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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Prolog zur Eröffnung meiner Vorlesungen in Schwerin
(1848.)
In düster stürmender Novembernacht
Durchirrt der Wand'rer unbekannte Fluren;
Unsichern Schrittes tritt er zagend auf,
Im Finstern tappt er bang von Baum zu Baum.
Schwer ist sein Herz. Kein heit'res Reiselied
Tönt von den Lippen. Heißersehntem Ziele
Weiß er sich fern, und ob er's je erreicht,
Wer will's verbürgen? Ja, die Hoffnung schwindet.
Da legt er sich ermattet unter'm Schutze
Beschneiter Tannenbüsche hin. Entmuthigt
Ergiebt er sich in drohendes Verhängniß.
Dicht neben ihm erhebt sich eine Stimme, ..
Des Hirten Stimme ist's, der unbekümmert
Um Sturm und Wetter gern im Freien weilt.
Sie tröstet ihn mit schlichten Worten; spricht
Von hellem Tag und klarem Sonnenschein,
Die folgen müssen, wenn der Stürme Wuth
Sich ausgetobt und rings die Luft gereinigt.
Der Wand'rer hört den Hirten kaum; sein Unmuth
Verschließt sich gegen sanften Trost. Ihm scheint
Das ganze Dasein freudeleer und öde.
Jetzt aber trennt ein scharfer Windeshauch
Die schwarzen Wolken. Durch den Riß erscheint
Ein gold'ner Stern von wunderbarem Licht.
Nach diesem zeigt der Hirte, lächelt ihm
Beseligt zu, wie einem trauten Freunde,
Nennt ihn bei Namen, deutet seinen Lauf,
Und knüpft an diese Deutung manche Sage:
Von altem Schmerz und immer neuer Lust;
Von greisem Winter, der zum Frühlingsjubel,
In Frühling ausbricht. Dieses Sternes Anblick
Begeistert ihn; der arme Alte wird
Ein feuriger Rhapsode. Und zuletzt
Strömt seiner Rede Fluß, wie milder Balsam
Dem Hörer lindernd in die Seele. Beide
Sich tröstend und getröstet schau'n empor
Und werden Eins: so lang' die Sterne scheinen,
So lange soll die Hoffnung nicht vergeh'n.
Wohl gleicht der Menschen bangendes Geschlecht
In unsern Tagen dem verirrten Wand'rer,
Nach fernem Ziele durch der Stürme Grau'n
Sich drängend. Schwarz verhüllt der Himmel,
Verhüllt das Blau der hohen Poesie,
Der treuen Trösterin, Veredlerin.
Und Meister William, England's größter Sohn
Der Unerforschliche, trotz alles Forschens,
Der Unerreichliche, trotz alles Strebens,
Der unvergleichlich Hohe, Milde, Reine,
Er ist der Stern.
Nehmt
mich, den armen Hirten,
Nachsichtig an, als Deuter solcher Pracht,
Ausleger solcher Herrlichkeit. Und gönnt
Die Hoffnung mir, daß über Sturm und Zeit
Sich ew'ge Dichtung tröstend noch erhebe.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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