor allen geeignet,
Da, eh' nur einmal der Hahn gekräht,
Er dreimal den Herren verleugnet.



Die Schweizer.

Man fragt, ob ihr denn Deutsche seid?
Ich glaub' es nun und nie:
Ihr triebt die Jesuiten aus,
Wir schreiben gegen sie.



Die Büßende.

Der frommen Buße Dauer zu vermehren,
Wie einst Penelope im Freierhauf -
Was du bei Tag erwirkt an Kirchen und Altären,
Trennst du bei Nacht geduldig wieder auf.



Namensunterschied.

Was nennt ihr nicht von Christus euch,
Warum mit Jesus brüsten?
Weh! daß ihr Jesuiten seid,
Indeß wir Andern Christen.



Irgendwo und Irgendwann.

Das Werk von Weibern und Kindern,
Zum Weinen oder zum Lachen:
Uns in diesem Leben zu plündern,
Und im andern uns selig zu machen.



Kirchliche Charakterköpfe.

Der heilige Aloysius und der selige Sarkander,
Dabei der Apostel Judas. -
Judas? rufen sie unter einander,
Ist der das? bist du das?



Die Weiber, die Kinder, die Tyroler und die Pfaffen,
Wollen uns ein neues Gottesreich erschaffen,
Doch der Gott in ihrem Gottesreich
Sieht Weibern, Kindern, Pfaffen und Tyrolern gleich.



Als Christus die Verkäufer aus dem Tempel trieb,
Mit Knüttelschlag und Peitschenhieb,
Da riefen die Schächer besorgt um ihr Leben:
Das klagen wir eilig bei der Stadt,
Die hat uns zum Wucher ein Recht gegeben,
Wir haben ein Concordat.



Die spanische Inquisition
Taugt nicht in unsern Tagen,
Ihr müßt euch begnügen schon,
Die Andersgläubigen sonst zu plagen.



Zu wissen drängt euch euer Gemüth,
Was nach dem Tode soll geschehen,
Ihr wißt ja nicht, was morgen geschieht,
Und wollt so viel weiter sehen?



Geologisch.

Euer geschmolzener Erdkern,
Liegt wohl von der Wahrheit ziemlich fern,
Wäre Schönheit, Frucht und Ernährung,
Abhängig vom Rest der frühern Zerstörung? -
Die Erde ist Segen in Schale und Kern,
Die Wärme: der zeugende Athem des Herrn.



Naturwissenschaften.

"Der Mensch wird doch täglich gescheidter,"
Zuletzt ist doch vieles nur Schein;
"Zum wenigsten kommen wir weiter!"
Ja, weiter in den Wald hinein.



Neueste Physiologie.

So denkt und wollt, womit's euch gefällt,
Wo möglich mit dem Bauche,
Die Wunden unsrer siechen Welt,
Erzeugen Materie und Jauche.



An **

Es sei der Lehrstand nicht genug geehret,
So spricht die Welt: O weit entfernt!
Man schätzet den, der was gelehret,
Weit mehr als den, der was gelernt.



Thierschutzverein.

Wie weit verbreitet sind des Wohlthuns Triebe,
Man schützt die Thiere selbst - aus Nächstenliebe.



Die Furien waren Menschen wie wir,
Und als noch im Besitze irdischer Leiber,
Waren sie herzensgute Weiber,
Nur glaubten sie auch schon hier,
Die Güte, wie meldet ein alter Erzähler,
Sei ein Freibrief für alle Fehler.



Reisebeschreibung.

Wie sie nach Italien wandern,
Läßt's beim Eindruck keiner bleiben,
Jeder sieht nur, was die Andern,
Und will doch was anders schreiben.



Zwischen nichts wissen und Nichtswissen,
In diese zwei Theile ist die Menschheit zerrissen.
Aber Nichtswissen
Ist fruchtlos bis zum Tode beflissen,
Indeß nichts wissen
Ein gottgefälliges Ruhekissen.



Antwort.

Ob es jetzt noch Geister gibt?
Je nachdem du's nun erkennst:
Wenn du Geist und Fühlen trennst,
Bleibt nur Leib und ein Gespenst.



Vertreibt die Phantasie
Nicht aus der Poesie!
Sie läßt den Menschen nie
Und flüchtet, stört ihr sie,
Bis in die Nationalökonomie.



Dem Finanzmann.

