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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Prolog zur Eröffnung des Theaters in Riga
1837.
Der Vorhang hebt sich und dem edlen Kreise,
So hier versammelt, tritt ergeb'nen Sinnes,
Mit erstem, ernsten Gruße nun entgegen
Der Sprecher, dem die Pflicht das Wort gebeut.
Und in den einen Augenblick, so lange
Erwartet vorbereitet, vorbedacht,
Drängt sich der streitenden Gefühle Schaar:
Die Kinder der Vergangenheit; die Eltern
Der nächsten Zukunft - heut'ger Gegenwart
Beherrscher; ja, sie drängen sich zusammen
Wie eine Menge bunt gemischter Leute,
Die erst auf freiem Felde sich zerstreut,
Jedweder seinem eig'nen Triebe folgend,
Um nun, gezwungen durch ein enges Thor,
Zu eines neuen Lebens strenger Regel,
Zu neuen Pflichten sorglich einzuzieh'u.
Ein wicht'ger Augenblick, dem armen Worte
Zu reich, zu viel bedeutsam, zu gewaltig!
Ich sehe mit des Geistes innern Blicken
Die Tausende vor Euch, die hier am Orte
Manch' heitern Spielen heiter beigewohnt.
Ich seh' sie Alle, die verehrten Meister,
Die vor uns würdig hier gewaltet haben,
Und deren Namen heute noch lebendig
Ruhmvoll und fröhlich wieder klingen, überall
Wo deutsche Kunst durch deutsche Sprache wirkt.
Sie deuten lächelnd auf ein hohes Ziel!
Ob wir's erreichen werden? - Nur bescheiden
Erscheinen wir vor Euch! Wir bringen heute
Drei kleine Gaben: leichter Töne Spiel -
Der Posse Scherz, - des Ernstes stille Wehmuth,
Und wollen so an diesem ersten Abend
Ein flücht'ges Bild vorzeichnen künft'gen Tagen,
Wo sich jedwede Gattung eigenthümlich
Selbstständig zu entfalten suchen soll.
Es fehlt uns nicht an Kraft noch gutem Willen,
Ein Jeder unter uns hat mehr, hat minder
Beifäll'gen Antheils Zuruf schon vernommen,
Ist hier und da schon gern gesehen worden,
Und wem die Uebung mangelt, bringt dafür
Der Jugend regen Fleiß mit in die Schranken.
Geöffnet sind sie jeglichem Verdienst;
Nun ist's an Euch, zu richten, zu belohnen.
Und wenn bei'm Anfang Vieles unvollkommen,
Schwach, zagend vor Euch auftritt, wenn zum Ganzen
Die Einzelnen sich noch harmonisch nicht,
Wie sie es billig sollten, schon gefügt -
Uebt Nachsicht. Denkt, wir selbst ja kennen uns
Der Eine noch den Andern kaum, wir treffen
Hier eben erst zusammen. Wir begegnen
In einem nur uns Alle, in dem Wunsche,
Euch zu ergötzen, Euch durch unsern Fleiß
Zu fesseln - aber das Gedeih'n der Bühne
Liegt nicht allein in uns! Euch ist gegeben
Die schöne Macht, uns freundlich zu erheben.
D'rum seid nicht karg mit Eurer Gunst! Bedenkt,
Wie fremd wir Alle, heimatlos und fremd
Aus weiter Ferne kommend, uns noch fühlen.
Die theuren Freunde ließen wir daheim,
Zerrissen feste, längst gewebte Bande,
Und Keinen seht Ihr, von den Neugekomm'nen
Auf diesen Brettern Keinen, der nicht sehnend
Den Blick zurücke sendete zu seinen Lieben;
Der nicht, wenn Abendroth die Wolken säumt,
Den trüben Gruß in jene Länder schickte,
Wo er bisher geweilt, gewirkt, gestrebt.
Ja, wen kein Bund des Lebens mehr umschlungen,
Hat seiner Lieben Gräber doch verlassen,
Die Erde doch verlassen, wo sie ruh'n.
Man pflegt zu sagen, daß kein Vaterland
Der Künstler habe. - Welch ein traurig Wort! -
Und dennoch ist's gewissermaßen wahr:
Ihn treibt ein pilgernd Leben durch die Welt.
Da muß er sich ein Vaterland erschaffen,
Er muß es suchen, wo die Pflicht ihn fesselt,
Er wird es finden, wo die Bildung wohnt.
Hier oder nirgend ist dies Vaterland.
Ja, nehmt uns auf! Gönnt uns das Bürgerrecht
In Euren Herzen und in Eurem Geist.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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