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Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Der Knabe

Die Blume sah mit blassen Wangen
Vom Hügel in die weite Flur;
Der Sommer war schon längst vergangen
Und sie alleine blühte nur;
Die Schwestern hatten Duft und Farben
So spät im Jahre schon verglüht,
Und wie die andern herbstlich starben,
War sie, die Letzte, aufgeblüht.

Dem wilden ungestümen Wetter
Des kalten Abend's stand sie bloß
Und schmiegte ihre kleinen Blätter
Matt-bebend an des Kelches Schooß;
Sie sah hinab mit stillem Sehnen
Auf die entschmückte Wiesen-Au';
Au zarten Wimpern hing, wie Thränen
Der halbgefrorne Abendthau.

Da kam der Knabe auf den Hügel -
Der Knabe war ein Waisenkind;
Er flog hinauf, als hätt' er Flügel
Entlieh'n vom kalten, scharfen Wind.
Er sah sich um und mußte weinen,
Die Wolken zogen grau umher,
Der Mond sing d'rüber an zu scheinen, -
Er rief: Wenn ich im Grabe wär!!?

Ich steh' allein, ich bin verlassen,
Die Mutter todt, der Vater todt
Und meine Liebe muß mich hassen,
Weil ich ihr nichts als Thränen bot.
Was thu' ich länger mit dem Leben?
Ich lege mich auf Mooses Saum
Und diese Nacht will ich verschweben
Hinüber, wie ein banger Traum.

Der Knabe legt sich fröstelnd nieder
Und fühlt sich sterbend erst gesund;
Die Blume senkt ihr sanft' Gefieder
Auf seinen halbgeschloss'nen Mund;
Er fühlt der Blätter duft'ge Seide,
Das dünket ihn wie Himmelsgruß
Und gegen Morgen sterben Beide
In einem langen, langen Kuß.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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