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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Der Kadet im Volksgarten

                              "Prinz Carl, du theurer Held,
                              Mein Herz bleibt dir gewogen."
                                                           Fr. Rückert.


Wie der Sonntagsmorgen lacht, pochen hundert junge Herzen
Rascher in gewalt'gem Schlag; Flur und Saal erdröhnt von Scherzen,
Lust erfüllt die munt're Schaar; denn der Sonntag ist der Tag,
Da Jedweder auf ein Weilchen sich hinausbegeben mag,

Aus den Mauern, deren Zwang sie an ernste Pflichten bindet,
D'rin der künftige Soldat Unterricht und Bildung findet;
D'rin zum tücht'gen Manne reift langsam das unbärt'ge Kind;
Zwar der Ehre feste Mauern, - die doch immer Mauern sind.

Draußen ist es gar so lustig, d'rinnen ist es gar so düster,
Nur der Bücher Blätter rauschen; draußen säuselt Baumgeflüster;
Draußen wandeln hübsche Mädchen, tönen laute Melodie'n,
Rollen prächtige Carossen durch das kaiserliche Wien.

Sonntag, deine Sonne tagt, und wer g'rade nicht ist schuldig
Eines strafenden Arrest's, harret bang' und ungeduldig
Auf die Stunde bis die Hand eines Gönners liebreich winkt:
Bis des Pförtners Eisenriegel vor dem "Urlaub" niedersinkt.

Alle jubeln. Einer nur (ach beklagt den guten Knaben!)
Darf nicht theilen solches Glück; seine Eltern sind begraben;
Aus der Fremde kam er an, wo kein Mensch, kein Mensch ihn kennt,
Wo er keinen güt'gen Schützer, keinen Gönner Gastfreund nennt.

Armer Alfred! Wenn sie alle fröhlich aus dem Zwinger wandern,
Dich holt Niemand; du wirst nie eingeladen wie die Anderu;
Ja, der Sonntag den sie feiern, wird für dich zum Wolkentag,
Dessen Nebel dich umschleiern, ob die Sonne strahlen mag.

Jahr um Jahr hat er gewähnt, daß vielleicht am günst'gen Tage
Irgend ein großmüth'ger Mann auch nach ihm Verlass'nen frage?
Doch vergebens blieb dies Wähnen; Niemand fragte! Niemand weiß,
Wie ihn seine Lehrer loben; sein Betragen, seinen Fleiß.

Jahrelang hat er geharrt, fünfzehn ist er nun vorüber
Und mit jeder Woche wird jeder Sonntag schon ihm trüber.
Einmal denkt er, muß auch ich nippen an der Freiheit Lust,
Einmal ihre volle Wonne saugen ein in junge Brust.

Also wagt er, selbst zu schreiben, einen Brief in fremdem Namen
An den Commandanten; schreibt: daß zwei hochgeborne Damen,
Welche seine Mutter liebten, ihn zum nächsten Sonntag gern
Bei sich sehen möchten, aber, daß sie in der Vorstadt, fern,

Den Kadetten abzuholen leider nicht im Stande wären;
Deshalb möge diesesmal ausnahmsweise man gewähren,
Daß er unbegleitet geh'? - Diesen feinen Brief vollbringt
Unser Alfred; schwärzt ihn pfiffig unter and're. Es gelingt.

Ja, der Urlaub lang' ersehnt, wird ihm endlich nun zu Theile.
Ha, wie fliegt er durch die Pforte mit beseligt-freud'ger Eile!
Einem jungen Füllen gleich, in dem unumschränkten Raum',
Ueber grüne Plätze jagend, sonder Sattel, sonder Zaum.

Spät bei'm Burgthor angelangt, sieht er schön-geputzte Schaaren,
Wie sie durch die Gärten geh'n, einzeln oder auch in Paaren.
Und er mischt sich in die Reih'n; sich'ren Fußes schreitet er
Rechts und Links die Blicke sendend, übermüthig, stolz einher.

Manches Auge hold umlockt von der Haare dunkler Fülle,
Manches Hälschen blendend weiß in der reichen seid'nen Hülle,
Zieht ihn an mit Zauberkraft. Wider Willen bleibt er steh'n:
Ich hab' leider nur zwei Augen und so viel ist hier zu seh'n!

Aber was erblick' ich dort? Ist er's wirklich? Ohne Zweifel,
Unser Obrist in Person! Reitet den der helle Teufel?
Nun ist's aus mit mir; nun werd' ich für die Posse frech und dumm,
Buße leiden, schwere Buße und sie schließen gar mich krumm!

Keine Hülfe? Ach, Courage, Fassung! Stehst im Pulverdampfe;
Brachte mancher schon Besiegte doch das Leben aus dem Kampfe!
Sieh' dort naht ein Unbekannter, edel ist sein Angesicht,
Dieser rettet mich. Courage! Solche Züge täuschen nicht.

Hab' die Ehre! Guten Abend! Ist es denn vielleicht erlaubt,
Mich ein Bischen einzuhängen? - "Wie?" Damit mein Obrist glaubt,
Daß es Ihre Frau Gemahlin war, die ihm vorgestern schrieb;
Sonst bin ich verloren, bitte, bitte, thun Sie mir's zur Lieb'!

Forschend schaut der Fremde erst den verweg'nen Jungen an,
Lächelt gütig ihm in's Antlitz: "Meinetwegen!" sagt er dann.
Und sie schlendern ganz vertraulich miteinander, Arm in Arm
Dem Gefürchteten entgegen; Alfred ohne Angst und Harm.

