Gedichte.eu Impressum    

Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Karl von Holtei
Gedichte . 4. Auflage 1856



Phantasie

(1832.)

                              "Und dann, wenn die Zeit vorbei ist,
                              finden wir uns wie heute, und es ist
                              wieder im Frühling.
                                                                Jean Paul.


Heut' ist's ein Jahr, da waren wir vereint
Zu frohem Geistesfeste, heit'rem Mahle;
Da glänzte manch ein Stern, der lieblich scheint,
Aus reinem Gold in klingendem Pokale;
Da sangen wir den Stifter uns'res Bund's -
Denn der ihn weihte, hat ihn auch gestiftet
Durch geist'ge Herrschaft - doch der Hauch des Mund's,
Der Glück sollt' athmen, ward uns schon vergiftet.

Denn g'rad' an jenem Abend zog die Kunde
Der nahen Pest in uns're Mauern ein;
Wie sich die Fledermaus zur Dämmerstunde
Auf bösen Dünsten wiegt im Zwielichtschein,
So schwirrt' es uns um's Haupt, erregte Sorgen.
Klang auch dem "Heute" noch ein Vollaccord,
Doch Jeder bebt' im Innern vor dem "Morgen",
Und an den finst'ren Thoren stand der Mord.

Der Mord! So muß ich's nennen, wenn gewaltig,
Ansteckend, dräuend, doch mit leisem Schritt
Ein Ungeheuer, fremd und vielgestaltig
In's fromme Treiben stillen Glückes tritt;
Wenn es mit Argwohn jede Brust durchdringet:
"Wie wird der Deinen, wie Dein Schicksal sein?
Und wird das Band, das Herz mit Herz verschlinget,
Kein Riß treuloser Feigheit Dir entweih'n?".

Wir müssen sterben, wohl! und daß wir's müssen,
Das eben ist des Menschen wahrer Kern,
Das ist sein heiligstes, sein - einzig Wissen!
Doch ungewiß bleib' ihm das "Nah'", das "Fern"!
Wo aber Pest regiert mit Geierkrallen,
Glaubt Keiner mehr an heit're Gegenwart,
Und solcher scheinbar rohen Willkür fallen,
Dünkt auch dem Männlichsten, dem Frömmsten hart.

Dies denkend und erwägend, fühlt' ich Grau'n:
Solch Stiftungsfest gesellig zu begehen,
Den Freunden meine Schmerzen zu vertrau'n.
Mich sollen Einsamkeit und Nacht umwehen,
Ich will hinaus zum Wald, zum Zauberschloß,
Deß grüne Säulen in die Nebel ragen; -
Und wie ich's will, sitz' ich auch schon zu Roß,
Lass' ich mich schon hinaus in's Weite tragen.

Die Sonne sinkt, der Wald ist kühl und still -
Da, hinter mir vernehm' ich dumpfes Rauschen:
Es naht ein Reiter noch! Was er doch will?
Er starrt mich an, er scheint mich zu belauschen.
Ich kenn' ihn nicht, und doch, ich sollt' ihn kennen;
Er sieht so bleich. Welch herrliche Gestalt,
Welch Feuer-Auge! Uns're Pferde rennen,
Nicht reiten wir, wir fliegen durch den Wald.

Ich bin wie innerlich an ihn gebunden!
Nun wird es Nacht. - Am fernsten Himmelssaum
Verklingen Tage, scheint's, wie kurze Stunden,
Lös't Zeit und Raum sich auf in wirren Traum,
Hier herrschen Zauber. Doch ich bin gefangen,
Ich gebe mich. - Und plötzlich hält er an
Und sagt mit glüh'nder'm Blick und bleicher'n Wangen:
"Wo wähnst Du Dich? - Auf einem Schlachtfeld, Mann!"

Der Mond beleuchtet's, aber schwach. Es steigen
Aus feuchter Erde blut'ge Krieger auf.
Hier - da - und dort! Ihr grabesduft'ger Reigen
Zieht um uns her. - So Mancher starrt hinauf
Zum Himmel hoch! Aus Seufzern, Klagestöhnen,
Aus dumpfem Aechzen, Flüchen, webt ein Chor,
Ein Jammer-Chor sich und mit Geistertönen
Schlägt er erschütternd an mein inn'res Ohr:

"Warum, o Dichter, singt Ihr die Besiegten?
Beklagt und schmückt sie mit des Liedes Kranz,
Die Glücklichen, die sich in Wonne wiegten,
Und selig starben in des Nachruhms Glanz?
Sie kämpften für das heiligste der Güter,
Sie stritten für ein ewig Vaterland,
Und fielen so, des Hauses muth'ge Hüter,
Die Treu' im Busen und das Schwert zur Hand.

Sie sind die Seligen! - Was in Gedanken,
Im großen Reich der Geister lebt und wirkt,
Das überflieget enge Erdenschranken,
Mit denen Erdenmacht es gern umzirkt;
Das Vaterland ist nicht die kleine Scholle,
Auf der man Freuden anbaut oder Schmerz;
Es ist ein and'res, ist das treue, volle
Unsterbliche! - Es ist des Menschen Herz!

