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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Nettelbeck
Ein Bürgersmann von echtem Schrot und Korn,
Der noch als Greis, da Colberg ward belagert,
Es unter Gneisenau vertheid'gen half,
Doch jetzt begraben liegt seit lange schon, -
Sein Name heißt: Joachim Nettelbeck, -
War einst als eines Schiffes Capitän
In Lissabon,... und in bedrängter Lage:
Er wußte keine Ladung für sein Schiff;
Sah tiefbekümmert in die Zukunft aus;
Gedachte trauernd all' der lieben Seinen
Im fernen Preußenland. Geladen nun
Zu einem Schmaus' bei einem Portugiesen,
Den er noch kaum von Anseh'n kennt, geht still
Und düst'ren Sinn's er seinen Weg. Am Platz
Erblickt er plötzlich,... und er glaubt zu träumen,
Traut seinen Augen nicht, den staunenden,...
Erblickt er,... 's ist unglaublich! - Schildwach steh'n
Vor einem Zelt zwei preußische Soldaten.
Zwei Grenadiere waren's, wie sie damals
Gekleidet gingen, majestätisch-steif,
Der Zopf nicht fehlte. Wie in Erz gegossen,
So standen die vor jenem Zelte da,
Und auf dem Zelte flattert Preußens Fahne.
Er denkt bei sich: die mußt du rasch begrüßen;
Tritt auf sie zu, reicht ihnen froh die Hand -
Und sieht, es sind Wachspuppen gut gebildet.
Ha, ruft er aus, wo solch' ein Aushängschild
Gewählt ist worden, muß auch mehr noch stecken,
Was eines Preußen Herz erlaben kann!
Und zahlt sein Eintrittgeld und geht hinein.
Und d'rinnen nun erblickt er (welch' Entzücken! -
Es war im Jahre siebzehnhundertachtzig)
Auf einem Throngerüst den alten Fritz,
Zum sprechen ähnlich. Und die Siegesgöttin
Und die Gerechtigkeit umschweben ihn.
Ringsum geschaart steh'n viele Portugiesen;
Sie hören lauschend, mit bewegtem Antlitz
Die Thaten jenes preußischen Monarchen,
Die ein begeisterter Rhapsode schildert.
Da fasset unsern Nettelbeck das Heimweh;
Ihm pocht das Herz (so drückt er selbst sich aus)
Und hämmert ihm gewaltig in der Brust.
Nun stürzt er vor, wirft sich dem Bild' zu Füßen,
Gebroch'ne Stimme, Augen voll von Thränen,
Gefaltet beide Hände kniet er da
Und jauchzt: Mein König! Ich bin auch ein Preuße!
Ein Jubel füllt das Zelt, sie drängen sich
All' hin zu ihm, den Preußen anzuschau'n,
Sie drücken ihm die Hand, sie streicheln ihn,
Sie preisen laut den alten Fritz. Wie leuchten
Die Augen ihm; wie reich nun schreitet er,
Arm wie er ist, von Volkes Schwarm umgeben,
Wie stolz hinaus: Ja, ich bin auch ein Preuße!
So bewegt in tiefster Seele
Kommt er zu dem großen Schmause,
Capitäne vieler Schiffe
Trifft er in dem reichen Hause;
Sämmtlich sind sie eingeladen
Zu dem wunderlichen Feste
Und der Wirth bewirthet köstlich
Alle seine fremden Gäste.
Starke Weine fließen strömend,
Heiß wird Jedem zugetrunken,
Bald ist Einer nach dem Andern
Selig unter'n Tisch gesunken.
Nur der Nettelbeck steht sicher,
Hat sich's heilig vorgenommen,
Sich bei Sinnen zu erhalten
Und kein Glas mehr angenommen;
Sagt nur, ob man ihn bestürme,
Ihn ein schwächlich Männlein heiße:
Nein, ich habe zur Genüge,
Und ich gab mein Wort als Preuße,
Keinen Tropfen trink' ich d'rüber. -
Als nun all' die durst'gen Seelen
Schnarchend unter'm Tische liegen,
Will sich Nettelbeck empfehlen.
Doch es spricht der Wirth: Du bleibe!
Prüfen wollt' ich meine Leute,
Du nur, Preuße, hast bestanden;
Rüste du dein Schiff noch heute.
Solche Männer, fest und tüchtig,
Können mir Vertrau'n erwecken:
Du erhält'st die reichste Ladung!
Und so wurde Nettelbecken,
Mitten in der Armuth Weh',
Eine volle Ladung Thee
Und ein Frachtgebot von dreißig-
Sage: Dreißigtausend Thaler.
Jener war ein prompter Zahler
Und der Capitän lud fleißig,
Stach bei hellem Sonnenschein
In die blaue See hinein.
Aber eh' er fortgeschwommen
Hat er - wer verdenkt ihm das? -
Noch einmal das Zelt besuchet,
Wo der alte Fritze saß.
Der dies Geschichtchen auserwählt
Und 's euch so einfach vorerzählt,
Der bittet herzlich; zürnt ihm nicht;
's macht keinen Anspruch als Gedicht;
's will auch von andern Lesern allen
Sonst Keinem als nur Preußen wohlgefallen.
Und gebe Gott, es möge stets gescheh'n,
Daß Preußen, wenn sie ferne vom Gefild
Der Heimat, unerwartet seh'n
Des Königs, ihres Herrschers Bild,
Auch Ursach' haben, laut und froh
Wie Nettelbeck zu rufen, so,
Daß wer es hört d'ran freue sich:
"O, ich bin auch ein Preuße, ich!"
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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