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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Drei Ständchen
I.
Vor einem Luftschlosse.
Schöne Bürgerin, sieh, der Mai
Flutet um deine Fenster!
Alle Seelen sind nun frei
Und es zerfließen der Tyrannei
Grämliche Gespenster!
In die Tiefe tauche kühn,
Ewige Jugend zu werben,
Wo die Bäume des Lebens blühn
Und die Augen wie Sterne glühn,
Droben bei dir ist Sterben!
Löse der Krone güldenen Glanz
Aus den Lockenringen!
Wirf sie herab, in klingendem Tanz
Einen duftigen Rosenkranz
Wollen wir froh dir schlingen!
Fühle, du Engel, dies heilige Wehn,
Das allmächtige Treiben!
Ja, dein Himmel wird untergehn
Und ein schönerer auferstehn -
Willst du ein Engel bleiben?
Nicht wie Luna in schweigender Nacht
Küßte den träumenden Schläfer;
Komm', wenn der sonnige Tag uns lacht,
Daß das alte Lied erwacht:
Königstochter und Schäfer!
II.
Einer Verlassenen.
Wir haben deinen tiefen Gram vernommen
Und sind in deinen Garten still gekommen,
Wir stimmen unsere Saiten mit Bedacht,
Erwartend lauscht die laue Maiennacht.
Zu deines Ungetreuen Reu' und Leide,
Zu deiner Nachbarinnen bitterm Neide,
Zu deiner Mutter Stolz und stiller Lust,
So wollen singen wir aus voller Brust!
Zünd' an dein Licht, daß unser Lied dich ehre
Und vor dem Sternenzelt dein Leid verkläre!
Noch gibt's manch' Auge, das in Treuen blitzt,
Manch' Herz, das noch an rechter Stelle sitzt!
Wohl selig sind, die in der Liebe leiden,
Und ihrer Augen teure Perlen kleiden
Die weißen Wangen mehr, als Morgentau
Die Lilienkelche auf der Sommerau.
Die Liebe, die um Liebe ward betrogen,
Glänzt hoch und herrlich gleich dem Regenbogen;
Zu seinen Füßen, die in Blumen stehn,
Da liegen goldne Schüsseln ungesehn.
III.
Schifferliedchen.
Schon hat die Nacht den Silberschrein
Des Himmels aufgetan;
Nun spült der See den Widerschein
Zu dir, zu dir hinan!
Und in dem Glanze schaukelt sich
Ein leichter dunkler Kahn;
Der aber trägt und schaukelt mich
Zu dir, zu dir hinan!
Ich höre schon den Brunnen gehn
Dem Pförtlein nebenan,
Und dieses hat ein gütig Wehn
Von Osten aufgetan.
Das Sternlein schießt, vom Baume fällt
Das Blust in meinen Kahn;
Nach Liebe dürstet alle Welt,
Nun, Schifflein, leg' dich an!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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