Wir aber, wir, die Sieger, wir entbehren,
Was jene trieb, beseelte: Geist und Sinn!
Wir zogen in das Feld der Kampfes-Ehren,
Nur blind-gehorchend, willenlos dahin.
Ein Riesenreich benennt uns seine Kinder,
Unendlich weit reicht seiner Grenzen Band,
Doch in dem ungeheuren Raum, nicht minder
Vermissen wir das Herzens-Vaterland.

Darum nicht Jene, die uns unterlagen,
Nein, uns besingt, Ihr Sänger, uns beweint;
Uns Aermsten weiht des Liedes fromme Klagen." -
Der Chor verstummt. Ein todter Held erscheint;
Wie er erscheint, verschwinden alle Schatten;
Meinem Begleiter nickt der Feldherr zu,
Lächelt ihn an mit tödtlichem Ermatten
Und sinkt zurück in seine lange Ruh.

Ein Deutscher war's! Ein Mann, den Viele preisen
Als edel, menschlich - wundersam genung:
Aus seinem Namen klingen Liederweisen
Der Kinderzeit, mir zur Erinnerung;
Denn jenes kleine Dorf, das ihn geboren,
War meine Heimat, wo des Knaben Glück
Mit Blumen spielte; - ach, es ist verloren,
Und keine Sehnsucht bringt es mir zurück. -

Nun, mein Gefährte, ungeduldig längst
Treibt weiter und wir flieh'n mit wildem Sausen
Wie Mitternacht; ein Sturmhauch scheint sein Hengst,
Er fährt dahin mit Schnauben und mit Brausen.
Bald stürzt mein Roß. Da hebt mit starker Faust
Der Führer mich auf seines. Diese Nähe -
Wie's auch in meinem Innern bangt und graus't -
Macht ruh'ger mich: als ob ich Frieden sähe.

Und wechselnd zieh'n vorüber viel' Gestalten,
Viel' Berg' und Thäler, saft'ger Fluren Grün,
Und and're Formen seh' ich werden, walten,
Seh' and're Bäume, and're Blumen blüh'n.
Wo sind wir nun? Hier wehen fremde Düfte.
Wo sind wir nun? Wär's gar im Orient?
Wär's gar im Land' der Pyramiden-Grüfte?
Nein, Spanien ist es, dessen Gluthmeer brennt!

Ja, Spanien ist es! Was bedeutet mir
Denn dieses Land, ein fernes, nie gekanntes?
Zwar kniet' ich oft im Geist vor seiner Zier:
Vor Lope, Calderon und dir Cervantes!
Was aber nun? Doch ach, schon wird mir's klar,
Zu einem Tempel ist der Hain gestaltet,
Dort strahlt ein prachtgeschmückter Hochaltar,
Ich athme Weihrauch, fromme Andacht waltet.

Und auf den Stufen jenes Hochaltars
Steht Calderon, ein Hoch-Amt zu verwalten.
Zu seinen Füßen - erster Raub des Jahrs -
Der sel'ge Freund, den wir so werth gehalten.
Er geht in Andacht auf, in Lieb' und Demuth -
O buntes Bild, wie rührst Du mich so tief,
Wie weckst Du auf die allerbängste Wehmuth,
Die - schon zurückgedrängt vom Leben - schlief!?

Ich kenne dich, du Bild! Und wenn befangen
Im Irrthum du gewallt - ich weiß es nicht! -
Doch rein und gläubig war Dein Gottverlangen,
Dein Irrthum nur ein liebliches Gedicht.
Lass' Dich ein Himmel, was Du suchtest, finden!
Wir suchen noch im Staub', wir irren All';
Du bist der Schau'nde jetzt! Wir sind die Blinden,
Umschwirrt von Lebensmüh' und Erdenschwall.

Mein eil'ger Führer deutet wieder: links!
Die Rast war kurz, zurück geht uns're Reise;
Gewärtig seines allerkleinsten Winks
Fliegt schon der Gaul - doch nicht auf vor'ge Weise;
Denn eben thun sich neue Welten auf,
Wir schweben über Meeres grüne Wogen,
Und auf den Wellen geht der Hufe Lauf; -
Kaum spürt das Aug' im Wasser leichte Bogen.

Ha - ecco Roma! - In der wunden Brust
Des armen Sängers lispeln alte Tage:
"Wir waren damals Kinder Deiner Lust,
Jetzt sind wir Eltern höchst gerechter Klage.
Weißt Du, wer hier begraben liegt?" - Ich weiß es,
Mein kranker Freund verblich - bald sind's zwei Jahr';
- "Dort ist sein Grab! Und dort, sieh' jenes Greises
Gebeugte Haltung, sieh' sein schneeig Haar!"

