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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Rheinbilder
I.
Das Tal.
Mit dem grauen Felsensaal
Und der Hand voll Eichen
Kann das ruhevolle Tal
Hundert andern gleichen.
Kommt der Strom mit seinem Ruhm
Und den stolzen Wogen
Durch das stille Heiligtum
Prächtig hergezogen,
Und auf einmal lacht es jetzt
Hell im klarsten Scheine,
Und dies Liederschwälbchen netzt
Seine Brust im Rheine!
II.
Stillleben.
Durch Bäume dringt ein leiser Ton,
Die Fluten hört man rauschen schon,
Da zieht er her die breite Bahn,
Ein altes Städtlein hängt daran.
Mit Türmen, Linden, Burg und Tor,
Mit Rathaus, Markt und Kirchenchor;
So schwimmt denn auf dem grünen Rhein
Der goldne Nachmittag herein.
Im Erkerhäuschen den Dechant
Sieht man, den Römer in der Hand,
Und über ihm sehr stille steht
Das Fähnlein, da kein Lüftchen geht.
Wie still! Nur auf der Klosterau
Keift fernhin eine alte Frau;
Im kühlen Schatten neben dran
Dumpf donnert's auf der Kegelbahn.
III.
Frühgesicht.
Es donnert über der Pfaffengass'
Des weiland heil'gen römischen Reiches
Wie Gottes Heerschild jähen Streiches;
Der Morgen dämmert rosig blaß.
Und wie der Schlag weithin verhallt,
Wogt eine graue Nebelmasse,
Als zög' ein Heervolk seine Straße,
Das auf den Wassern endlos wallt.
Im Zwielicht raget Dom an Dom,
An allen Fenstern lauscht's verstohlen;
Doch auf gedankenleichten Sohlen
Vorüber eilt der Schattenstrom.
Das rauscht und tauschet Hand und Kuß,
Der Sturmhauch rührt verjährte Fahnen
Wie neues Hoffen, altes Mahnen,
Erschauernd wie ein Geistergruß.
Was brav und mannhaft ist, vereint
Zieht es, den letzten Streit zu schlagen;
Er klirrt zu Fuß, zu Roß und Wagen,
Zum Freunde wird der alte Feind,
Und neben Siegfried reitet Hagen.
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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