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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Schütz im Stichfieber
1859.
Geh', gewinn' mir Geld in's Haus!
Sprach das böse Weib zum Schütz;
Er gewann, in Saus und Braus
Bracht er's durch, der gute Schütz;
Denn er dacht', noch mancher Schuß
Bleibt mir für das böse Weib,
Bleibt mir für den Hausverdruß -
Jetzo gilt's dem Zeitvertreib!
Becher, Uhr und blankes Geld,
Alles schlug er durch, der Schütz,
Manchen Beutel leert der Held,
Stets gewann er neu, der Schütz,
Schenkt die Uhr der schönen Dirn'
Recht zum Hohn dem bösen Weib;
In den Bechern klar und firn
Perlt' der Wein zum Zeitvertreib.
Also trieb er's Tag und Nacht,
Bis zu End' das große Fest
Und die bitt're Reu' erwacht,
Weil er denkt an's Drachennest,
Wo der böse Drach' ihm haust,
Der nur Gold und Silber frißt;
Und dem guten Schützen graust,
Da er die Gefahr ermißt.
Blieb ihm noch ein Schuß zur Hand
Und noch zehn Minuten Zeit
Für den Stich in's "Vaterland" -
Ach wie scheint die Scheibe weit!
Hell vom Tempel blinkt der Gruß
Goldgefüllter Silberschal':
Sie gewinn' ich, weil ich muß,
Denn es bleibt mir keine Wahl!
Vater Tell im Himmelszelt!
Bied'rer Schütz in Gottes Schooß!
Lenk' dein Falkenaug' zur Welt,
Hilf mir, denn die Not ist groß!
Mach' den Willen fest und frei,
Reglos sicher meine Hand!
Sind die Zeiten denn vorbei,
Da man Meisterschüsse fand?
Und er schlägt bedächtlich an,
Zielet lang, der gute Schütz;
Was verwirrt ihm Sinn und Plan?
Setzt er ab, der gute Schütz?
Und er starret bleich und fremd,
Starret sprachlos nach der Scheib' -
Denn im roten Zeigerhemd
Sah er gaukeln dort sein Weib.
Niemand sah's, als er allein,
Und er sieht's, so oft er zielt!
Macht's die Angst, ist es der Wein,
Der ihm das Gehirn bespühlt?
Zweimal, dreimal schlägt er an,
Zitternd stark am ganzen Leib -
Immer tanzt auf grüner Bahn
Grad' im Schuß das rote Weib.
Und die Sippe kommt zur Stell',
Freunde, Vettern rings herum,
Büchsenmeister und Gesell,
Lader, Warner grad' und krumm!
Ei welch' ein berühmter Schütz,
Der so viel Clienten hat,
Die ihm dienlich sind und nütz,
Jeder gibt ihm guten Rat!
Dieser untersucht das Schloß,
Jener dreht ein Schräubchen an,
Der gebietet Ruh dem Troß
Und ein and'rer spannt den Hahn,
Und der fünfte flößt ihm Mut,
Doch der sechste stellt sich bang,
Und der sieb'te hält den Hut
Vor den Sonnenuntergang!
Endlich doch ermannt er sich,
Zielt in Wut, der gute Schütz,
Und die Freunde, feierlich,
Sie umsteh'n den kühnen Schütz,
Und er sieht das böse Weib,
Schließt die Augen - sei's weil's muß!
Und er drückt - fort ist das Weib
Und zum Teufel ist der Schuß!
Eben dröhnt Kanonenknall,
Feierabend Schütz und Rohr!
Tausendfacher Gläserschall!
Klangvoll schließt des Tages Tor!
Klanglos mit gebeugtem Mut
Heimwärts wallt der arme Wicht -
Sich zur Freude schoß er gut:
Für den Geiz gelang's ihm nicht.
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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