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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Worte hat der Mensch allein
Ach, wenn die Blumen singen könnten
Mit ihrem kleinen Rosenmund,
Sie thäten allen Elementen
Des Frühlings Wonnen singend kund:
Durch Hain' und Fluren würd' erglühen
Ein Feuermeer der Melodie! -
Doch Blumen können nichts, als blühen
Und singen muß der Mensch für sie.
So sing', o Mensch! Denn horch, es singen
Die lieben Vöglein lieb und laut!
Der Erde soll's zum Herzen dringen,
Sie sei des blauen Himmels Braut.
Im grünen Kleide prangt die Schöne,
Gesang mag ihr Entzücken weih'n, -
Doch Vögel haben nichts als Töne
Und Worte hat der Mensch allein.
Wenn Wort' und Töne froh sich finden,
Wie Eines mit dem Andern zieht,
Da werden sie sich gern verbinden,
Da bilden sie vereint das Lied.
Der Vogel preis' in Schall und Klange
Den Lenz; die Blum' in Duftes Lust;
Der Mensch begrüß' ihn im Gesange
Des Wortes aus der Menschenbrust.
Die Blume bleibt am Boden hangen,
Der Vogel schwingt sich flatternd auf
Und Beide streben und verlangen
Mild-ahnend nach dem Licht hinauf.
Der arme Mensch steht zwischen Beiden,
Wie Licht ihn lockt, wie Erd' ihn hält,
Doch Menschenfreuden, Menschenleiden
Verkündet er im Wort der Welt.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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