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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gesammelte Gedichte
162 Bücher



Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Der Apotheker von Chamounir

Ein Buch Romanzen.

Erster Teil.

I.

In dem Tal von Chamounix
Lebten zwei gefreite Liebste,
Die sich liebten, wie die Sünde
Liebt und wieder wird geliebet.

Und sie hießen die gefreiten,
Weil sie taten, was sie wollten,
Nur der Leidenschaft ergeben
Und das Ende schlecht bedenkend.

Lachend sprachen sie zusammen:
Weil wir uns schon beide haben,
Brauchen wir uns nicht zu nehmen,
Bis es uns vielleicht gefällt!

Frei sind wir und auch so stürmisch,
Wie des weiten Himmels Lüfte;
Doch ein Faden leichter Seide
Bindet uns wie starke Ketten!

Sie, die schöne Rosalore,
Fern am Mittelmeer geboren,
Handelte mit Putz und Handschuh'n
Für die fremden Nationen.

Er, der hübsche schlanke Titus,
Hielt ein kleines Apotheklein;
Die Essenzen und Latwergen
Braut' ein Zwerg im Hinterhäuschen.

Titus war zugleich ein Jäger,
Drum erfreut' ihn die Erfindung
Jener schlauen Schießbaumwolle,
Die der Zwerg bereiten mußte.

Wenn er nicht der Wache pflag
Nächtlich in der Apotheke,
Wo ein ungebor'nes Menschlein
In der Weingeistflasche saß,

Stand er unter hohen Arven,
Wo der Mond den Schnee beglänzte,
Im Gewehr die weiße Ladung;
Weiß auch stieg der Berg zum Himmel.

Tat er aber keins von beiden,
Lag er, wo's noch weißer war,
An dem Busen, der im Dunkeln
Magisch wie ein Mondlicht leuchtet!

Dort vergaß er Schnee und Hasen,
Bären und die Balsambüchsen;
Denn dies alles, Glanz und Balsam,
Fabelei und hohe Jagd

Fand er dreimal schöner wieder
An der Seite der Geliebten;
Die Mysterien und Wunder,
Fährlichkeiten, Abenteuer,

Leidenschaften und Gebärden
Waren unerschöpflich neu
In den stählern fest verschränkten
Weichen Armen Rosalorens.

Wenn er nicht mehr ihres Wesens
Wilde Macht ermessen konnte
Und berauscht es ihr gestand
Schloß zufrieden sie die Augen,

Legt ihr Kinn auf seine Achsel,
Lächelt neben seiner Wange
Still in seine krausen Locken,
Was er freilich nicht bemerkte.

Einstmals aber lag sein Kinn
Gleicherzeit auf ihrer Schulter;
Während Rosalore traulich
In die Tituslocken lächelt',

Flüstert er in das Gewirre
Ihrer sammetschwarzen Flechten
Dicht an einem Rosenöhrchen
Träumend: O du süße Clara!

Weit auf sperrte sie die Augen,
Horchte lautlos noch ein Weilchen,
Ließ die Arme mälig locker,
Fast unmerklich, um den Aermsten,

Der ob seinem Wort erschrocken,
Doch zu spät, nun mäuschenstill war.
Still blieb es den Rest der Nacht,
Daß kein Atem war zu hören.


II.

Eine Clara lebte wirklich,
Eine süße, junge, feine,
Und bescheiden wie ein Veilchen,
Still in einem Seitentälchen.

Dort auf einem Blumenhügel,
Lag das Häuschen ihres Vaters,
Mild umwandelt von der Sonne
Und umflogen von den Bienen.

Denn ein wack'rer Immenkönig
War der Vater, doch das Mägdlein
Sein getreuer Stellvertreter
Und ein Mütterchen der Bienen.

Viele lange Sommertage
Sammt den Nächten weilte jener
In des Berges höchster Wildniß
Als ein vielbewährter Führer.

Und gelockt vom Gold der Fremden
Wagt' er hundertmal das Leben,
Um den Einsatz zu gewinnen
Und ein kleines Gut zu sparen.

Blank geprägt in einem Beutel,
Erb' und Mahlschatz seines Kindes,
Barg er, mit und ohne Kön'ge,
Die französische Geschichte

Von den letzten siebzig Jahren.
Und die neu'sten Stücke zeigten
Wieder eines Kaisers Bildniß,
Freilich nun mit einem Spitzbart.

Aber hinten stand geschrieben,
Noch das Wörtchen Republik,
Wie ein putziger Bedienter
Hinten auf dem Wagen steht.

