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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Ole Bull
(1839.)
In Bologna's alten Mauern,
Sitzt im engen Kämmerlein,
Uebermannt von tiefem Trauern,
Gramerfüllt, einsam-allein
Aermster aller armen Söhne,
So der Norden je gebar.
Vor ihm liegt die Welt der Töne,
Und sein Auge sieht sie klar,
Aber ihm nicht lebt ihr Walten,
Stumm bleibt ihm die Zauberwelt,
Weil mit feindlichem Erkalten
Kummer ihn umfangen hält.
Keine Hoffnung, keine Liebe!
Darbend, ach, und unerkannt
Sind der kranken Seele Triebe
Nur dem Grabe zugewandt.
Harter Mangel und Entbehrung
Haben ihn gebeugt, bedrückt,
Den kein Wunsch noch mit Gewährung,
Keiner noch mit Lust geschmückt.
Da, noch einmal, rafft er bebend
Sich vom harten Lager auf,
Blickt noch einmal, ängstlich-strebend
Nach der Sterne Himmelslauf.
Und er bannt in Schrift und Zeichen,
Was die Götter ihn gelehrt,
Sagt: ich muß ein Ziel erreichen,
Geltend machen meinen Werth!
So, der süßen Offenbarung
Lauschend, schreibt er Tag und Nacht, -
Wasser seine einz'ge Nahrung! -
Schreibt, was er sich ausgedacht,
Faßt in Zeichen jene Klänge,
Die harmonisch ihn erfüllt,
In des Lebens Angstgedränge,
Oftmals schützend ihn umhüllt.
Aber schon am andern Tage
Unterliegt er solchem Thun;
Sinkt er, stumm und ohne Klage
Duldend hin, um - auszuruh'n.
Und der Schlaf in weichen Armen
Nimmt ihn wie ein Bruder an,
Gönnt dem Leidenden Erbarmen,
Daß er schlummern, träumen kann.
Ja, er träumt von sel'gen Geistern,
Träumt von seligem Geschick;
Nach der Tonkunst hehren Meistern
Wendet ahnend sich sein Blick.
Seine bleiche Wang' umfächeln
Lorberzweige sanft bewegt,
Die mit geisterhaftem Lächeln
Paganini auf ihn legt. -
Ach, er träumt! - doch plötzlich dröhnen
Heft'ge Schläg' an seine Thür
Und er fragt mit bangem Stöhnen:
Leben, was willst du von mir?
Oeffnet, - da vor ihm erscheinen
Fremde; Männer aus der Stadt,
Die sich bittend gleich vereinen:
"Freund, weil man vernommen hat,
Daß du hier in düst'rer Zelle
Wundersam den Bogen führst,
Geh' mit uns sogleich zur Stelle,
Wenn du Kraft und Regung spürst?
Denn versammelt sind die Schaaren
Edler Herren, schöner Frau'n,
Die von uns geladen waren,
Herrliches heut' anzuschau'n,
Herrliches heut' zu vernehmen,
Wo der Name Malibran
Auch den kühnsten Wunsch beschämen,
Jeglichen befried'gen kann.
Doch aus Krankheit, oder Laune
Läßt sie grausam uns im Stich,
D'rum, daß unser Kreis erstaune,
Wenden wir uns, Freund, an dich.
Ward das Selt'ne uns versaget,
Mag Seltsames uns erfreu'n!
Wer gewinnen will, der waget, -
Komm' und wage dich hinein!"
Und er wagt es. Bleich und schwankend
Folgt er in den reichen Saal,
Seinem Schöpfer freudig dankend
Für den ersten Hoffnungsstrahl.
Und er hebt den mächt'gen Bogen,
Gottes Hand stärkt seine Hand,
Wider Willen fortgezogen
Fühlen Alle sich gebannt.
Er gewinnt die stolzen Herzen,
Er besiegt des Zweifels Nacht
Und die Klänge seiner Schmerzen,
Werden Klänge froher Macht.
Neu belebt, wie neu geboren,
Steht er als ein Heros da.
In Begeisterung verloren,
Hört er kaum, was noch geschah;
Hört er kaum des Jubels Toben,
Der ihn wonnevoll umrauscht;
Ahnt noch nicht, daß, hoch erhoben,
Er sein Elend eingetauscht
Gegen Gold und Ruhm und Freude;
Weiß noch nicht, wie ihm geschieht?
Und im übersel'gen Leide
Singt er sein elegisch' Lied.
Fackeln, die ihn heimgeleiten,
Hält er für der Sterne Licht;
Höret durch der Gassen Weiten
Brausend "viva! viva!" nicht.
Tritt in seine Kammer wieder,
In den kalten, feuchten Raum,
Wirft sich abgemattet nieder,
Seufzt: es ist ja doch nur Traum,
Denn ich kann nicht glücklich werden;
Nein, ich träume! - Und er träumt
Trunken fort, bis sich der Erden
Weiter Umkreis sonnig säumt.
Mit der Sonne kehrt ihm Wonne,
Kehrt ihm des Bewußtseins Licht
Und er ruft: willkommen Sonne!
Ja, ich bin, ich träume nicht!
Gott der mir die Kraft gegeben,
Gab mir nun dazu das Glück!
Ich will wirken, ich will leben,
Lenken will ich mein Geschick!
So geschah's! Von jener Stunde
Kennt Europa diesen Mann,
Denn die flügelschnelle Kunde
Eilt ihm, wo er zieht, voran.
Sie erzählt mit tausend Zungen
Fabeln, Mährchen, Vielerlei!
Ruft die lauten Huldigungen
Schon im Voraus ihm herbei.
Und er kommt. - Er ist bescheiden,
Liebenswürdig, klug und gut.
Aus dem Kampf mit bittern Leiden,
Bracht' er jugend-frischen Muth.
Freuden schenkt er. Wenn er scheidet,
Läßt er die Erinnerung.
Und so bleib' er, unbeneidet,
Lange glücklich, froh und jung!
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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