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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Der schottische Mantel
Melodie des Mantelliedes.
Wo kommst du, bunter Mantel, wohl,
O sprich, wo kommst du her?
Ja, du schwammst mit viel andern Gewändern
Aus entfernten, glückseligen Ländern
Ueber's wogende, weite Meer.
Und weißt du wohl, welch schönes Loos
In Deutschland deiner harrt?
Sanft gehoben von ihren Armen,
Wirst du, sie erwärmend, erwarmen,
Wenn der Frühling zitternd erstarrt.
Du darfst sie schützen warm und weich,
Umgeben die theure Gestalt;
Wollte Schnee uns im Mai noch erschrecken,
Auch beschneit, darfst du Schnee wohl bedecken,
Der lebendig entgegen dir wallt.
O Mantel, welch ein schönes Loos:
Unter dir schlägt ein edles Herz;
Was das Herz nur im Stillen gesprochen,
Dir vertraut wird's in heimlichem Pochen,
Sei es Ernst, sei es Schmerz, sei es Scherz.
Und plaudern sollst du nimmermehr,
Nein, sei ihr still und treu!
Darfst dich zärtlich doch an sie schmiegen,
Darum diene der Herrin verschwiegen,
Daß nie ihr Vertrau'n sie gereu'!
Doch wenn ein Band verloren geht,
Ein Band, das dich, Mantel, hält,
Bitte sie, daß sie mir zum Gedenken
In die Ferne dies Band möge schenken,
Als ein Band, das zusammen hält.
Und wenn ich dich einst wiederseh' -
Wann? weiß der Himmel nur! -
Sei noch frisch, sei noch schön zum Entzücken,
Nur lasse mich niemals erblicken
Auf dir einer Thräne Spur.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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