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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Cantate
zum
50 jährigen Jubiläum der Hochschule Zürich.
Das Urmaß aller Dinge ruht
In Händen nicht, die endlich sind,
Es liegt verwahrt in Schatzgewölben,
Die kein vergänglich Auge schaut.
Wir führen Waage, Stab und Uhr,
Und was wir wägen, schwindet hin;
Darum mit ehrerbiet'ger Scheu
Gebrauchen wir das Maß der Zeit,
Und rufen hoher Jahre Zahl
Mit Weihefesten an.
Ein halbes Jahrhundert
Was ist es, ihr Brüder?
Ein Hauch, wie ein ganzes
Und wie ein Jahrtausend!
Doch wenn es das erste,
Dann winden wir schmeichelnd
Und rühmend den Kranz.
Das eig'ne Erinnern
Umfängt uns die Seele,
Die Jahre der Jugend
Sind lange dahin,
Indessen die neuen
Geschlechter erblühten.
Es ragt uns die Burg mit
Den Aemtern des Wissens,
Wir sah'n noch die Stifter,
Und sah'n die Genossen
Die Halle durchschreiten,
Geschlecht auf Geschlecht.
Wo sind sie geblieben,
Sie all', die gekommen
Und wieder geschieden,
Zu lehren, zu lernen?
Sie ruhen in Gräbern,
Zerstreut auf der Erde,
Und hier in der Heimat.
Doch Mancher, er hält noch
In schneeigen Locken
An fernen Altären
Der Weisheit die Wacht;
Getreulich geh'n and're,
Als Bürger ergrauend,
Mit uns noch zum Forum.
Kein fürstlicher Reichtum,
Kein Erbe der Väter
Erhält uns die Schule;
Auf schwankem Gesetze,
Sie steht in den Aether
Des täglichen Willens,
Des täglichen Opfers
Des Volkes gebaut!
Doch um so lichter stehet
Und schirmet uns das Haus,
So lang ein Geist nur gehet,
Ein guter, ein und aus.
Reich' immer froh dem Morgen,
O Jugend, deine Hand!
Die Alten mit den Sorgen
Laß auch besteh'n im Land!
Ergründe kühn das Leben,
Vergiß nicht in der Zeit,
Daß mit verborg'nen Stäben
Mißt die Unendlichkeit!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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