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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gesammelte Gedichte
162 Bücher



Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Feuer-Idylle

I.

Laut stürmt der Schall der Glocken durch die Nacht,
Und Schüsse dröhnen von des Berges Wacht;
In allen Gassen tönt's: es brennt! es brennt!
Und Jeder angstvoll an sein Fenster rennt.

Der erste Blick: ist es in unserm Haus?
Der zweite mindert schon den Schreck und Graus,
Wenn weit, o weit die "furchtbar schöne" Glut
Behaglich dort am fernen Himmel ruht.

Nun strömt der Neugier Bächlein ungehemmt,
Und ungewaschen wohl und ungekämmt,
Der ohne Strümpfe, Jener ohne Schuh',
Läuft alles dem willkomm'nen Schauspiel zu.

Und manchem ehrlichen Philister bangt,
Es könnte enden, eh' er angelangt;
Auch der Poet, er watschelt mit hinaus
Und sendet seinen Kennerblick voraus.

Da wallt vom Berg mit ungebrochnem Lauf
Die rote Lohe hell zum Himmel auf;
Von Feuerlilien ein gewalt'ger Strauß,
So blüht und glüht das große Bauernhaus.

Es ist die allerschönste Maiennacht,
Von Gold durchwirkt, tiefblau der Himmel lacht;
Eng zwischen Gärten ganz im Frühlingsflor
Zu Feuers Hofstatt führt der Weg empor.

Da sitzt der helle Geist auf seinem Raub
Und macht den morschen Kram zu Asch' und Staub;
Umsonst belästigt ihn der Menschenschwarm,
Er wehrt ihn ruhig ab mit glüh'ndem Arm.

Es brennt der Hof dem reichen Bauersmann,
Der nie genug seh'n und erraffen kann;
Längst hat der Sohn ein neues Haus begehrt,
Wogegen sich der Alte stets gewehrt.

Nun steht er da und schlottert jämmerlich,
Weiß nicht zu raten noch zu helfen sich;
Doch Alle sind in guter Sicherheit,
Kein Nachbarhaus gefährdet weit und breit.

Drum laß uns keck ein wenig näher geh'n,
Die heiße Wirtschaft besser zu beseh'n,
Zu lesen in des Feuers Angesicht
Und was es heimlich mit den Sternen spricht!


II.

Von Holz und Reisig eine hohe Wand
Seit langen Jahren um die Scheune stand;
Schon vieles macht' Verwitt'rung unbrauchbar,
Doch jeder Herbst bringt neue Lasten dar.

Der letzte Winter brachte große Not,
Und manche arme Wittwe frierend bot
Ihr armes Geld dem Mann für wenig Holz,
Er gab's nicht her in seinem Bauernstolz.

Nun flammt es auf in wildem Funkenflug
Mit Scheun' und Stall, Pferd, Wagen, Vieh und Pflug;
Die armen Weiber steh'n und schau'n es an
Und wärmen lächelnd ihre Hände dran.

Dies Lächeln mag die bleichste Blume sein,
Die zieren wird des Mannes Totenschrein. -
Weh' dem, der solchen Blütenflor gesät,
Wenn einst die Saat in reifen Früchten steht!


III.

Von alter Zeit her war des Hauses Wand
Von wuchernd dichtem Epheu überspannt;
Den liebt' der Bauer, sonst so liebeleer,
Weil er so gierig, alt und zäh, wie Er!

Nun brennt das dunkle Unkraut lichterloh
Und flackert in der Luft wie leichtes Stroh;
Wer glaubte, daß der alte, schwere Kranz
So lustig hielte seinen Totentanz?

Oho, was fliegt für Ungeziefer aus?
In ganzen Schwärmen flieht die Fledermaus!
Kreuzspinnen, Käfer, was da kriechen mag,
Erlebt im Feuer seinen jüngsten Tag.

Was von Gespenstern und von Koboldsbrut,
Von alten Sünden auf dem Hause ruht,
Und was es sonst für Spuk und Sagen gab,
Brennt mit den dicken Epheuranken ab.

Was mag wohl schimmern dort, und, seh' ich recht?
Was löst sich aus dem brennenden Geflecht
Und poltert da zu meinen Füßen her?
Ein tüchtig Kruzifix von Silber schwer!

Einst riß der Ahn, es sind dreihundert Jahr',
Das Bild als Bilderstürmer vom Altar;
Es blieb im grünen Rankenwerk versteckt,
Nun endlich hat's das Feuer aufgedeckt.

