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Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Der Zopf

Man schilt jetzt überall auf die Zöpfe,
Bezeichnet damit, was nicht an der Zeit
Und hat sogar die dümmsten Tröpfe
In dieses Stichwort eingeweiht.

Der albernste Mensch, der hohlste Laffe,
Wie ein leerer Kürbis im eig'nen Kopf,
Gebraucht den Ausdruck als Mode-Waffe
Und quäkt: "Das ist noch der alte Zopf!"

Und ob es auch dem Würdigsten gelte,
Was Ehrfurcht geböte frommem Sinn,
Sie finden passend, daß man es schelte,
Denn nur der Wechsel verheißt Gewinn.

Da las ich jüngst eine Kindergeschichte,
Die mir verschied'ne Gedanken gemacht.
Sie eignet sich nicht zum bausback'nen Gedichte,
Ist nur in hausbackene Zeilen gebracht;

Doch mein' ich behagt sie einem Jeden,
Dem Andacht nicht für die Tonkunst fehlt?
Altmeister Josef Haydn wird reden,
Er ist's der von sich selbst erzählt:

"Da ich, noch ein Knabe in der Schule,
Eifrig schon auf Musikam studirte,
Drehte sich einmal mein Camerade
Heftig um und wischte mir der Noten
Mehrere von meiner Schiefertafel,
Mit dem langen Haarzopf den er hatte
Und auf den er eitel war nicht wenig.
Sehr verdroß mich solche That des Zopfes,
Und da ich zur Zeit stets in der Tasche
Eine schmucke scharfe Scheere führte,
Die ich, wie denn Kinder spielen mögen,
Gern an Allem zu versuchen pflegte,
An jedwedem Gegenstand, der eben
Unter meine Hände kam; - so holt' ich
Sie hervor und Schnapp! mit einem Schnitte,
Lag der Zöpfe schönster auch am Boden.
Unser alter Lehrer, Gott erbarm' sich!
Hatte das geseh'n, erhob sich zornig
Und eh' noch mein armer Camerade
Seinen schrecklichen Verlust bemerkte,
War ich aus dem Unterricht verwiesen,
Hatt' ich meinen Abschied schon bekommen.
Ach, da flossen Ströme heißer Thränen;
Denn ich weinte über mich und weinte
Ueber jene unbedachte Kränkung,
Die ich angethan dem Cameraden.
Dieser aber ging an mir vorüber,
Nun beraubt der vielgeliebten Zierde,
Weinend bitterlich gleich mir der Aermste;
Denn vielleicht betrübte ihn nicht minder,
Als sein eigener Verlust, mein Unglück.
Nimmer wurden so viel Jammerzähren
Wegen eines Zopf's geweint hienieden;
Nimmer wegen eines Zopf's empfunden,
So viel reuige Gewissensbisse!
Gern wär' ich dem tiefbetrübten Jungen
Um den zopfberaubten Hals gefallen,
Hätte mich zu Füßen ihm geworfen,
Flehentlich Verzeihung mir erbeten; -
Doch ich fühlte dessen mich nicht würdig,
Ging beschämt davon, mich zu verbergen,
Mich sammt meiner Schande tief im Dunkeln."

So erzählt in seiner kindlichen Weise
Der alte Haydn voll sanfter Huld.
Ihr Knaben lernt vom ehrwürdigen Greise
Nachsicht zu üben und milde Geduld.

Und wenn ein Zopf an fremdem Haupte,
Gescheh's nun immer wo? oder wie? -
Verwischend vielleicht ein paar Noten raubte
Aus jüngst geschrieb'ner Melodie,

Indem er's wagt, eure Tafel zu streifen, -
Erinnert euch an Haydn's Schmerz;
Ihr müßt nicht gleich zur Scheere greifen:
Es wuchs gar Manchem sein Zopf in's Herz.

Mag er ihn tragen doch bis zur Bahre,
Mag er mit ihm begraben sein!
Ihr schneidet nicht allein in die Haare,
Ihr schneidet vielleicht in's Herz hinein.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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