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Gesammelte Gedichte
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Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Auf das eidgenössische Schützenfest

1872.

Im Laube weht der Sommerwind
Und über das Halmenmeer,
Da naht mit ihrem Festgesind
Die Fahne Freudenschwer!
Da wallt das Völklein Wohlgetan,
Der Schalk zieht mit dem Biedermann
Froh hinter ihr einher.

Halt! Steckt das Banner auf den Turm:
Hie Schweizerland zehn Tag',
Zehn Tage lang Gemütersturm
Und Vaterlandsgelag!
Doch in der Brandung lautem Spiel
Sucht still der Schütz sein altes Ziel,
Der Schütz vom alten Schlag.

Ihr Andern aber heuchelt nicht
Und gebt euch, wie ihr seid,
Und eh' das Herz vor Schweigen bricht,
Verkündet euer Leid!
Der Weise spreche warm erregt,
Der Schwätzer schwatze tief bewegt
In seinem Narrenkleid!

Und zürnt ihr, sei die Hand geballt
Von echtem Freundeszorn:
Sie öffnet sich, sobald erschallt
Das alte Wunderhorn!
Wir dürsten All' nach Einem Trank
Und baden alle, wenn wir krank,
In Einem klaren Born!

Die Freiheit gibt sich nicht in Pacht,
Sie folgt nicht Einem Mann
Und hat noch immer den verlacht,
Der sie zu fangen sann,
Das einz'ge Weib, dem gut es steht,
Wenn es mit tausend Männern geht,
Vertraut in Ring und Bann.

Die wilden Rosen auf dem Hut,
Läßt sie die Augen geh'n;
Dann braust verwirrt der Männer Blut,
Daß sie sie doppelt seh'n.
Und wie das Volk im Streite ringt,
Sie ordnend ihre Fahne schwingt
Und läßt's im Reih'n sich dreh'n.

Nun seid gegrüßet Mann für Mann,
Die Festfanfare schallt!
Nun treib' es jeder, wie er's kann,
Ein Rufer in den Wald!
Getrost vergeßt des Tages Not,
Bis daß im zehnten Abendrot
Der letzte Schuß verhallt!


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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