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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Dem Mai
Ich bring's dem Mai! Er hat ihn uns gegeben;
Ich bring's dem Mai, der lächelnd ihn gebar.
Für ihn seht mich dies Deckelglas erheben,
Es möge wandern durch die ganze Schaar,
Und Jeder soll mit keuschem Kuß der Lippen
An dieses vollen Glases Rande nippen.
Dann ist's geweiht, dann geh' es auf die Reise,
Ein sichtbar Zeichen uns'rer Lieb' und Treu';
Verbinden wird es diesem edlen Kreise
Den hohen Meister wieder frisch und neu;
Ein werthlos Glas-ihm wird es werth und theuer:
Es ist durchglüht von der Begeist'rung Feuer.
Ich bring's dem Mai auf seinem Blumenthrone,
Ich bring's dem Mai, umblüht von Wonnedust.
Er ist Tieck's Vater! Mög' er diesem Sohne
Nur Blüthen streu'n bis in die späte Gruft -
Mit Rosenbanden noch den Greis umwinden
Und immer jung in ihm sich wieder finden.
Der Mai und Tieck, sie werden ewig leben;
Ich bring's dem Mai, der lächelnd ihn gebar.
Hört Ihr da draußen alle Bäume beben? -
Die Nachtigallen - wie? - sie klagen gar? -
Jetzt stirbt der Mai und flüstert noch im Sinken:
Ihr müßt auf meines Ludwigs Leben trinken!
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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