Und der Bienenvater sagte,
Wenn er seine Füchse zählte:
Gold, du bist ein starker Knecht,
Kannst auf beiden Achseln tragen!

Wirst gewiß mein leichtes Kind,
Das nicht schwerer als ein Lämmchen,
Wirst gewiß mein Clärchen tragen,
Daß ein Weibchen es mag werden!

Eines Tages aber führt' er
Eine ruhelose Brittin
Auf den Berg und fiel zu Tode,
Weil sie jeden Rat verschmähte.

Sie, das Unkraut, kam davon;
Und mit ihren langen Beinen
Läuft sie heut noch im Gebirge,
Eine grause Gletscherspinne.

Doch dem Kind des toten Führers
Gab sie eine Rolle Goldes
Oder zwei. Das holde Mädchen
Blieb allein nun mit den Bienen.


III.

Golden strahlt die Morgensonne
Auf den Raum vor Claras Hütte
Und auf ihre kleinen Hände,
Welche Honigwaben halten.

Friedlich hält sie eine Wabe
Ueber'm Kruge, leicht zur Seite
Neiget sie das stille Antlitz,
Bild der Einsamkeit und Unschuld.

Wie Krystall so hell entfließet
All' den Zellen reine Süße;
Funkelnd in der Sonne Glanz
Trieft der holde Tau hernieder.

Friedlich summen auch die Bienen,
Nur das Hündlein bellt gewaltig,
All' die Stille unterbrechend;
Denn es kommt ein Mann gegangen.

Titus ist's, der Apotheker,
Der seit Jahren dieses Weges
Nicht gekommen und die schöne
Unschuld voll Erstaunen sieht.

Wie ein Baum, der hier gewachsen,
Bleibt er stehen bei dem Anblick;
Wie die Luft im Laube flüstert,
Fängt er langsam an zu reden.

Fast mit blödem Ungeschicke
Grüßt er sie, als wär's ein Engel,
Und sie schaut den schlanken Jäger
Arglos mit den Veilchenaugen.

Schüchtern fragt er, ob der Honig
Feil, und wünscht zu kosten,
Und sie eilt, ein silbern Löfflein
Aus der Truhe schnell zu holen.

Freundlich reicht sie jetzt ein Pröbchen,
Und das off'ne Mündchen atmet,
Und am Löfflein hängt ihr Auge,
Ob der Handel auch gelinge?

Und wie sie den Mann betrachtet,
Schießt das Blut ihr in die Wangen,
Denn sie sieht die Blumenwürze
Ihres Honigs ihn versüßen,

Daß die Augen ihm erglänzen
Und der Mund im Zauber lächelt,
Während ungewohnte Rosen
Auf den braunen Wangen stehen.

Ja, der lange Mensch errötet;
Angeglüht wird auch das Mädchen
Von dem Widerschein der eig'nen,
Unbewußten Lieblichkeit.

Aber schnell besinnt sich Titus,
Und er kauft die Honigernte
Gütig, ohne nur zu feilschen,
Und er geht mit Schmeichelworten.

Selben Tag's mit einem Es'lein
Kommt der Zwerg, das Gut zu holen;
Ei! sagt er, jetzt will ich glauben,
Daß mein braver Herr verliebt ist!

Bänglich pocht ihr Herz im Leibe,
Als er, auf dem Tiere sitzend
Und den großen Krug im Arme,
In dem blauen Duft verschwindet.

Liegt sie dann in Schlummerträumen
Süß verloren, weckt das Herz
Sorglich sie mit leisem Pochen
Alle Stunden in der Nacht.

Doch am andern Morgen trägt sie
Ihren Mahlschatz zu der Quelle,
Wäscht ihn eifrig, und die gold'nen
Münzen legt sie an die Sonne.

Wieder bellt das Hündchen, eilig
Wirft sie auf das Gold ein Tuch;
Denn schon kommt der Apotheker,
Um den Honig ihr zu zahlen.

Diesmal bleibt er eine Stunde,
Sittig und bescheiden plaudernd;
Fast der Sitte nicht mehr kundig,
Mißgerät ihm manches Wörtlein,

Aengstlich sucht er es zu heilen;
Doch versteht die Unschuld wenig
Was gefehlt und was verbessert;
Daß er nicht mißfallen möchte,

Dieses nur versteht sie wohl,
Und es rührt das junge Herz. -
Still verschwiegen zieht er fürhin,
Wenn er jagt, des selben Weges.


IV.

Als nun jenes Wort gefallen,
Claras unbekannter Name
Dicht an Rosalorens Ohr,
Harrte diese bleich und schweigend.

