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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
51.
Die halbe Nacht war durchgezecht
Mit lärmenden Gesellen;
Jedweder Unfug scheint uns recht:
Viel' trunk'ne Lieder schwellen
Die übermüthig-freie Brust
Der wilden Bundesbrüder,
Und in der ungezähmten Lust
Erklingt es: Morgen wieder!
Wir zieh'n aus dem Gemach hinaus,
Wohl Mancher scheint zu wanken,
Ich mache mir bis an mein Haus
Gar mancherlei Gedanken.
Ich komm' an meines Hauses Thür,
Seh' Licht am Fenster blinken
Und trag' den Schlüssel doch bei mir?
Das will mich fremd bedünken!
Die Trepp' hinauf! - Die Treppe bebt -
Mir zittern die Gebeine;
Nie hab' ich solche Angst erlebt?!
Ich denk', es kommt vom Weine?
Vom Weine kommt's: Du bist berauscht:
Das war der Glanz von Lichtern! -
Die Klinke drückt, die Thüre rauscht -
Und plötzlich bin ich nüchtern,
Und seh' an meinem Schreibtisch da
Mich selber, bleich und düster,
Wie ich mich sonst im Spiegel sah! -
Da sitzt der Spuk, da lies't er;
Lies't still in einem alten Buch
Und spricht mit höhn'schem Munde:
"Woher kommt mir denn noch Besuch
Nach mitternächt'ger Stunde?"
Besuch? So schrei ich kreischend auf;
Besuch? Du Spuk der Hölle!
Zur Hölle 'rück nimm Deinen Lauf,
Und räume mir die Stelle!
Ich bin ich selbst, Du bist ein Schein
Von meinem bleichem Wesen;
Entfliehe! Lass' mich mir allein!
Ich will hier sitzen, lesen! -
Es weicht mir nicht, es wankt mir nicht,
Zieht nur die finstern Brauen;
Wie meines, zuckt auch sein Gesicht;
Es spricht: "Du machst mir Grauen!
Was hast Du, der Du mich verkennst,
An meine Form für Rechte?
Du bist ein Spuk, wie Du mich nennst,
Ich aber bin der Echte!"
Beweise - ruf ich bebend aus: -
Du Erster von den Teufeln;
Dann geh' ich in die Nacht hinaus,
Um an mir selbst zu zweifeln.
Hast Du die Leiden all' erlebt,
Die mir das Herz getroffen?
Hast Du wie ich geliebt, gestrebt
In unerfülltem Hoffen?
Hast Du, wie ich, Dein höchstes Glück
Verwelken seh'n im Keime?
Entschwanden Deinem trüben Blick
Der Jugend sel'ge Träume?
Hast Du geliebt mit reinem Sinn -
Zu hassen wirst Du wissen! -
Hat Dir der Tod die Königin
Des Lebens weggerissen?
Hast Du an ihrem Sarg geweint,
Des heißen Jammers Zähren?
Hast Du im dumpfen Schmerz gemeint,
Er werde ewig währen? -
"Ich habe nichts gemeint, Du Thor!
Ich fühle nichts als Trauer!
Weil ich mein höchstes Gut verlor,
Ist sie von ew'ger Dauer.
D'rum bleib' ich in der Zelle hier
Mit meinem Gram alleine;
Du aber suchst voll wilder Gier
Dir Trost in Lärm und Weine.
D'rum Du, der Du mich frech verkennst,
Nur Schaum sind Deine Rechte;
Du bist ein Spuk, wie Du mich nennst,
Ich aber bin der Echte!"
Da beugt' ich mich demüthiglich
Vor seines Schmerzes Reinheit,
Und schämte mich tief-innerlich
Der irdischen Gemeinheit.
Und ging hinaus und räumte ihm
Den Platz, den er erkoren:
Im Gehen weint' ich ungestüm
Aus Schmerz: daß ich geboren.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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