Grave,

Oberpastor in Riga.
(1840.)

Er hat an vielen Särgen die Hoffnung kund gethan,
Es werde die Begrab'nen ein neues Licht umfah'n;
Er hat in mildem Glauben sanft-tröstend mitgefühlt
Und mancher Thränen Gluthen durch geist'ges Wort gekühlt;
Er ging auch mir zur Seite den allerschwersten Gang
Und reichte mir die Rechte, die dankbar ich umschlang.

Heut' aber, wo zur Erde sein Leib getragen wird,
Die Schaar der Seinen jammernd, umflorten Blickes irrt,
Heut' wo sich das Gedränge All' der', die ihn verehrt,
Bei'm dumpfen Klang der Glocken laut weinend rings vermehrt,
Heut' wein' ich fern und einsam und schüttle nur mein Haupt,
In heißen Thränen klagend: wer hätte das geglaubt?

Ja, wer? als ich ein Liedchen zu seinem Fest gesandt,
Als ich so heit're Briefe empfing von seiner Hand,
Als wir die Hoffnung nährten, uns wieder bald zu seh'n,
In Gravenhof zu wandeln bei frischem Blütenweh'n? -
Statt dessen wird ihm heute sein Lager dort gemacht,
Wo er die bleiche Freundin zur letzten Ruh' gebracht.

Und an demselben Tage, zur Stunde fast genau,
Wo er vor einem Jahre am Sarg' der guten Frau
So redlich ausgesprochen, was ihm im Herzen sprach,
Stand still das Herz des Edlen, dieweil der Tod es brach.
Ihr Alle, die Ihr damals um Julien geweint,
Ihr war't zur letzten Stunde um Ihn, um Ihn vereint.

Vernahmt Ihr nicht ein Säuseln, wie es im Traum erklingt,
Wenn solcher Traum uns Kunde aus andern Welten bringt?
Sprach nicht in leisen Tönen, Euch Allen noch bekannt,
Die Stimme: "Freund, willkommen bei uns in unserm Land?
Der Tod hatt' uns geschieden, das Leben weiht uns ein,
Nur flüchtig war die Trennung, ewig ist der Verein?"

Sei es ein kindlich' Wähnen; uns bleibt ja weiter nichts,
In unserm trüben Schmerze, als Ahnung heit'ren Lichts.
Denn weil der Liebsten Leichnam vermodert in der Gruft,
Bau'n wir uns ihre Zukunft in's Reich der blauen Luft,
Und denken treu vereinigt, durch unsichtbares Band,
Die Seele mit der Seele, die sie auf Erden fand.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880

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