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Gesammelte Gedichte
162 Bücher



Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Die Mitgift

Ich ging am grünen Berge hin,
    wo sich der Weih im Aether wiegt
Und reisemüd der Sonnenstrahl
    ausruhend auf der Quelle liegt,
Wo wilde Rosen einsam blühn,
    die Föhre hoch den Gipfel kränzt
Und drüberhin noch eine Burg
    von weißen Sommerwolken glänzt.

Und wie in solcher Weihezeit
    der Herr der Welt schon zu mir trat,
Erschien er jetzo in des Bergs
    noch frisch ergrünter Eichensaat;
Der jungen Stämme schlanke Schaar
    umschwankte säuselnd seine Knie',
So groß und herrlich ging er her
    vor meiner regen Phantasie!

Sein Haupthaar war wie Morgengold
    und wallte gar so reich und schwer,
Und in den klaren Augen ruht'
    ein ätherblaues Liebemeer;
Ein Regenbogen gürtete
    sein Kleid mit edler Farbenlust;
Er trug 'nen duftigen Blütenstrauß
    von jungen Linden an der Brust.

Es traf mich seiner Augen Licht
    wie wolkenlos ein Tag im Mai,
Und als er meinen Namen sprach,
    erhob mein Haupt ich stolz und frei.
Ich wuchs und rankte rasch empor,
    daß ich mir selbst ein Wunder schien,
Und wandelte mit leichtem Schritt
    an Gottes hoher Seite hin.

Und nun erzählte plaudernd ich
    dem Herrn mein irdisch Tun und Sein;
Doch alles dies besteht ja nur
    in dir, du gutes Kind, allein!
Aus vollem Herzen sprach ich drum
    von dir, von dir die ganze Zeit;
Er aber spiegelt' lächelnd sich
    in meiner frohen Seligkeit.

Dann trug ich ihm auch klagend vor,
    wie ich so sehr ein armes Blut,
Und bat darauf um Haus und Hof,
    um Tisch und Schrein, um Geld und Gut,
Um Garten, Feld und Rebenland,
    um eine ganze Heimat traut,
Darin ich dich empfangen könnt'
    als myrtenschöne Schleierbraut.

Es mußte doch einmal geschehn,
    drum schilt mich nicht und werd' nicht rot!
Hör' an, was mir der Herr für dich
    für eine wackre Mitgift bot!
Er sprach: "Zu wenig und zu viel
    hast du verlangt, mein lieber Sohn!
Drum tu' ich dir noch viel dazu
    und nehm' ein wenig auch davon.

Nicht Haus und Hof verleih ich euch,
    doch meine ganze große Welt,
Darinnen ihr euch lieben könnt,
    wie's euren Herzen wohlgefällt;
Zwei jungen Seelen ist zu eng
    das größte Haus, sei's noch so weit;
Doch finden sie noch eben Raum
    in meiner Schöpfung Herrlichkeit.

Der ganze Lenz soll euer sein,
    so weit nur eine Blume blüht,
Doch nicht das allerkleinste Land,
    um das sich eine Hecke zieht.
Kein Prunkgetäfel geb' ich euch,
    kein Silberzeug, kein Kerzenlicht,
Weil sich ob Silberbronnenglanz
    Goldstern an Stern zum Kranze flicht.

Und Alles soll besonders blühn
    für euch und schöner, wo ihr geht,
Dieweil euch in mein Paradies
    ein eigen Pförtlein offen steht.
So führe deine junge Braut
    getrost in deine Wirtschaft ein,
Brautführer soll mein lieblichster
    und allerschönster Frühling sein!

Hofjungfer soll die Anmut sein
    bei deines Herzens Königin,
Ihr hübscher flinker Page sei
    ein immergrüner Jugendsinn!
Zum Haushofmeister geb ich euch
    ein unvergänglich Gottvertrau'n,
Es ist ein klug erfahrner Mann,
    und Felsen dürft ihr auf ihn bau'n!"

Ist unser Haus nicht gut bestellt
    und auserlesen das Gesind?
So zaudre nun nicht länger mehr
    und folge mir, du blödes Kind!
Ich glaub', auf deinen Wangen spielt
    vom Morgenrot ein Widerschein:
Sobald die Sonn' am Himmel steht,
    will ich als Freier bei dir sein.


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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