10. Herbert und Toni

Aus Norden flog ein schwarzes Weib,
Ist Cholera geheißen,
Vom Herrn des Lebens ausgesandt,
Viel' Bande zu zerreißen;

Und wo sie an ein Lager tritt,
Die langen Flügel rüttelt,
Da wird ein schauderhaftes Gift
Wie Thau herabgeschüttelt;

Und wo sie kreischend Wehe ruft,
Da fliehen, die es hören;
Es will die Angst für's liebe Selbst
Sich gegen die Pflicht empören.

Da fällt vom Herrn der Diener ab,
Vom Freund der Freund; sie zittern,
Weil sie den eig'nen Grabesgruß
Im Kranken-Antlitz wittern.

Doch Lieb' und Treue zittern nicht,
Die fürchten keine Gefahren,
Die werden auch in Nacht und Sturm
Des Herzens Pflichten bewahren.

Wer liegt auf jenem weißen Bett,
Mit Schmerzgeschrei und Krampfe,
Wer ringet da so fürchterlich
Im letzten schweren Kampfe?

Ach, Ida ist es, Ida ringt,
Vom gift'gen Pfeil getroffen,
Sie windet sich verzweiflungsvoll,
Kann nur auf's Ende hoffen.

Wer aber sind die Zwei, die steh'n
Als Pfleger ihr zur Seite?
Der Eine, der treue Herbert ist's,
Die treue Toni die Zweite.

Sie fürchten nicht den gift'gen Hauch
Aus so geliebtem Munde;
Sie fliehen nicht den Pestgeruch
Und Schweiß der letzten Stunde.

Sie lindern nur, sie laben nur,
Verdrossen sieht man Keinen,
Sie nehmen sich nicht einmal die Zeit
Zum Klagen und zum Weinen.

Sie geh'n in Lieb' und Sorgfalt auf,
Besiegen ihre Schmerzen.
Als Ida's Herz gebrochen ist,
Da brechen erst ihre Herzen;

Da brechen sie erst in Jammer aus,
Und machen sich Luft in Klagen; -
Was kann die schwache Menschenbrust
Für starkes Elend ertragen!?

O wenn ich doch ein Herrscher wär',
Im Glanze gold'ner Kronen,
Ich wollt' Euch ja mit Ordensstern
Und jedem Lohne belohnen.

Doch nein, die Liebe belohnt man nicht!
Ihr würdet's von Euch weisen;
Ihr seid belohnt durch Euren Sinn
Und könnt Euch glücklich preisen!

Beneidenswerth erscheint Ihr mir,
Wie Glücklichste je nur waren;
Doch eine Ordensschleife tragt:
Die sei von Ida's Haaren.

Ihr habt das erste Recht dazu,
Wir Alle werden's Euch gönnen,
Wenn auch ein Jeder sich beklagt,
Daß er's nicht erwerben können.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880

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