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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Die Schifferin auf dem Neckar
1849.
I.
Wir standen an rauschender, schwellender Flut,
Wir sieben Gesellen mit siedendem Blut,
Vom Weine entzündet, voll Leben und Lust;
Hol über! ertönt' es aus jauchzender Brust.
Da kam eine Schifferin rüstig heran,
Sie faßte das Ruder und wandte den Kahn;
Wir sprangen mit Mutwill und Lachen hinein,
Fast war der gebrechliche Nachen zu klein.
So stieß sie vom Land in die Wogen hinaus,
Die Mitte des Stromes war weißlich und kraus;
Wir brachten mit Schaukeln das Schifflein in Not,
Doch ruhig und aufrecht regiert' sie das Boot.
Mit Schmeicheln und Scherzen belagerten wir
Die wehrlose Maid, und es hingen an ihr
Die glühenden Blicke, doch ihnen vorbei
Schaut' sie auf die Wasser so kühl und so frei!
Zuletzt in den Lüften entbrannte die Lust,
Zu stehlen der Jungfrau das Tuch von der Brust,
Und Worte und Augen und Wellen und Wind,
Sie gaben zu schaffen dem kämpfenden Kind.
Und siegreich erreicht' sie den anderen Strand
Und setzt' uns mit klopfendem Herzen ans Land;
Dann wandte sie leicht in den Strudel zurück
Und sah auf die Wasser mit heiterem Blick.
II.
Es ringen die Ströme gewaltig zu Tal,
Die Deutschen nach Einheit mit Feder und Stahl;
Der Neckar erreichet den wallenden Rhein,
Doch ewig muß deutsche Zerrissenheit sein.
Die feindlichen Stämme, sie stritten im Land,
Die Preußen, die Hessen, die Baiern zu Hand
Verfochten mit blutiger Mühe den Tron,
Die Badischen sind gegen Süden gefloh'n.
Am Strand blieb ein Häuflein Rebellen zurück,
Die finden zum Flieh'n weder Furten noch Brück',
Vom Rotweine trinken die Neige sie noch
Und bringen voll Wut ihrem Hecker ein Hoch.
Da kracht es vom Walde, da blinkt es vom Berg,
Es flüchtet der Fischer, es birgt sich der Ferg;
Ja blickt nur, ihr wilden Gesellen, euch an!
Wohl ist es um euere Köpfe getan!
Schon schimmert durch Bäume der Helm und der Speer,
Es fliegt der Husar auf der Straße daher;
Die Schifferin drüben steht einsam am Bord,
Schon schwenkt sie das Ruder, schon ist sie am Ort.
Sie springen mit bleichen Gesichtern hinein,
Fast ist der gebrechliche Nachen zu klein;
Mit Männern und Waffen zum Sinken beschwert,
Hat sie schon das Schiff in die Fluten gekehrt.
Das ist eine düst're Gesellschaft im Boot,
Wie Blut weht am Hute die Feder so rot,
Zerrissen die Bluse, geschwärzt das Gesicht,
In den Augen flackert das Totenlicht!
Ein dürftiges Fähnlein im Winde sich rollt,
Aus schlechtem Kattun, das ist schwarz rot und gold;
So treibt auf den Wellen der schwankende Kahn,
Die Schifferin sucht ihm die rettende Bahn.
Und wie sie die Mitte des Flusses erreicht,
Schon Kugel auf Kugel das Wasser bestreicht;
Sie schlagen in's Ruder, sie schlagen in's Schiff,
Es schweift um die Ohren der gräulige Pfiff.
Da recken die Bursche sich fluchend empor,
Und schnell fährt der schlummernde Blitz aus dem Rohr;
Sie stemmen den Fuß auf den schwebenden Rand
Und laden und senden die Kugeln an's Land.
Es rieselt im Nachen die purpurne Flut,
Die Schifferin steht in dem tanzenden Blut;
Scharf streift ihr der Tod an den Brüsten vorbei,
Das Aug' hängt am Ziele nur sicher und frei.
Schon führt sie zerschossene Leichen an Bord,
Und bleicher nur kämpfen die Lebenden fort;
Das Fähnlein verschwindet und flattert auf's neu',
Fest steht nur die Jungfrau und steuert getreu.
Und endlich gewinnt sie die schützende Bucht,
In Hohlwegen bergen die Letzten die Flucht;
Wo nächtliche Diebe und Wilderer geh'n,
Verliert sich des Deutschpaniers klagendes Wehn.
Die Maid aber legt jetzt das Ruder zur Ruh
Und drückt ihren Toten die Augen zu.
Sie ziehet den schwimmenden Sarg auf den Sand
Und setzt ihren Fuß auf den blutigen Rand.
Da hat doch ihr Herz ein Erbeben gefaßt,
Da erst sind die rosigen Wangen erblaßt;
Das ruhvolle, kühle, das klare Gemüt
Hat Ein Mal in zitternden Flammen geglüht!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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