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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Das Vaterhaus
Melodie eines französischen
Liedes.
Welch ein Gefühl erregt mit selt'nem Bangen
In diesen Räumen mir die volle Brust?
O welche Gluth entzündet meine Wangen?
Ich weiß nicht, sind es Schmerzen? ist es Lust?
Hier war's, ja hier, wo sich des Kindes Leben
Entfaltend aus der Knospenhülle rang,
Wo in der Ahnung niegestilltem Streben
Der erste Ton der Liebe ihm erklang.
Hier hat der Hoffnung immergrüne Wiese
Vor meinem Angesicht wie Lenz gelacht;
Hier dufteten der Dichtkunst Paradiese,
Hier übte Jugend ihre Zaubermacht;
Hier war's, wo in der Freunde buntem Kreise
Jedwede Stunde neue Freuden schuf.
Und zu des Rundgesanges leichter Weise
Ertönte laut ein wilder Jubelruf.
Ja, diese Wände waren stumme Zeugen,
Wie sie ihn straucheln oder wanken sah'n,
Sein Knie vor manchem falschen Götzen beugen,
Von Knaben-Thorheit und von Jünglings-Wahn.
Er kehrt zurück, doch reicher nur an Schmerzen!
Noch steh'n die Mauern, noch das Vaterhaus;
Doch ach, gebrochen sind gar viele Herzen,
Und anders zieht er heim als einst hinaus.
Entblättert seh' ich meine Lieblingsbäume,
Vergebens lausch' ich auf ein trautes Wort;
Hier weh'n nicht mehr die alten Kinderträume,
Kaum kenn' ich noch den wohlbekannten Ort.
Wo seid ihr hin, Genossen früher Jahre?
Wo blüh'n die Blumen, die euch einst geschmückt?
Habt ihr zum Willkomm' nicht in eure Haare
Den Epheukranz, ihr Sänger, heut' gedrückt?
Seid ihr denn nicht zum schönen Fest versammelt?
Heran, o kommt, und schließt den muntern Kreis!
Ha, weh' mir, jene bleiche Lippe stammelt:
"Was willst du, Mann, von mir? ich bin ein Greis!"
Wo sind die Andern? - Ach, sie sind begraben,
Sie sind gesunken in Vergessenheit;
Sie leben fern; doch Alle, Alle haben
Die Schuld bezahlt der ungestümen Zeit.
Du stehst allein! Dahin sind deine Rechte
An eine lebensfrische Gegenwart;
Erkämpfe von neu werdendem Geschlechte
Auf's Neue erst, was dir begraben ward.
So hülle nun in deine düstern Schleier,
O sanfte Wehmuth, Herz und Busen ein;
Lass' mich zu der Erinn'rung Todtenfeier
Der theuren Heimat Thränengrüße weih'n!
Ihr aber, Blumen, die auf Gräbern schwanken,
Umsäuselt mich mit Blätter-Harmonie,
Und lös't mir alle traurigen Gedanken
In eines Nachklangs Wonnemelodie.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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