Der Meister! An des einz'gen Sohnes Grabe
Steht er und weint. - Er ist ja selber todt?
Welch seltsam düst'rer Anblick: mit dem Stabe
Gleicht er dem Pilger, der um Bettelbrod
Durch Länder schweift; im leinenen Gewande
Der hohe Mann! - Doch nein, ich irrte mich.
Es ist kein Stab, ein Scepter ist's! Am Rande
Des off'nen Grab's wirft er zu Boden sich,

Und steigt hinab in modervollen Grund,
Hinab zum Sohne! - Und es kommen Schatten,
Sie schaufeln Erde d'rauf! - Welch fester Bund:
Vater und Sohn, die sich für immer gatten.
Ein Schaufler aber nimmt den Scepter nun,
Und pflanzt ihn auf des Grabes frischen Boden,
Wo Beide, Sohn und Vater, drinnen ruh'n.
Aus diesem Scepter quillt ein Hauch, ein Odem,

Vordringen Blätter, Knospen, Blüten; ja,
Der Scepter wird ein Baum vor unsern Augen!
Die Vöglein zieh'n, die Bienen fern und nah',
Im Schwarm herbei, den Blütenduft zu saugen.
Ein and'rer Greis auf marmor'ner Empore,
Lenkt mit geübter, fester Freundeshand
Ein Requiem; besingt mit diesem Chore
Sich selbst und Ihn, den Freundschaft ihm verband.

Die Feiertöne leih'n uns neue Schwingen,
Wir schweben weiter - Ungarn wird berührt
Und Serbien. All' überall erklingen
Bekannte Laute nur. Mein Ritter führt,
Als wär' er heimisch dort, den Weg durch Auen,
Die lieblich er beschreibt. Ich kenn' ihn nun,
Ich wag' es, kühner schon, ihn zu beschauen,
Lass' meine Augen liebend auf ihm ruh'n!

Er ist's! Er ist's! So will ich ihn umarmen,
Er aber drängt mich sanft vom Pferd. Ich steh'
Auf festem Boden, fühl' mein Herz erwarmen,
Genesen von so tief empfund'nem Weh';
Er zieht ein Buch hervor - sein Werk - und lauschen
Will ich dem Wort, womit er mir es reicht -
Doch kaum vernimmt sein Hengst der Blätter Rauschen,
Als er gewaltig bäumt - und wild entweicht.

Nicht mehr ein Zaubergaul, mit Aether-Flügel -
Er wird zum Thier voll tückischer Gewalt;
Der Reiter kämpft - er wankt - verliert den Zügel,
Er stürzt - mich überläuft es grausend-kalt; -
Ich eil' hinzu - ich sind' ihn sterbend - höre
Den letzten Athemzug aus theurer Brust;
Mein Auge hüllet sich in Thränenflöre,
Entschwunden ist der Nacht-Gesichte Lust.

Die kalte Wirklichkeit erschüttert mich. - Doch seht:
Ein neues Wunder will sich schon erheben.
Der bleiche Ritter regt sich - ihn umweht
Ein Rosen-Blütenhauch mit warmem Beben;
Er richtet sich in voller Jugendkraft
Ein Heros wieder auf, sich uns zu schenken,
Geziert mit jeder edlen Eigenschaft
Um aller Guten Blick auf sich zu lenken.

Er lebt! Und ihn am Arm' kehr' ich zur Stadt,
Noch ist es Zeit, in diesen Kreis zu treten,
Der sich zu Wort und That versammelt hat;
In diesen Kreis von Hörern und Poeten.
Hier fühl' ich heimisch mich seit manchem Jahr,
Hier wird des Lebens Nacht zu sanfter Klarheit,
Hier wird des Liedes leise Ahnung wahr,
Denn in der Freundschaft wohnt die rechte Wahrheit.

Da bin ich nun bei Euch im frischen Leben.
Von meiner Brust streif' ich den bunten Traum;
Ich hätt' Euch Kunde gern davon gegeben,
Doch fürcht' ich zweifelnd: ich vermöcht' es kaum.
Mit mir jedoch erscheint mein kühner Reiter,
Der edle Ritter, der vom Tod' erstand,
Der - wie wohl außer ihm so leicht kein Zweiter -
Den nächsten Weg zu allen Herzen fand.

Ich bring' ihn Euch! Ihr wollt in seinen Zügen
Euch weiden, an dem lieben Angesicht?
Ihr schaut umher - und forscht - und straft mich Lügen
Und fragt: Wo wär' er denn? Wir seh'n ihn nicht?
O Freunde! Solch ein lebhaft Angedenken,
Wie ihm gebührt, kann für ihn selber steh'n;
Ihr müßt den Blick in Eure Seele lenken,
Da werdet Ihr, so wie er war, ihn seh'n.


  Karl von Holtei . 1798 - 1880






Gedicht: Phantasie

Expressionisten
Dichter abc


Holtei
Gedichte

Intern
Fehler melden!

Internet
Literatur und Kultur
Autorenseiten
Internet





Partnerlinks: Internet


Gedichte.eu - copyright © 2008 - 2009, camo & pfeiffer

Phantasie, Karl von Holtei