Harrte, bis Herr Titus wieder
In's Gebirg ging, wie er sagte;
Alsdann in die Apotheke
Schlich behend sie zu dem Diener,

Zu dem Zwerge, der im Zwielicht
Seiner Laborantenküche
Haus'te, fast so breit als hoch
Und mit einem Kropf behangen.

Gruselnd kraut' sie ihm die Borsten:
"Sag' mir, Thomas, wer ist Clara?
Kennst du solch ein Frauenzimmer?"
Sinnend senkt' er seinen Kopf.

Dann begann er fein zu grinsen:
"Frau, ich glaub', ich kenn ein solches,
Und ich kann's sogar euch zeigen,
Denn es ist nicht weit von hier!

Ist ein Hexlein oder Geistlein,
Ist vielleicht wohl gar ein Teuflein;
Denn es sitzt in einer Flasche,
Folgt mir, wollet ihr es schauen!"

Zornig rümpft sie drauf die Nase
Und besieht den eklen Spötter;
Aber ernsthaft geht er, und sie
Folgt ihm in die Apotheke.

Dorten hängt das Embryönchen,
Spannelang und ganz verhutzelt,
In dem trüben Spiritus,
In dem staubbedeckten Glase.

Und er weis't ihr das Persönchen,
Das sie niemals noch gesehen;
Titus hat es jüngst erworben
Neben einem alten Bandwurm.

Als ein alter Arzt gestorben,
Kauft' er diese schönen Sachen,
Um sein kleines Apotheklein
Mit Gelehrsamkeit zu zieren.

Rosalore steht erschrocken;
Aber Thomas reckt und streckt sich
Auf den Zehen, und er flüstert:
"Seht ihr sie? Das ist sie, glaub' ich!

"Wißt! in einer Vollmondnacht
Wacht' ich auf an einem Husten,
Und ich hörte lachen, singen,
Kosen von gedämpften Stimmen,

Schlich hieher, besorgt zu wachen,
Guckt umher und durch das Fenster;
Noch vernahm ich jene Stimmen,
Doch kein Wesen konnt' ich sehen.

"Und mir graute; mich zu stärken,
Sucht' ich hinter diesen Gläsern
Mir ein Tröpflein kräft'gen Geistes
Von der Wurzel Enzian.

"Wie ich das geschliff'ne Zäpfchen
Drehte, daß es leise Piep macht',
Sah ich ungewollten Blickes
Nach der Flasche mit dem Hexlein.

"Aber nichts war mehr darin,
Als das trübliche Gewässer;
Halb verwundert gafft' umher ich, -
Himmel! was geschah mir da?

"Dort am Fenster glitt ein weißes
Großes Frauenbild vorüber
Und im selben Augenblicke
In die Türe, und zerfloß!

"Als ich dürftig mich erholt
Mit dem Schlücklein, auf den Schrecken,
Saß das Ding hier, dieses gelbe,
Wie vorher an seinem Ort.

"Doch was meint ihr, schönste Dame?
Bald darauf am hellen Mittag,
Als ich hier Rhabarber siebte,
Sah ich draußen auf der Wiese

"Meinen Herren sanft spazieren,
Auf und ab im Sonnenscheine,
Mit der allerschönsten Frauen,
Deren Antlitz mir bekannt war!

"Eilig schielt' ich nach der Flasche.
Sie war leer! Jetzt nach der Wiese
Schaut' ich wieder, wo der Meister
Eben noch die Hexe küßte.

"Einen Hut mit Schleier trug sie;
Und mit tiefen Complimenten
Grüßt' er sie, bis sie verschwand
Hinter jenen Lärchenbäumen.

"Aber hier im Weingeistglase
Saß das Ding an seinem Ort,
Auf den miserabeln Beinchen
Hockend wie ein alter Schneider!"

So belog der Schalk die Schöne;
Und voll Eifersucht, Entsetzen,
Und mit aufgesträubten Haaren
Lief sie aus der Apotheke.


V.

Ruhig sprach sie andern Tages,
Da er harmlos sie besuchte:
"Lieber Titus, sei so gütig,
Bring' ein Pfund mir deines Pulvers,

"Deiner weißen Feuerwolle,
Wo du mit die Tiere schießest;
Mein Herr Vetter in San Remo
Wünscht davon zur Vogeljagd,

"Mein Herr Vetter, der Curato;
Denn ich hab' sie ihm gerühmt,
Und ich soll ihm mit der Post
Wohlverpackt ein Pröbchen senden."

""Wie, ein Pfund?"" versetzte Titus,
""Einen ganzen Sack voll gäb' es!
Dieses wäre zu gefährlich,
Und ein Viertelpfund genügt!""

