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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Prolog zur Jahresfeier der Befreiung von dem Feinde
auf dem Theater zu Riga gesprochen.
(1838.)
Wenn uns das Unglück mächt'gen Schrittes naht,
Umhangen, grau, von grauen düst'ren Wolken;
Wenn schwere Ahnung drohend auf uns liegt;
Wie athmet da die Brust so eng und ängstlich!
Wie drängen wir uns bang-vertraut zusammen
Und schließen Freundschaft für die Zeit der Noth,
Mit denen selbst, die sonst uns fern gestanden!
Wie fest geloben wir uns Besserung
Der Fehler und Gebrechen ird'schen Daseins! -
Kaum aber ist die Zeit der Noth vorüber,
Kaum leuchtet Gottes Sonne wieder frei
Auf die gewohnten Formen uns'res Lebens,
So wendet sich des Menschen leichter Sinn
Von jüngst beschwornen Pflichten flüchtig ab:
Zu seinen Nächsten wird er kalt und lieblos;
Was ihm in der Gefahr das Höchste schien,
Dünkt ihm alltäglich, weiß er erst sich sicher;
Gleichgültig tadelt er, und wählt und mäkelt
Und übermüthig trotzt er auf sein Recht!
Vergessend, daß wir alle, was uns wird,
Als ein Geschenk der Gnade nur empfangen,
Der Gnade, die der Himmel uns vergönnt.
D'rum ist es recht, und hat wohl tiefen Sinn,
Daß man zur Zeit des Friedens und der Ruhe,
Zur Zeit des friedlich-ruhigen Behagens,
An jene Tage denkt, wo ew'ge Macht
Mit Kriegsgeschrei und blutigrothen Flammen
Ein ernstes Warnungswort herab gerufen.
Und wer da klagen will ob kleiner Uebel,
Ob unvermeidlich-irdischer Beschwerde,
Der wecke den Gedanken in der Seele,
Daß es ja Stunden gab, wo sein Gebet,
Solch' Dasein, über das er murrt, erflehte;
Wo er nichts heißer wünschte, als den Zustand,
Den er jetzt tadeln möchte; wo der Feind
Vor seiner Hütte stand; ach, wo er bebte
Vor der Gefahr des Feindes Knecht zu werden!
Der Feind! Wer ist der Feind? - Wir feiern freudig
Den Festtag der Befreiung von dem Feinde! ..
Und hegen wir nicht, jeder, einen Feind
In uns'rer Brust, der uns noch nie verlassen?
Schlag' nur ein Jeder wahrhaft an sein Herz,
Und frage sich aufrichtig: ist im Innern
Kein Feind versteckt? O, Jeder muß bekennen,
Ihm lebt ein Feind, den er noch nicht bekämpft!
Doch, wer's bekennt, der soll auch mit ihm kämpfen!
Und wie der Mann gerüstet stehen soll,
Zum Streite gegen äuß're Feinde, also
Soll auch der Mensch gerüstet stehen gegen
Den innern Feind. Ihn tödten kann er nie,
Weil er ein schwacher Mensch auf Erden bleibt.
Ihn zähmen aber kann er.
Möge
denn
Ein solches Fest zum Fest der Herzen werden,
Daß jedes Herz der Gegenwart sich freue.
Des Tages friedlich' Glück dankbar erkenne,
Und Feinde liebevoll zu Freunden mache!
Von Außen Friede, und von Innen Ruhe!
Wer das erreicht, erreicht das höchste Ziel
Für Sterbliche. Ja, mög' ein gut' Geschick
Von jedem Feinde günstig uns befrei'n!
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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