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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Alte Weisen
I.
Mir glänzen die Augen.
Mir glänzen die Augen
Wie der Himmel so klar;
Heran und vorüber,
Du schlanker Husar!
Heran und vorüber
Und wieder zurück!
Vielleicht kann's geschehen,
Du findest dein Glück!
Was weidet dein Rapp' mir
Den Reseda dort ab?
Soll das nun der Dank sein
Für die Lieb', so ich gab?
Was richten deine Sporen
Mein Spinngarn zu Grund?
Was hängt mir am Hage
Deine Jacke so bunt?
Troll nur dich von hinnen
Auf deinem groben Tier
Und laß meine freudigen
Sternaugen mir!
II.
Die Lor' sitzt im Garten.
Die Lor' sitzt im Garten,
Kehrt den Rücken zumal
Und verbirgt mir der Augen
Himmlischen Strahl.
Ihr goldbrauner Haarwuchs
Weht über den Zaun;
Den Rotmund, das Weißkinn
Doch läßt sie nicht schau'n.
Sie lässet erklingen
Ihrer Stimme Getön;
O du boshafte Hexe,
Wie klingt es so schön!
III.
Du milchjunger Knabe.
Du milchjunger Knabe,
Wie siehst du mich an?
Was haben deine Augen
Für eine Frage getan!
Alle Ratsherrn der Stadt
Und alle Weisen der Welt
Bleiben stumm auf die Frage,
Die deine Augen gestellt!
Ein leeres Schneckhäusel,
Schau, liegt dort im Gras;
Da halte dein Ohr dran,
Drin brümmelt dir was!
IV.
Ich fürcht' nit Gespenster.
Ich fürcht' nit Gespenster,
Keine Hexen und Feen,
Und lieb's, in ihre tiefen
Glühaugen zu seh'n.
Am Wald in dem grünen
Unheimlichen See,
Da wohnet ein Nachtweib,
Das ist weiß wie der Schnee.
Es haßt meiner Schönheit
Unschuldige Zier;
Wenn ich spät noch vorbeigeh',
So zankt es mit mir.
Jüngst, als ich im Mondschein
Am Waldwasser stand,
Fuhr sie auf ohne Schleier,
Ohne alles Gewand.
Es schwammen ihre Glieder
In der taghellen Nacht;
Der Himmel war trunken
Von der höllischen Pracht.
Aber ich hab' entblößet
Meine lebendige Brust;
Da hat sie mit Schande
Versinken gemußt!
V.
Singt mein Schatz wie ein Fink.
Singt mein Schatz wie ein Fink,
Sing' ich Nachtigallensang;
Ist mein Liebster ein Luchs,
O so bin ich eine Schlang'!
O ihr Jungfrau'n im Land,
Vom Gebirg und über See,
Ueberlaßt mir den Schönsten,
Sonst tut ihr mir weh!
Er soll sich unterwerfen
Zum Ruhm uns und Preis!
Und er soll sich nicht rühren,
Nicht laut und nicht leis!
O ihr teuern Gespielen,
Ueberlaßt mir den stolzen Mann,
Er soll seh'n, wie die Liebe
Ein feurig Schwert werden kann!
VI.
Tretet ein, hoher Krieger.
Tretet ein, hoher Krieger,
Der sein Herz mir ergab!
Legt den purpurnen Mantel
Und die Goldsporen ab.
Spannt das Roß in den Pflug,
Meinem Vater zum Gruß!
Die Schabrack' mit dem Wappen
Giebt 'nen Teppich meinem Fuß!
Euer Schwertgriff muß lassen
Für mich Gold und Stein,
Und die blitzende Klinge
Wird ein Schüreisen sein.
Und die schneeweiße Feder
Auf dem blutroten Hut
Ist zu 'nem kühlenden Wedel
In der Sommerzeit gut.
Und der Marschalk muß lernen,
Wie man Weizenbrot backt,
Wie man Wurst und Gefüllsel
Um die Weihnachtszeit hackt!