"Nein! zum mindesten ein halbes
Muß es sein!" rief Rosalore;
"Mein Herr Vetter will auch andern
Guten Freunden davon schenken!"

Also trug der kleine Thomas
Bald ein Kistlein mit dem Zeuge,
Gut verschlossen und vernagelt,
Auf dem Kopfe keuchend her.

Doch mit nichten sandte sie
Diese Fracht dem Herrn Curato
In San Remo; sondern sachte
Schob sie unter's Bett das Kästlein.

Warm und lang ein Strümpfepaar,
Ueber Knieeshöhe reichend,
Von der dicksten roten Wolle
Strickte sie nun für den Jäger.

Als die Strümpfe fertig waren,
Nahm sie feinste bunte Wolle,
Strickte prächtig siebenfarbig
Einen Hals- und Nasenwärmer.

Künstlich ließ zu Schlangenringen
Sie die Maschen sich gestalten,
Und die schwarzen Fischbeinstäbchen
Tanzten eifrig in den Nächten,

Wo der Liebste, wie er sagte,
Jagend auf den Anstand ging.
Als die schöne Schärpe fertig,
Holte sie die Schießbaumwolle,

Weiß und zart und lind und mollig,
Füllt' und stopft' damit die Binde,
Daß sie rund und wohlgenährt
Schimmerte gleich einer Boa.

Eines herbstlich kühlen Morgens
Zog er an die roten Strümpfe,
Und sie wickelte die Boa
Kosend zweimal um den Hals ihm.

Und die bunten Zipfel fielen
Stattlich nieder bis zum Gürtel,
Daß er aussah wie ein Britte,
Der den Montblanc will besteigen.

Freute sich des warmen Schmuckes
Für die Jagd an Wintertagen;
Männiglich hat ihn im Tale
Angestaunt, wo er einherging.

Die Besorgniß jener Nacht
Schwand nun ganz aus seinem Herzen;
Sonntag war es, und am Abend
Spielte Clara mit der Binde.


VI.

Traurig saß das Embryönchen
Im Gewölb' der Apotheke;
Traurig war der Apotheker,
Und er wußte nicht warum.

Denn daß wegen ihrer Sünden
Ihnen unbehaglich wäre,
Fällt den schnöden Männern leider
Selten oder niemals ein,

Zwischen zwei geliebten Frauen,
Ruhlos wie ein Weberschiffchen,
Flog sein Herzblut hin und wieder,
Daß er irr' und dämlich wurde.

Und im Ueberfluß beschlich ihn
Das Gefühl der nackten Armut;
Heimatlos war seine Seele,
Und kein Ende konnt' er sehen.

Aber Rosalore sah' es,
Wußte, daß die Todesschlange
Lauernd ihm am Halse liege
Und des Funkens ruhig harre.

Selber glich sie dieser Schlange,
Ringelnd sich mit allen Reizen,
Titus wärmend mit den Gluten
Der in Haß verkehrten Liebe.

Leidend ließ er es geschehen;
Aber all' das tolle Treiben,
Die gespenstigen Manieren,
Sitten des verlornen Volkes

Trug er auf den Blumenhügel,
In der Clara stilles Häuschen,
Claras mit den unschuldvollen
Blauen Genzianenaugen.

Und in ihre quellenklare
Wissenslose Mädchenliebe
Streut' er böse Leidenschaften
Der Verwild'rung und Verderbniß.

Aber ihre Lebensgeister
Flohen schaudernd vor dem Unheil,
Stritten keinesweges tapfer
Mit dem unbekannten Feinde.

Als der Frühling neu geworden,
War die Flucht auch schon beendigt,
Und der letzte Hauch verließ
Scheidend einen jungen Busen.


VII.

In die schönste Alpenflora
Wird man Clara's Leib begraben;
Ihre Seele aber wandert
Unaufhaltsam in die Gletscher.

Hoch am Montblanc ragt ein Zacken
Lautern Eises in die tiefe
Dunkelblaue Himmelsdecke;
Dies ist ihre Büßerwohnung.

In dem frostigen Gehäuse,
Das im Früh- und Spätlicht schimmert,
Wird gebannt sie einsam sitzen,
Etwas seitwärts von den Andern.

Dort verbüßt sie die Manieren
Der Verzweiflung und der Sünde,
Die mit unschuldvollem Herzen
Sie getragen hat im Leben.

Denn die Schlimmen, die mit frommen
Worten einst die Welt betrogen,
Mit Gebarung der Gerechten,
Braten ewig in der Hölle.