Bei allen Dingen in der Welt
Ist die Uebung ein großer Lehrer;
Nur bei Anleh'n ist's anders bestellt,
Die werden, je öfter, je schwerer.



Einem Banquier, der die Armen beschenkte.

Im Schenken ohne Maß, beim Darleih'n klug bedacht,
Erquickst du Bettler heut', die gestern du gemacht.



Ein Ochs ging auf die Wiese,
Wo er nach Kräften fraß,
Da waren Blumen und Kräuter,
Es kümmert ihn nicht weiter,
Für ihn war alles Gras.



Zu einer Biographie Götz von Berlichingens.

Das Faustrecht gilt noch heut', die Faust bestimmt das Recht;
Doch weil gebildet auch das Schmutzgeschlecht,
Zog sich der Muth vom Herzen ins Gehirn,
Statt eiserner Hand die eiserne Stirn.



Amor als Schwabe.
(An eine Tänzerin Therese Heberle.)

Freund Amor, sag', was sicht dich an?
Du sprichst ja wie ein Schwäberle:
Ob Adelung auch bebe,
Nennst du die Rose: Reserle,
Und: Heberle die Hebe.



Glückwunsch.
An den Herrn Hofconcipisten *** bei Erhaltung des Lilienordens.

Wie passend schmückt dich der Lilie Zier,
Sie wird zum symbolischen Zeichen an dir,
Wie ähnlich seid ihr euch Beide!
Wer denkt nicht an das, was die Bibel spricht:
Die Lilie sie ackert und spinnet nicht,
Und prangt doch in köstlichem Kleide.



Mein Freund, Sie sind ein Bösewicht!
Zwar gar so böse sind Sie nicht.
D'rum bleiben einfach wir beim Wicht.



Jubelfeier.

Der Mann bracht' es auf siebzig gar,
Das heißt: von seinem siebenten Jahr
Hat all sein Wirken, von Kind bis jetzt,
Nur eine Null ihm zugesetzt. -



Schüler und Schulmeister
Sind unsre großen Geister,
Schreien im Chorus sie,
Gibt's eine Akademie.



Ein Dummkopf bleibt ein Dummkopf nur,
Für sich, in Feld und Haus,
Doch wie du ihn zu Einfluß bringst,
Wird gleich ein Schurke d'raus.



Das Unmögliche wollen,
Das Undenkbare denken,
Und das Unsägliche sagen,
Hat stets gleiche Früchte getragen:
Du mußt, wenn die Träume sich scheiden,
Zuletzt das Unleidliche leiden.



Niemals Etwas, immer Ueber,
Ueber Etwas schreib mein Lieber,
So kommt Eignes zur Entfaltung,
Und das Fremde gibt die Haltung.



Such' nicht nach Gründen gar so weit,
Wo schon ein Grund die Wirklichkeit.



Unmündigkeit.

Wer nicht ausgetreten die Kinderschuhe,
Den klemmen sie ein bis zur Todtentruhe.



Jeder Irrthum hat drei der Stufen:
Auf der ersten wird er ins Leben gerufen,
Auf der zweiten will man ihn nicht eingestehn,
Auf der dritten macht nichts ihn ungeschehn.



Gesteh' dir's selbst, hast du gefehlt,
Füg' nicht, wenn Einsicht kam,
Zum falschen Weg, den du gewählt,
Auch noch die falsche Scham.



Zwei Leben lebt der Mensch, weh', wenn es anders wäre,
Das eine stirbt mit ihm, das andre bleibt: die Ehre.



Des Menschen ältestem, tiefinnerstem Sein,
Blieb treu nur die Frau auf die Länge,
Sie wirkt, was sie wirkt, durch sich selbst und allein,
Des Mannes Herr ist die Menge.



Der Tiefsinn wird gar leicht zum Stumpfsinn,
Der Scharfsinn artet oft in Witz,
Halt' immer dich an den Natursinn,
In ihm hat Groß und Kleines Sitz.



Gedächtniß.

Des Menschen Dasein, alt wie jung,
Lebt zwischen Hoffnung und Erinnerung.
Jung, sieht dem Wunsch er alle Pfade offen,
Und alt, erinnert er sich eben an sein - Hoffen.



Als Kind, als Jüngling, Mann und Greis
Verschieden um kein Kleines,
Nicht weil er handelt, weil er weiß,
Fühlt sich der Mensch als Eines.