Zwar munkelt man, daß in verschloss'ner Brust
Die Enkel jederzeit davon gewußt:
Sie hätten's nächtlich auf den Tisch gesetzt
Und sich an dem Geflunker oft ergötzt.

Eins tut mir leid: manch' zierlich Schwalbennest
Hing traulich in den wirren Ranken fest;
Wenn nun die liebe Schwalbe wiederkehrt,
So findet sie ihr kleines Haus verheert.

Doch tröste dich, o Vöglein altvertraut,
Ist erst der neue Giebel aufgebaut,
G'nug Winkel noch und Ecken findest du,
Daran du bauen kannst in guter Ruh!


IV.

Da ist ein Buch, geschwärzt und halb verbrannt,
Wonach der Mann in Todesangst gesandt;
Ein Jüngling wagte dran sein junges Blut
Und trug's mit kecken Händen aus der Glut.

Und gierig stürzt der Mann sich auf das Buch
Und - wirft es weg mit einem derben Fluch;
Sein dickes Schuldnerbuch hat er gemeint,
Nun liegt die Bibel vor dem guten Freund!

Wie arg und undankbar ist diese Welt!
Wie schmählich nun der alte Mann sich stellt!
Erinnert ihn die Bibel nicht mehr dran,
Wie gütlich er sich oft an ihr getan?

Wenn er am Sontagabend vor ihr saß
Und schmunzelnd dann von dem Kamele las,
Dem Nadelöhre und dem Himmelreich,
Wie ward ihm das Gemüt da froh und weich!

Wie manchen Bettler, hungerig und matt,
Macht' er mit schönen Bibelsprüchen satt,
Beteuernd hoch und feierlich dabei
Daß dies das wahre Brot des Lebens sei!

Nun liegt das alte Buch zertreten hier,
Im Feuer blieb der Spangen Silberzier,
Zerriss'nen Angesichtes liegt im Kot
Das einst so hochgepries'ne Lebensbrot.


V.

Und Einer kommt und raunt mit trübem Mut,
Wie rettungslos ein königliches Blut,
Indeß das Haus in Rauch und Schutt verfliegt,
Tief unter ihm in schnöden Banden liegt.

Goldfarbner Löwe, seufzt der edle Wein,
Seit Jahr und Tag im dunklen Eichenschrein,
Und ob ihm trampelte der geiz'ge Wicht,
Ließ keinen Tropfen an das Tageslicht.

Wenn still der Sonnenschein das Haus umfing
Und singend ein Gesell vorüberging,
Ein fröhlich Dürstender mit warmem Blut,
Dann wallt' es unten auf mit süßer Wut:

O laßt mich an des Tages heitern Blick,
Ich bring' euch Freiheit, Freude, Lieb' und Glück!
Laßt schäumend mich entgegensprühn dem Lied,
Das aus der frohen Menschenkehle zieht!

Umsonst verhieß er reichen Minnelohn,
Gefesselt blieb der goldne Sonnensohn;
Nicht wahr, ihr Alle, die ihr Herrscher heißt,
Es ruht sich wohl auf unterdrücktem Geist?

Nun wankt und stürzt das morsche Sündenhaus,
Doch unter seinen Trümmern atmet aus,
Vergessen, was so lang das Licht gesucht. -
Heil unsrer jungen Reben süßer Frucht!


VI.

Ein Apfelbaum in voller Blüte steht,
Ein leichter West in seinen Zweigen weht;
Er schaut, verklärt vom blendend roten Schein,
Verwundert in den wilden Brand hinein.

Es ist, als ob der helle Glanz ihn freut',
Weil Blütenblätter in die Glut er streut;
Er atmet ein des Feuers heißen Hauch,
Durch seine Krone zieht der schwarze Rauch.

Da plötzlich langt herüber aus dem Brand
In seine Aeste tief die Flammenhand,
Zu Kohlen brennt der schöne Blütenbaum -
Hin ist ein dichterlicher Lebenstraum!


VII.

Dort gegen Westen, traulich unter'm Dach
Liegt froh und abgeschieden das Gemach,
Das sich des Hauses Töchter jederzeit
Zu ihrem Allerheiligsten geweiht.

Es ist ein eng und niedrig Kämmerlein
Mit runden Scheiben und uraltem Schrein,
Drin Putz und Mädchenkleinod aller Art,
In buntbemaltem Schachtelwerk verwahrt.