Doch die Guten, die in schlimme
Sitten einst sich eingewickelt,
Müssen sich von diesen rein'gen,
Bis sie weiß sind wie der Montblanc.

Nicht der Wolf im Lämmleinspelze
Ist allein ein schlechter Tartüffe:
Auch das Lamm im Tigerfelle
Macht sich arger Sünde schuldig.

Und mit solchen armen Seelen
Ist der ganze Berg bevölkert,
Die für böse Teufel galten
Und im Herzen Englein waren.

An den himmelhohen Wänden
Auf den wolkigen Gesimsen
Stehn sie längs in Eis gereihet,
Gleich des Apothekers Büchsen.

Also wandert Clara's Seele
Traurig einsam ihres Weges;
Nur die treuen Bienen folgen
Leise summend, langen Zuges.

Immer höher führt die Straße
Durch Gehölz und über Felsen,
Wo am Berghang in der Sonne
Sitzt ein Hirt auf einem Steine,

Sitzt ein junger Ziegenhirt,
Schön wie Milch und Blut ein Knabe;
Ruhig weiden seine Tiere,
Doch er sieht die arme Seele.

Weil er ein Quatemberkind,
Sieht er und erkennt die Clara
An dem breiten Binsenhute
Und den blauen Blumenaugen.

Als sie nun herangekommen,
Bleibt sie vor dem Hirten stehen;
Alle Bienen hängen schwebend
Ueber ihr im Sonnenscheine.

Traurig, aber mild und lieblich,
Schaut sie an den Jungen, welcher
Freudig überrascht sie grüßet
Und ihr blöd' die Hand will reichen.

"Lange weiß ich", spricht sie lächelnd,
"Daß du mir bist gut gewesen!
Habe Dank, du lieber Knabe,
Aber gib mir nicht die Hand!

"Denn in diesem Augenblicke
Bin ich eben erst gestorben,
Und nun geh' ich, wo du weißt,
Daß wir der Erlösung harren.

"Wisse, meine kleine Habe,
Die jetzt herrenlos geworden,
Hab' ich dir verschreiben lassen;
Geh' jetzt hin und nimm mein Häuschen!

"Pflege meine armen Bienen!
Unter ihrem Hüttendache
Liegt ein Häuflein Gold's verborgen;
Nimm ein gutes Weib und hause!"

Blaß mit überströmten Augen
Auf den Knieen lag der Knabe,
Streckte nach ihr aus die Arme,
Aber schon war sie verschwunden.

Sehnend eilt er, sie zu suchen,
Und erreicht ein Meer des Eises.
An dem Rand der stundenweiten
Wüste schwirrten Claras Bienen.

Endlich ließen sie sich nieder,
Hier auf Steine, dort auf Gräser,
Manche krochen auf dem Eise
Traurig mit erstarrten Füßchen.

Knieend betete das Hirtlein
Für die Seele der Geschied'nen;
Dann erhoben sich die Bienen,
Eine Wolke, lieblich klingend,

Fuhren sie durch Lenzeslüfte
Sonnig heimwärts und zerstreuten
Mälig sich zu den Geschäften
Und den Mühen aller Tage.


VIII.

Wieder war der Herbst gekommen
Und noch immer wandelt' Titus
In den Schlingen Rosalorens,
In dem schnöden Bann des Todes.

Und er ahnte nicht, warum sie,
Wenn er kaum das Haus betrat,
Sorglich ihm die Binde lös'te
Und sie weit vom Feuer legte.

Statt des tückischen Gestrickes
Schlang sie dann die weichen Arme
Wieder um des Jägers Schultern,
Um den Hals des Apothekers.

Nicht verzieh sie ihm die dunkle
Untreu, sein verstocktes Schweigen;
Und mit Furcht und Haß erfüllt' ihn
Gleicher Zeit ihr eig'nes Schweigen.

Clara's frühes Sterben dünkt' ihm
Eine bittere Kritik
Ohne Worte; deren Stachel
Pflanzt' er weiter ohne Worte.

Und sie kos'ten falsch und glühend,
Und sie spielten grimmig lüstern
Mit den Leibern, wie mit Puppen,
Während sich die Seelen haßten.

Und sie tranken süße Küsse
Ohne Dank und ohne Güte,
Wie zwei nächtliche Lemuren
Aus dem gleichen Kruge naschen. -

Eines Tages lief die Kunde
Hundertstimmig durch die Täler,
Daß ein alter und gewalt'ger
Steinbock in den Bergen hause;

Von der Heerde, die der König
Ehrenmann am Monte Rosa
Sich zur Jagd herangezogen,
Habe sich das Tier verlaufen.

