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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Aroleid
Im Wallis liegt ein stiller Ort,
Geheißen Aroleid;
Es seufzt ein Gram im Namen fort
Seit lang entschwund'ner Zeit.
Ein Berghirt hing in Tod'sgefahr
Am steilen Firnenrand,
Ihn stieß hinunter dort der Aar,
Wo keiner mehr ihn fand.
Auf grüner Matte saß sein Weib;
Das Kind in's Gras gelegt,
Saß sie und schaut mit starrem Leib
Hinüber, unbewegt,
Hinüber, wo im Dämmerblau
Der Berg zur Tiefe schwand
Und mit des Gipfels Silberau
So still am Himmel stand.
Voll bitt'rer Sehnsucht sprang sie auf
Und ging im Mattengrün
Mit schwankem Schritt und irrem Lauf.
Und heißem Augenglühn.
Da schreit ein Kind, ein Flügel saus't
Wohl über ihrem Haupt -
Mit ihrem Kind zur Höhe braus't
Der Aar, der es geraubt!
Noch sieht das Wickelband sie weh'n
In der krystall'nen Luft,
Dann sieht sie's wie ein Pünktlein stehn
Im ferneblauen Duft,
Dann nichts mehr, nie, so lang' sie lebt! -
Sie nahm kein Trauerkleid;
Doch von dem Leid, das dort noch webt,
Der Ort heißt Aroleid.
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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