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Karl von Holtei
Gedichte
. 4. Auflage 1856
Tafellied
zum Stiftungsfeste des Clubs
Amicitia et Fidelitas in Hamburg, aus Bremen eingesendet am 21. Januar 1849.
Mel. Schier dreißig Jahre bist du alt u.
Die Wege oft mit Schnee verweht,
Viel' Posten stehen still.
Was beginnt ein Wand'rer zum Feste,
Der die Freund' aus der Ferne auf's Beste,
Trotz dem Winter begrüßen will?
Er hegt in seiner warmen Brust
Ein dürftig-junges Lied;
Lehrt nach eigener Weis' es zu singen,
Macht ihm dünne bescheidene Schwingen,
Bis er's krabbeln und zappeln sieht.
Dann sagt er: Liedchen, fliege aus,
Durch die Nacht, über Schnee, über Eis;
Mußt nach Hamburg, du Kleines, itzunder! -
Aber ist's nicht wahrhaftig ein Wunder,
Daß solch' Würmchen zu finden weiß?
's gelangt bis zum Dragonerstall,
Setzt sich auf's nächste Dach;
Auf dem Dache, ohne Obdach, ach leider,
Hockt es zitternd, friert wie ein Schneider,
Denkt über sein Schicksal nach.
Jetzt schallet lauter Freude Chor,
In frohem Stiftung-Sang,
Aus hell erleuchteten Räumen;
Da vermag es nicht länger zu säumen,
Es schlüpft durch den Feuerfang!
Es kriecht bis in den Speisesaal,
Die Flügel von Nachtluft naß.
Doch fragt wohl Einer und der And're:
Ding, wer bist du? - Es piept nur: ich wand're
Und heiße Fidelitas.
Dies Wort geht rasch von Munde zu Mund,
Viel' Gläser kommen sich nah',
Und man sieht viel' lächelnde Lippen
An den klingenden Gläsern nippen,
Rings erklingt: Amicitia.
Kaum schallet dieses zweite Wort,
O seht, was dem Kleinen geschieht:
Es entfaltet wachsende Schwingen,
Und im Fluge hört man es singen:
Nun bin ich ein glückliches Lied!
Ich war ein armer kleiner Kerl,
Gering, verlassen, allein.
Nun mich Freundschaft und Treue gesungen,
Bin ich mächtig emporgedrungen
Und ich gehe zum Himmel ein.
Karl
von Holtei . 1798 - 1880
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