Praxis.

Der Nachbar einer Frommen,
Des Philanthropen Kind,
Der Knecht des Liberalen
Drei harte Aemter sind.



Lebensregel.

Frei in unendlicher Kraft umfasse der Wille das höchste,
Aber zum nächsten zunächst greife bedächtig die That.



Wen immerdar man anders schaut,
Der macht mir bange.
Nur Ein Thier wechselt seine Haut,
Das ist die Schlange.



Antwort.

"Ich will" ist ein gewichtig Wort,
Spricht mit sich selbst der Mann;
Doch steht genüber er der Welt,
So gilt doch nur: "Ich kann."



Regel.

Willst die Bescheidenheit du des Bescheidenen prüfen, so forsche,
Nicht ob er Beifall verschmäht; ob er den Tadel erträgt.



Halt' dich entfernt, theil' dich nicht Jedem mit,
Und flieh die Schwätzer, Lung'rer, Schmecker,
Sieh nur, es ist ein kleiner Schritt,
Vom Teller- bis zum Speichellecker.



Mit drei Ständen habe nichts zu schaffen:
Mit Beamten, Gelehrten und Pfaffen.



Gewinnsucht und Eitelkeit
Sind die Werbofficiere der Schlechtigkeit,
Ist das Handgeld aufgezählt,
Nimmt Gewissen das Fersengeld.



Verlieren und Haben
Sind zwei, obgleich verschiedene Gaben.
Denn was der Mensch besitzt und hält,
Theilt er doch immer mit der Welt,
Erst an dem Tag, wo er's verloren,
Wird ihm zu eigen es geboren.



Mit einer Uhr.

Die Uhr, sie zeigt die Stunde,
Die Sonne theilt den Tag,
Und was kein Aug' erschaute,
Mißt unsers Herzens Schlag.



Inschrift auf eine Sonnenuhr.

Ihr Leuchten zeigt die Stunde,
Mich selber zeigt ihr Licht;
Mag auch das Wissen fehlen,
Fehlt nur die Weisheit nicht!



Fühlen und Denken, wenn man's erwägt,
Sind der Blinde, der den Lahmen trägt.



Lehre.

In seines Vaters Laden spielend fand ein Knabe
Ein Stück Arsenik. Hocherfreut
Ruft er: Sieh, Vater, was ich hier gefunden habe,
Welch' schöner Stein! Der Vater schaut und schreit,
Und reißt den Fund dem Knaben aus den Händen,
Halt, ruft er, lasse dich vom Schein nicht blenden,
Mein liebes Kind, das ist ein herber Stein,
Scheint anfangs süß und tödtet hinterdrein.



An Selenen.
Bei Zurückstellung des Buches "von der Nachahmung Christi".

Christus folgen? Wie mich's dränge,
Fruchtet doch mein Streben nichts;
Heimisch nur im Reich der Klänge,
Bin ich fremd im Reich des Lichts.
Meine Augen, wie erreichten
Sie ein Ziel, so hoch und fern?
Jene Strahlen, die dir leuchten,
Blenden meinen trüben Stern.
Doch hüllt Nacht mir Christus Pfade,
Klarer sind die Deinen mir,
Folg' du ihm, ich folge dir,
Dein Weg führt gewiß zur Gnade.



Ohne Geld und ohne Sorgen,
Gibt's ein Glück, das meinem gleicht?
Geld! Ei, Geld, das kann ich borgen,
Aber Frohsinn nicht so leicht.

Heute sorget ihr für morgen,
Morgen für die Ewigkeit,
Ich will heut' für heute sorgen,
Morgen ist für morgen Zeit.



Gleich und gleich gesellt sich gern,
Wer du bist, zeigt dein Begleiter,
Aus dem Knecht kennt man den Herrn,
Aus der Fahne ihre Streiter.
Was du billigst, ob nur fern,
Ist nach Tagen oder Wochen
Dein, als ob du's selbst gesprochen.



Wer jemals unrecht dir gethan,
Wird nimmer dir gerecht;
Sein Unrecht widert selbst ihn an,
Er setzt sich d'rum ins Recht.
Stellt dich so tief er irgend kann,
Denkt unwerth dich und schlecht,
Und ist nun ein gerechter Mann,
Sein Haß enthält sein Recht.


  Franz Grillparzer . 1791 - 1872






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