Am Fenster steht das Spinnrad und davor
Auf einem Brett der lang gehegte Flor,
Levkojen, Nelken, Rosen ohne End',
Und wie man all das lose Zeug benennt.

Manch nächtlich Lied hat hier hinaufgetönt,
Und jene Fensterchen sind dran gewöhnt,
Geräuschlos blinkend, heimlich aufzugeh'n,
Geöffnet halbe Nächte durch zu steh'n.

Und manche Leiter wurde aufgetürmt,
Die stille Liebeswarte kühn gestürmt;
Ob stets das Rosengitter widerstand,
Gehört zu den Geheimnissen im Land.

Auch jetzt ist eine Leiter angelegt,
Die einen Schwarm berußter Männer trägt;
Im roten Mantel stürmet in die Tür
Ein Freiersman mit flammendem Panier.

Und vor ihm fährt ein Knäuel, wirr und kraus,
Erschreckter Liebesgötter fliehend aus;
Das flattert irrend in der Frühlingsluft,
Auch riecht es, wie verbrannten Ambers Duft.

Das ganze Fenstergärtlein stürzt herab
Und find't in einer Höllenglut sein Grab;
So ging's den Gärten der Semiramis
Und ging es noch mit jedem Paradies.


VIII.

Welch' lieblich Wunder nimmt mein Auge wahr?
Dort fließt ein Brünnlein, gar so frisch und klar,
Ein holzgeschnitzter Meergott gießt den Trank
In eine ausgehöhlte Eichenbank!

Der Westwind hat die Glut herangeweht,
Der alte Gott in vollen Flammen steht,
Und aus der Feuersäule quillt der Schwall,
Des Wasserstrahls lebendiger Krystall!

Wie fröhlich tönt der schöne Silberstrang,
Gleich jenem Kleeblatt, das im Feuer sang!
Du klares Leben, ew'ger Wellenschlag,
Was sendet aus der Tiefe dich zu Tag?

Ich glaubt', ein Brunnenhaus sei feuerfest,
Nun ist ein Häuflein Kohlen hier der Rest!
Die Quelle aber rieselt frisch und rein
Auch über Kohlen in die Welt hinein.

Wer weiß, wie lange schon der Bergquell springt?
Wer weiß, wie lang er noch zum Lichte dringt?
Auf, schnitzelt einen neuen Brunnenmann,
Der wieder hundert Jahr ihn fassen kann!


IX.

Zu loben ist der Männer kühner Mut,
Womit sie ringen, aus der Feuersglut
Zu retten, was man irgend retten kann,
Doch ist nicht redenswert, was man gewann.

Das Beste ist ein alter Totenkranz,
Erinnerung an froher Jugend Glanz,
An den, wie ein verstummter Harfenton,
In voller Hoffnung früh verblichnen Sohn.

Mit welken Blättern liegt er in der Au,
Und auf ihn fällt der kühle Maientau;
Die blassen Bänder wehn im Morgenwind,
Daneben fröstelnd wacht ein schwaches Kind.

Wie leicht und dürr der alte Kranz mag sein,
Man wird ihm wieder eine Stelle weihn
Im neuen Bau, hoch an der Stubenwand,
Als des Vergang'nen letztem leichten Pfand.

Da wird er still auf's junge Leben seh'n
Und dieses ehrend ihm vorübergeh'n,
Bis, was einst grün war, endlich ganz zerstiebt
Und man den nackten Reif dem Feuer gibt.


X.

Die Flamm' ist tot, der Krater ist verglüht,
Die Himmelsrose drüber aufgeblüht;
Sie glänzt auf Asche, wo die Wohnung stand,
Verschwunden ist das morsche Werk der Hand.

Woran der Mensch ruhlos die Hände legt,
Und was er diebisch scheu zusammen trägt:
Hin ist nun alles, was nach Richt' und Maß
Gefügt, gebunden auf einander saß.

Doch ihr erglänzet mir unwandelbar,
Ihr Morgenlande, wonniglich und klar!
Ihr Berg' und Täler rings im Knospendrang,
Voll Quellenrauschen und voll Vogelsang!

O Ueberfülle, die zum Lichte schwillt,
O Blütenwirbel, der da überquillt
Und überwuchert, wo die tote Hand
Mit ihrer Spanne mißt das reiche Land.

Das ist die Nachhut, die den Rücken deckt;
Drum auf zum Werke, Menschheit, unerschreckt!
Bau' auf, reiß nieder und bau' wieder auf:
Das Jahr geht immer seinen Segenslauf!


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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