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Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Der Greis

Mir ist so bang', mir ist so weh',
Ich find' ersterbend keine Ruh',
Eh' ich die Heimat wieder seh',
Wo ich die Jugend brachte zu;
Das Haus, worin die Eltern mein
Gelebt, geliebt, gewaltet haben,
Den Boden, wo man sie scharrte ein,
Den Garten, worin wir sie begraben;
Die Bäume groß, die mich als Kind
Wie grüne Throne hoch getragen;
Den Bach, der durch die Wiese rinnt;
Die Büsche, wo Nachtigallen schlagen;
Die Plätze, wo meine Träume geh'n
Und will auch Nachbars Kinder seh'n!"

Er macht sich auf der schwache Greis,
Die Sonne steht hoch, die Tage sind heiß,
Er schleicht mit fieberhafter Eile
So Schritt für Schritt, macht Meile für Meile;
Da er auszog drückte Sommer schwül,
Nun er anlangt weht der Herbst schon kühl.
Da ist er nun, da schaut er sich um, -
Sie kennen ihn nicht, betrachten ihn stumm.
Er tritt vor Nachbar's freundlich Haus,
Es blickt ein fremder Mann heraus.
Er fragt nach Nachbar und Nachbars Kind?
"Sie, sammt den Ihren verstorben sind."
Er kommt an's Grab der Eltern sein?
Versunken längst der Leichenstein.
Er sucht die Bäume fern und nah?
's ist Alles kahl, kein Baum steht da.
Er will zum Bach, zum kleinen Kahn? -
Der Bach folgt einer neuen Bahn:
Den haben sie mächtig eingeengt,
Zum Dienst in eine Fabrik gezwängt.
Er lauscht des Vogelsanges Schall?
In seiner Brust kein Wiederhall!
Er tritt in's Haus, wo er geboren?
Da steht er gar erst wie verloren:
Die Räume sind eng, die Zimmer so klein,
So anders, - er weiß nicht aus, noch ein.
Er wankt davon, er schüttelt sein Haupt:
"Mein Gott, wer hätte das geglaubt?
Die Heimat? Das?" - Seufzt O und Ach,
Des Ortes Kinder starren ihm nach,
Bis er unten, an des Hügels Rand,
Am weißen Stabe schleichend, verschwand.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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