Nun befehlt eure Seele
Dem heiligen Christ!
Euer Leib ist verkauft,
Wo kein Erlösen mehr ist!
VII.
Röschen biß den Apfel an.
Röschen biß den Apfel an,
Und zu ihrem Schrecken
Brach und blieb ein Perlenzahn
In dem Butzen stecken.
Und das gute Kind vergaß
Seine Morgenlieder;
Tränen ohne Unterlaß
Perlten nun hernieder.
VIII.
Wandl' ich in dem Morgentau.
Wandl' ich in dem Morgentau
Durch die dufterfüllte Au',
Muß ich schämen mich so sehr
Vor den Blümlein ringsumher!
Täublein auf dem Kirchendach,
Fischlein in dem Mühlenbach
Und das Schlänglein still im Kraut,
Alles fühlt und nennt sich Braut.
Apfelblüt im lichten Schein
Dünkt sich stolz ein Mütterlein;
Freudig stirbt so früh im Jahr
Schon das Papilionenpaar.
Gott, was hab' ich denn getan,
Daß ich ohne Lenzgespan,
Ohne einen süßen Kuß
Ungeliebet sterben muß?
IX.
Das Köhlerweib ist trunken.
Das Köhlerweib ist trunken
Und singt im Wald,
Hört, wie die Stimme gellend
Im Grünen hallt!
Sie war die schönste Blume,
Berühmt im Land;
Es warben Reich' und Arme
Um ihre Hand.
Sie trat in Gürtelketten
So stolz einher;
Den Bräutigam zu wählen,
Fiel ihr zu schwer.
Da hat sie überlistet
Der rote Wein -
Wie müssen alle Dinge
Vergänglich sein!
Das Köhlerweib ist trunken
Und singt im Wald;
Wie durch die Dämmrung gellend
Ihr Lied erschallt!
X.
Das Gärtlein dicht verschlossen.
Das Gärtlein dicht verschlossen
Hältst wohl du, frommes Kind,
Da diese Heckensprossen
So eng verwachsen sind?
Doch blüht die Unschuld immer
Darin, soviel ich seh';
Sonst war es Lilienschimmer,
Nun ist es weißer Schnee!
Als hätt' der gnadenreichen
Maria reinste Hand,
Im Sonnenschein zum Bleichen
Ihr Hemdlein ausgespannt.
XI.
Wie glänzt der helle Mond.
Wie glänzt der helle Mond so kalt und fern,
Doch ferner schimmert meiner Schönheit Stern!
Wohl rauschet weit von mir des Meeres Strand,
Doch weiterhin liegt meiner Jugend Land!
Ohn' Rad und Deichsel giebts ein Wägelein,
Drin fahr ich bald zum Paradies hinein,
Dort sitzt die Mutter Gottes auf dem Tron,
Auf ihren Knieen schläft ihr sel'ger Sohn.
Dort sitzt Gott Vater, der den heil'gen Geist
Aus seiner Hand mit Himmelskörnern speis't.
In einem Silberschleier sitz' ich dann
Und schaue meine weißen Finger an.
Sankt Petrus aber gönnt sich keine Ruh,
Hockt vor der Tür und flickt die alten Schuh'.
XII.
Alle meine Weisheit.
Alle meine Weisheit hing in meinen Haaren,
Und all mein Wissen lag auf meinem roten Mund;
Alle meine Macht saß auf dem wasserklaren,
Ach, auf meiner Augen blauem, blauem Grund!
Hundert Schüler hingen an meinem weisen Munde
Und ließen sich von meinen klugen Locken fah'n,
Hundert Knechte spähten nach meiner Augen Grunde
Und waren ihrem Winken und Blinken untertan.
Nun hängt totenstill das Haar mir armem Weibe,
Wie auf dem Meer ein Segel, wenn keine Luft sich regt,
Und einsam pocht mein Herz in dem verlass'nen Leibe,
Wie eine Kukuksuhr in leerer Kammer schlägt!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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