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Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Eröffnungslied am eidgenössischen Sängerfest 1858

Wir haben hoch im Bergrevier
Den Tannenwald gehauen,
D'raus euch in rot und weißer Zier
Das Wanderzelt zu bauen.
Herein, was nun die Halle faßt,
O Schweizerkind! Du deutscher Gast!
Und wie's im Bergwald kühn erklang,
Laßt rauschen hier den Männersang!

Die grauen Adler schrieen wild,
Seit wir zuletzt gesungen,
Da ist der Freiheit Silberschild
Gar hell und rein erklungen!
Wir kehrten ein in's eig'ne Herz,
Da löst sich jeder Groll und Schmerz,
Da hatte sich die Treu' gelohnt,
Der Rat, der stät im Manne wohnt.

Es ward geraten, ward gebraut
Auf aller Herren Gassen;
Doch Jeder tat da, still wie laut,
Was er nicht konnte lassen!
Ein Mehrer seines Reichs zu sein,
Dünkt sich der Fürst im roten Schein;
Wir mehrten nur im Heimatland
Den Menschenwert mit reiner Hand!

Erhebt die Stimmen froh und hell!
Ringt um des Preises Schale!
Dann setzt euch an den Purpurquell,
Singt abermals beim Mahle!
Und singt: Das Land ist eben recht,
Ist nicht zu gut und nicht zu schlecht,
Ist nicht zu groß und nicht zu klein,
Um d'rin ein freier Mann zu sein!

Wie grüne Au'n im Firnenschnee
In alter Zeit verschwunden,
So hat noch jedes Volk das Weh
Des Endes auch empfunden;
Doch trotzen wir dem Untergang
Noch langehin mit Sang und Klang!
Noch halten wir aus eig'ner Hand
Dich hoch empor, o Vaterland!


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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