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Gesammelte Gedichte
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Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Vier Jahreszeiten

Und wieder grünt der schöne Mai,
O dreimal selige Zeit!
Wie flog die Schwalbe froh herbei,
Als ob ich mitgeflogen sei,
War mir das Herz so weit!

O linde Luft im fremden Land,
Auf Bergen und Gefild!
Wie reizend fand ich diesen Strand,
Allwo mein suchend Auge fand
Ihr leichthinwandelnd Bild!

Ich sah des Sommers helle Glut
Empörtes Land durchzieh'n;
Sie stritten um das höchste Gut,
Geschlagen muß das freiste Blut
Aus hundert Wunden flieh'n.

Kaum hört' ich in verliebter Ruh
Der schwülen Stürme Weh'n;
Ich wandte mich den Blumen zu
Und sprach: Vielleicht, mein Herz, wirst du
Ein and'res Herz ersteh'n!

Die Traube schwoll so frisch und blank
Und ich nahm beiderlei:
Mit ihrem Gruß den jungen Trank -
Und als die letzte Traube sank,
Da war der Traum vorbei.

Doch Jene, die zur Sommerszeit
Der Freiheit nachgejagt,
Sie schwanden mit der Schwalbe weit,
Sie liegen im Friedhof eingeschneit,
Wo trüb der Nachtwind klagt.


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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