Einsam springe jetzt der Steinbock
Auf den höchsten Felsengräten,
Wie seit Menschenaltern keiner
Jemals sei gesehen worden.

Und die Jäger sprangen, gierig
Wie die Teufel, von den Sitzen;
Jach das edle Tier zu fällen,
Griffen sie zu ihren Büchsen.

Titus auch entriß sich stürmisch
Seiner Feindin glatten Armen;
Täglich stieg er früh vor Tage
Jagend in's Granitgebirge.

Klettert' hin und klettert' wieder,
Auf und nieder durch die Gletscher,
Wild erregt durch edle Fährten;
Kühn und listig floh das Tier.

Manchmal sah er's oben stehen
In des Herbstes Rosensonne,
Wie ein Traum von hohen Zinnen
Sah es lauschend in die Tiefen.

Doch so bald die Büchse blitzte
Schwand es, eh' der Knall erfolgte,
In die Wolken, in den Bergduft,
Und die Kugel schlug auf Felsen.

So geschah es, daß der Jäger
Finster auf den Firnen irrte,
Und das schöne Wild, es äffte
Seine tolle Leidenschaft.

Rosaloren packt' indessen
Bange Neubegier und Unruh;
Mit dem Wirbel der Gefühle
Wandelt' sich in ihr die Seele.

Ahnend, daß ein Ende nahe,
Faßt' sie Grausen, Furcht und Reue,
Und es trieb sie wie mit Peitschen,
Seinen Spuren nachzugehen.

Aufwärts in die steile Bergwelt
Jagt' die Angst sie, immer höher,
Daß die Schuhe bald in Fetzen
An den zarten Füßen hingen.

Und die Hände, nur gewöhnt an
Leichtes Tun und leichte Spiele,
Bluteten vom rauhen Steine,
Aber wahllos drang sie aufwärts.

Grau getürmte Wände hüllten
Ihren Pfad in kalte Schatten;
Drüben sah sie auf dem Rasen
Friedliche Marmotten spielen.

In der Sonne vor dem Hause
Saß die Murmelfrau und säugte
Ihre Buben, die zu naschen
Ab und zu vom Spiele kamen.

Doch der Mann, der scharfbewehrte,
Rüstig mäht' er Gras und Kräuter;
Kundig wie ein Pharmazeute
Wählt' er nur, was fein und würzig.

Ausgebreitet lag die Ernte,
Trocknend in dem warmen Scheine,
Und die Kinder schlugen fröhlich
Purzelbäume auf den Mahden.

Doch der alte Schwiegervater
Legt sich jetzo auf den Rücken,
Der schon lange kahl gescheuert,
Und er streckt' empor die Beine.

Und mit Heu, das herrlich duftet,
Wird er emsig hoch beladen,
Daß ein Fuder zierlich schwillt,
Fast von eines Zwergleins Höhe.

Und am Schwänzel mit den Zähnen
Wird das Fuhrwerk jetzt gezogen;
Stattlich schwankt es nach der Tenne,
Nach der klug gebauten Hofstatt.

Lust und Freude rings umhüpft es,
Nur die Murmelmutter sorgt sich;
Denn hoch oben auf dem Heuberg
Sitzt ein Bübchen, macht sein Männchen.

Wird es nicht den Kopf sich stoßen
An des Tores niederm Bogen?
Aber sieh den Schelm, er duckt sich,
Jubelnd fährt er mit hinunter!

Und sie sprangen und sie sangen,
Tranken aus den klaren Quellen;
Und der Alte kroch zu Tage,
Putzte lachend sich den Pelz.

Rosalore sieht den Frieden
Dieser guten Murmelleute,
Und mit kummervollem Neide
Schaut sie das bescheid'ne Glück.

Aber ruhlos aufwärts trieb die
Seele sie durch eine Wolke
Schweren Nebels, der die Locken
Ihr von Feuchte triefen machte.

Dunkel ward es vor den Augen;
Suchend streckte sie die Hände,
Wo sie mit den Füßen vortrat
Gähnte rings ein düst'res Nichts.

Denn sie stand auf schmaler Platte
Eines schwarzen Felsenturmes,
Dran die Nebel niedertauten,
Die sein Haupt in Dunkel hüllten.

Doch auf einer Nachbarkuppe,
Die im hellen Scheine glänzte,
Ragte Titus, welcher spähend
Ausschaut nach dem selt'nen Wilde.

Da der Morgen kalt gewesen,
Trug er noch die lange Binde,
Jene schlimme Bajadere,
Zweimal um den Hals gewickelt,

Doch gelockert, um den Kolben
Des Gewehr's hindurch zu schieben
An die Wange, und so starrt' er
Mordbegierig in die Wüste.