Wenn er fragen sollte, Herr, wollen Sie ihm kurzweg sagen,
Sie sind Graf... "Nur unbesorgt, junger Freund, er wird nicht fragen." -
Wirklich; stumm und ehrfurchtsvoll grüßt der Obrist; was er sah,
Nicht begreifend, steht er staunend und mit off'nem Munde da.

Uns're Zwei, stets Arm in Arm, sind ein Stückchen noch gegangen,
Da ruft Alfred: Tausend Dank! Besser konnt' ich's nicht verlangen.
Nun empfehl' ich mich und will Sie länger auch nicht mehr bemüh'n.
Sie verzeih'n schon meine Kühnheit, aber Furcht macht wirklich kühn!

"Nicht so rasch mein Lieber! Ich, ehe wir uns wieder trennen,
Wünschte," - äußert jetzt der And're, - "Sie genauer doch zu kennen;
Zu vernehmen, wessen Arm ich hier in den meinen nahm?
Wie zu der Bekanntschaft Ehre und warum ich eben kam?"

Offen, ohne Heuchelei, macht ihm Alfred sein Geständniß.
Er gewinnt das Herz des Herrn sich durch herzliches Bekenntniß,
Daß ihm dieser, als sie scheiden, nachruft mit der Liebe Ton:
"Na, wir seh'n uns denk' ich wieder; heute, gute Nacht mein Sohn!"

Kaum daheim, wird er sogleich vor den Commandeur berufen.
Sollt' er doch wohl etwas spüren? denkt sich Alfred, der die Stufen
Jener Treppe rüstig steigt und entschlossen, keck zu sein:
's war mein Graf; dabei soll's bleiben, denkt er sich und tritt hinein.

Doch der Obrist kommt ihm schon hastig an der Thür' entgegen:
"Mensch, erklären Sie dies Räthsel; wer führt Sie auf Ihren Wegen?
War ich meiner Augen Narr? Oder träum' ich? steh'n Sie da?
Sind Sie's wirklich und leibhaftig, den ich im Volksgarten sah?"

Zu Befehl, ich bin's gewesen! - "Und Sie gingen an der Seite,...
Arm in Arm...?" Ja, zu Befehl, denn er gab mir das Geleite
Weil die Gräfin, seine Gattin es gewünscht... "Mensch, Sie sind toll!
Faseln da von Gräfin"...Weiß nicht, wie ich sonst Sie nennen soll?

"Hol' der Henker Ihre Gräfin sammt dem Grafen! Ich will Klarheit,
Und ich rathe Ihnen ernstlich, sprechen Sie die reine Wahrheit:
Hab' ich wirklich Sie am Arme des Erzherzogs gehen seh'n?
Waren Sie's? Und wenn Sie's waren, sagen Sie, wie ist's gescheh'n?"

Des Erzherzogs? - "Donnerwetter, ja! Erzherzogs Carl! ich meine,
Daß ich meinen Feldherrn kenne!" Des Erzherzogs? Gott, zu Steine
Fühl' ich mich erstarren! Er?... Das war Er, der mir den Arm...
Den ich anging, kühner Weise,.. ich!.. ach, daß sich Gott erbarm!

Nun Herr Obrist, mag's d'rum sein. Es ist nichts so fein gesponnen,
Keine Lüge noch so schlau, die nicht käme an die Sonnen.
Mag' es mir an Ehr' und Glück, mag's mir an das Leben geh'n,
Ich will jetzt nicht länger läugnen, ich will Alles eingesteh'n.

Und er beichtet abermals. Und schon sieht er in den Mienen
Seines Richters heft'gen Zorn, da, - kein Engel ist erschienen
Je zu so geleg'ner Zeit! - bringt der Diener einen Brief:
Seine kaiserliche Hoheit schickt ihn. - Alfred athmet tief!

Und der Obrist öffnet, liest, dann mit kaum verhalt'ner Rührung
Spricht er: "Der Erzherzog meint, wenn bisher des Jünglings Führung
Tadellos gewesen sei, dürfe wohl der Knabenstreich
Nachsicht finden, - was Er wünsche; deshalb schreib' Er selbst, und gleich."

"Doch damit Sein junger Freund künftig wenn der Sonntag strahle,
Nicht wie sonst vereinsamt sei, lad' Er ihn zu Seinem Mahle,
Oeffne ihm Sein eigen' Haus, dem verlass'nen Waisenkind,
Welches kindlich Ihm vertraute, offenherzig, frei gesinnt."

Zitternd lauschte der Kadet, Perlen schmückten seine Wangen,
Auch der Obrist hatte schier Thränen an den Wimpern hangen.
Beide schwiegen lange Zeit; endlich sprach der Alte fest:
"Vorwärts Marsch jetzt zum Profoßen, bis auf Sonntag in Arrest!"

Wort gehalten hat der Prinz. Alfred hat sich brav erwiesen,
Dankbar-treu des edlen Herrn Großmuth durch die That gepriesen.
Heute noch, an jedem Sonntag, gilt der erste Becher Wein,
Den er leert in wahrer Andacht, der Erinnerung allein.

Asperns Eichen, frühlingsgrün, die ihr Kunde gebt von Helden,
Grünet mächt'ger, wenn ihr rauschet, jenen Namen zu vermelden.
Blumen, preist ein tapf'res Herz, dem an Sanftmuth keines gleich;
Blumen, Blätter, Blüten preiset Ihn: Prinz Carl von Oesterreich!


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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