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162 Bücher



Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Sprachforschung

                              Was auch als Wahrheit oder Fabel
                              In tausend Büchern dir erscheint,
                              Dies Alles ist ein Thurm zu Babel,
                              Wenn es die Liebe nicht vereint.
                                                                 Göthe.


Der Hochmuth wollte frech errichten,
Den Thurm, der über Wolken schaut.
Der Himmel aber sprach: "Mit nichten,"
"Ihr habt auf eitel Sand gebaut!"

"Zerstreuet euch und werdet irre"
"An dem, was eure Zunge spricht;"
"Im babylonischen Gewirre"
"Der Sprachen kennt euch selber nicht,"

"Wollt ihr, dem Ew'gen trotzend, steigen,"
"Dann treibt ihr mit dem Ew'gen Spott!"
"Nur Demuth kann den Weg euch zeigen,"
"Nur Liebe hebt empor zu Gott."

Die Völker haben sich gemieden,
Wo Eintracht, - unverstanden, - schwieg.
Durch Sprach' und Sitte bald geschieden,
Führt eines mit dem andern Krieg.

Und immer wird des Fluches Walten
Forterben auf der Kinder Kind,
Die Sprachen und die Stämme spalten,
So lange Menschen Menschen sind.

Doch weil des ew'gen Vaters Milde,
Auch zürnend noch, mit Liebe weilt
Auf denen, die zu Seinem Bilde
Geschaffen, hat Er Gnad' ertheilt;

Hat jenem Fluche beigegeben
Ein Gegengift von reinster Kraft;
Des Wissens Drang, das geist'ge Streben,
Der Trübsal Trost: die Wissenschaft.

Sie lehrt, was sich getrennt, verbinden.
Durch ihre Forschung, klar und hell,
Sucht sie den Ursprung aufzufinden,
Verfolgt ihn bis zum Mutterquell,

Und lenkt mit ihres Wollens Reinheit,
Die Herrliche! der Zungen Streit
Zu der gemeinsam-schönen Einheit
Grau-heiliger Vergangenheit.

Sie deutet krause Hieroglyphen,
Enträthselt was kein Auge kennt,
Weckt Geister die verzaubert schliefen,
Aus Occident, aus Orient.

Sie weiß, in noch so fernen Reichen,
Dem gleichgesinnten Freund' zu nah'n,
Weiß lernend, lehrend auszugleichen
Den Weg auf dornenvoller Bahn.

Sie glättet moos'ge Runensteine,
Sie fügt geduldig Silb' an Wort,
Sie setzt, ausharrend im Vereine,
Den einst gestörten Thurmbau fort.

Sie will, - es muß den Himmel rühren, -
Und ob Jahrtausende vergeh'n,
Ihr großes Werk zum Ziele führen,
Damit es kann vor Gott besteh'n.

Die Wissenschaft, die reich an Frieden,
Im Kriege friedlich selbst erscheint,
Sie hat, was Hochmuth einst geschieden,
Durch treue Liebe mild vereint.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






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