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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Der letzte Schmerz
(1846.)
Nun lebe wohl! So heißt das letzte Wort.
Ich bleibe hier zurück, du wanderst fort;
Du wanderst fort und nimmst aus meinem Leben,
Was du in reiner Freundschaft mir gegeben.
Du gabst mir Liebe, kindliches Vertrau'n,
Auf deine Wahrheit konnt' ich sicher bau'n,
Selbst Jugendfreuden wolltest du entbehren,
Um meinen Ernst in Heiterkeit zu kehren. -
Jetzt ziehst du ahnend in die Welt hinein,
Dich locken Sinnenreiz und Frühlingschein;
Und magst du auch ob uns'rer Trennung klagen,
Magst du, sie sei dein "erster Schmerz", mir sagen,
Doch strebst du fort! Und kann es anders sein? -
Mir grünt die Flur nicht mehr, mir rauscht kein Wald,
Die ganze Erde scheint mir öde, kalt:
Mein Frühling ist mit dir davongegangen.
Aus deinem sanften Blick, von deinen Wangen
Hat er noch einmal jung mich angelacht. -
Du geh'st - und ich versink' in Winternacht.
O möchte sie mit ihren düstern Schauern
Nicht allzulang', nicht allzufinster dauern!
O senkte doch das Mitleid ew'ger Macht
Aus Winternacht mich bald in Grabesnacht!
Was soll ich noch vereinsamt hier auf Erden?
Geworden bin ich, was ich konnte werden;
Was mir erreichbar schien, es ist erreicht;
Kein Glück erring' ich, das vergang'nem gleicht
Und deinen ersten Schmerz, weil wir uns trennen,
Muß ich als meinen letzten Schmerz erkennen.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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