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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Prolog zu dem Concerte des Frauenvereins für die
Kinderbewahranstalten in Gräz
(1853.)
Es ist einmal eine Frau gewesen, -
(Aus altem Buche hab' ich's gelesen,
Doch weiß ich nicht mehr in welchem Land?) -
Die gab so gern mit voller Hand,
Sie wußte sich kein größer' Entzücken,
Als Arme zu retten, zu beglücken.
Wo sie Nothleidende entdeckt,
Hat keine Müh' sie abgeschreckt;
Sie drang in Keller, auf Bodenkammern,
Sie trocknete Thränen, stillte Jammern,
Sie spendete Kleidung, Nahrung, Geld,
Das Wohlthun war ihr Leben und Welt.
Ihr Wahlspruch hieß: Gott aus Erbarmen
Verlieh mir Reichthum, doch für die Armen.
Bei All' dem erhielt sie schlechten Lohn,
Wenn frecher Undank, gemeiner Hohn,
Wenn üppige Faulheit vergeudet im Stillen,
Was sie gespendet um Gotteswillen.
Sie sah sich getäuscht, gelästert, und ward
Nicht selten betrogen auf niedrige Art.
Ihr gläubiges Mitleid begann zu wanken,
Ihr Menschenvertrauen fing an zu schwanken,
Und endlich durchwühlte düst'rer Schmerz
Mit bitt'rem Argwohn ihr edles Herz.
Da klagt sie weinend: Die Menschen verdienen
Meine Hingebung nicht. Ich entzieh' mich ihnen.
Und wie sie Nachts mit ihrem Kummer
Die Stunden verseufz't in gestörtem Schlummer,
Eröffnet sich langsam der Träume Thor,
Verkümmert und bleich schwebt ein Kind hervor
Aus tiefem Schatten. Das Kind spricht leise:
"Mir leben die Eltern, bin dennoch Waise,"
"Bin verwahrloset, wachs' ohne Häuslichkeit,"
"Ohne Beispiel und Lehr', ohne Fröhlichkeit"
"Nur in Mangel und Hunger auf. Darum spende"
"Deine Hülfe mir, erbarm' Dich und wende,"
"Du gute Frau, die Blicke auf mich!"
"Auf mich und die Andern! 's giebt viele, wie ich!" -
"Fürchte nicht von uns den armen Kleinen"
"Zu erleben, was einst Du müßtest beweinen;"
"Und was Undank der Eltern an Dir verbrach,"
"O trag's unschuldigen Kindern nicht nach!"
"Denn Kinder sind gut, überall und immer,"
"Nur die Jahre machen sie schlimm und schlimmer,"
"Nur das Leben verdirbt sie; - doch hülflos, klein,"
"Sind alle noch liebenswerth und rein."
"Jedwedes hat einen Engel zur Seite,"
"Der ihm unsichtbar giebt das Geleite;"
"Dieser Engel zeichnet in goldenes Buch,"
"Was den Kindern geschieht, so Segen wie Fluch."
"Und des Engels Schrift, geschrieben auf Erden,"
"Wird am himmlischen Thron verkündiget werden,"
"Manchen Fehler verwischen, manche Schuld, manchen Wahn;" -
"Was Du Kindern thust, hast Du Gott gethan!"
Also sprach das Kind zu dem schlummernden Weibe,
Streifte sich die Bettlerlumpen vom Leibe,
Zeigte sich glänzend, - erhellte den Raum, -
Stieg in die Lüfte, - da wich der Traum.
Aber was ihr der Engel verkündet,
Hat die Frau dann lebendig begründet,
Hat es im treuen Herzen bewahrt,
Liebreich die Kinder um sich geschaart.
Und ihr Bemüh'n hat Lohn gefunden,
Thätig für gleichen Zweck verbunden,
Reichten ringsum im weiten Land
Deutsche Frauen sich gern die Hand.
Auch wir haben als deutsche Frauen
Gleiches begonnen, voll von Vertrauen.
Ferner glücklich besteh'n und gedeih'n,
Kann's durch "vereinte Kräfte" allein.
Dieser Wahlspruch erklingt vom Thron' zu den Hütten,
Er beflügle die Hoffnung, beseele die Bitten,
Oeffne das Herz uns, öffne die Hand,
Schling' um den Bund der Liebe Band.
Denn der Engel sprach wahr in jenem Traume:
Sie haben von der Erkenntniß Baume,
Von der Frucht, die uns Allen die Brust bedrückt,
Haben die Kinder noch nicht gepflückt.
Aus des Schöpfers Hand hervorgegangen
Sind sie göttlich noch. Und wir empfangen
Die kleinen Gäste mit frommem Sinn'
Bei uns im Hause, hegen sie d'rin,
Daß wir sie pflegen, erheitern, beschenken,
Ihre Augen auf zum Ewigen lenken,
Zu dem Vater, der durch den Sohn zu uns spricht:
Laßt die Kindlein kommen und wehrt ihnen nicht.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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