Und auf einmal steht der Steinbock
Wie gemalt auf dunkler Klippe
Gegenüber; zierlich steht er,
Alle Füße nah beisammen.

Ahnend nicht, daß nur die Spieg'lung
Lichtdurchwirkter Nebelzüge
Ihn betrogen, zielte Titus,
Drückte, und die Kugel flog.

Und von jener schwarzen Säule
Scholl ein lauter Menschenschrei,
Wiederhallend in den Bergen
Durch die Einsamkeit der Wildnis.

Taumelnd dreht sich dort ein Weib
Durch den Nebel; rücklings stürzend
Aus der Wolke in den Abgrund,
Ging es kurzen Weg's verloren,

Während in des Jägers Rücken,
Ungeseh'n von ihm, der wahre
Steinbock floh in weiten Sätzen
Von der nächsten Felsenkuppe.

Titus stand, der Apotheker,
Ein bis zweimal zehn Sekunden,
Als ein Räuchlein von verbrannter
Wolle stieg in seine Nase.

Und er merkt', daß Rosalorens
Schöne Binde leise schwelte:
Achtlos will den kleinen Schaden
Mit der Hand er schnell verwischen.

"Diese schlechten Zünderhütchen,"
Brummt er, "wollen nicht mehr taugen;
Funken speien sie zur Seite!
Oder mag der Hahn nicht schließen?"

Doch da fährt die Feuerschlange
Zischend erst, dann laut erbrüllend
In die Lüfte; hoch im Bogen
Fliegt der Kopf des armen Titus.

Zwiefach geht er so zu Grunde,
Doppelt geht er so zu Grabe;
Oben zuckt sein Herz verblutend,
In der Tiefe stirbt das Haupt ihm!


IX.

Schon die nächste Mitternacht
Geh'n sie mit dem Totenvolke,
Das in ungeheurem Zuge
Hoch von Grat zu Grat muß wandern.

Fern her von der Rhone höchsten
Quellen zu Liguriens Gipfeln
Ueber Schluchten, Alpentriften
Unaufhaltsam kommt's gegangen.

Hunderttausendweise trappelt's
Her wie dunkle Wolkenbänder
An den Wänden, auf den Kämmen,
Steigt's die jähen Pfade nieder.

Taucht dann hinter einem Sattel
Hell empor des Mondes Scheibe,
Sieht man sie vorüberwallen
An dem Glanze, Mann für Mann.

Schaut zerstreut man, in Gedanken,
Hört man deutlich einen Marsch,
Trommelschlag und helle Pfeifen,
Fernhin eine alte Weise.

Einfach, doch unsäglich traurig,
Herzbewegend tönt die Weise.
Horcht man aber wachen Sinnes,
So verschallt's und niemals wieder

Kann man sich des Tons entsinnen.
Aber endlos kommt's gezogen,
Breit zu sechsen und zu zwölfen
Bis zum Morgen-Vesperläuten,

Bis noch wenige zerstreut,
Säumig auf dem Heerweg folgen
Und zuletzt das blasse Paar
Jener beiden Toten wandert.

Stolpernd schleppt er an der Hand
Eine blutgetränkte Schärpe,
Während hinter ihm das Weib
Seinen Kopf trägt in der Schürze.


Zweiter Teil.

I.

Im gebenedeiten Jahre
Achtzehn hundert ein und fünfzig
Füllte Deutschland ein durchdringend
Starker Duft von Patchouli,

Als die Gräfin Ida Hahn-Hahn
Mit Geräusch katholisch wurde;
Was dies heißen will, weiß jeder,
Der im Traum pferdlos geritten!

Hochgestellte Theologen
Nun turnierten mit der Gräfin,
Und das alte Luthertum
Stritt mit einer neuen Nonne.

Zwar sie ließ sich nicht verschüchtern;
Am Spinettlein sang sie zierlich
Und mit leicht belegter Stimme:
"Ach, das Kreuz hat seine Reize!"

Und desselben Jahres wallte
Eine Wolke Rosenduftes
Auf gen Himmel, und dazwischen
Roch's nach jungem Most von Chios.

Denn nach vielen glaubenslosen
Und verpönten Heidentagen
Dachte sich mit großem Pompe
Heinrich Heine zu bekehren.

Kunstreich baut' er einen Hügel
Aus antiken Tempeltrümmern,
Den behing er mit Tapeten,
Ganz mit Bilderwerk durchwoben.

Weiße Nymphen, schwarze Nonnen,
Gold'ne Ritter, dunkle Mönche
Wandelten auf grünem Rasen
Unter blühenden Granaten.

Diademe, Schmuck und Waffen,
Kreuze, Kämme, Sonnenstrahlen
Und das Licht der blonden Haare
Waren echt in Gold gewirket.

Und in brennend roter Seide
Glänzten all' die schönen Lippen;
Nur das Fleisch in blasser Seide
Mahnte an Pariser Tricot.

Doch die Tropfen roten Blutes,
Welche mancher Brust entquollen,
Waren köstliche Rubinen
Und die Tränen gute Perlen.

Ebenso als Tau der Blumen
Spielten blitzende Brillanten;
Jeder Wuch'rer nähm' die Sachen
Unbedenklich als Versatz.

Freilich hingen die Tapeten
Etwas locker auf dem Marmor,
Mancher Herr und manche Dame
Hing in Falten schnöd' gebrochen.

Ein Rabbiner trug am Rücken
Wie ein Dromedar zwei Höcker;
Dieses waren zwei verborg'ne
Wack're Karyatidenbrüste.

Einem schmalen Schmachtetasso
Ragte lächerlich ein Hängbauch,
Weil er über eines Satyrs
Dickes Steingesäß gespannt.

Also war der Berg beschaffen,
Und der Dichter rief dem Volke;
Ein gewähltes Publikum
Sammelte sich auf der Fläche:

Ritterschaft der alten Schmecker
Mit dem Tellertuch am Halse
Und dem Stocher in den Zähnen;
Auch das Heer der Schulpennäler.

Als die Völker so versammelt,
Da bestieg er, einen Strauß
Frischer Blumen in den Händen,
Feierlich den hübschen Berg,

Lächelt' lieblich von der Höhe,
Warf den Blumenstrauß herunter,
Nahm die schön geschweifte Lyra;
Unten herrschte große Stille.

Und er griff mit hagrer Hand
In die schön geschweifte Lyra,
Rührte rasch die neuen Saiten,
Daß sie blitzten im Ertönen,

Gleich dem sonnigen Geflimmer
Eines Quells auf Frühlingsbergen.
Schön ist's, wenn die junge Sonne
Spielet auf den Wassersaiten.

Diese Weise kennt er wohl,
Und sie wird ihm nachgesungen
Von des Rheines Quellgebirgen
Zu der Nordsee Wolkengürtel,

Und der Studio im Grünen
Singt sie, wenn die Lust ihn rühret.
Jetzo aber spielte Heinrich
Hastig ein Präludium,

Riß den Finger durch die Saiten,
Und im gleichen Zug mit Grazie
Schwenkt die Hand er in die Lüfte,
Schlug ein Schnippchen, rümpft die Nase,

Und indem der Ton verklungen
Und die Nase sich verzogen,
Rief er aus den Namen Gottes,
Proklamiert das höchste Wesen. -

Seit der Advokat von Arras
Sich die Competenz gewährte,
Feierlich mit roter Hand
Eine Gottheit zu verfassen,

Hatte niemand das Vergnügen
Sich gestattet. Angenehmer
Schauer fuhr in die Gebeine
Der Blasierten, die da unten

Sehnlich auf den Witz geharret.
Aufgehoben ward zum Spaße,
Fast gerührt, der exclusive
Kammer-Atheismus; lustig

Gährt's und brodelt's in den Häuptern,
Und goutiert ward die Begehung
Mytholog'scher Urzustände,
Welche Götter einst gebaren.

Tausendfach entstanden Götter,
Die sich in den Haaren lagen;
So viel Köpfe, so viel Sinne,
Keiner kann aus seiner Haut.

Keiner kann aus seinem Felle;
Aber unverschämt ist jeder,
Jeder tanzt auf seinem Seile
Seine kurze Spanne Zeit.

Jeder schnappet nach dem andern,
Schreit und ruft: Ich tanze besser!
Schreit und fällt und - hält den Schnabel
Gleich in alle Ewigkeit.

Denn des Schweigens hohe Schule
Ist das Grab, und Christ wie Heide,
Pfaff und Hanswurst, alle Schreier
Lernen schweigen in der Erde.


II.

Aber nun, im Ernst zu reden,
War der Held mit Pein geschlagen;
In dem unheilbaren Leiden
Liegend auf dem Lorbeerbette,

Fiel er heim dem altgewohnten
Menschlichen Gedankengange
Der Gebrechlichen und Kranken,
Wie noch manchem wird geschehen.

Wer da stirbt, der wünscht zu leben,
Wer da hungert, wünscht sich Brot;
Aber macht der Wunsch ihn satt,
Und ist keiner noch verhungert?

Sind die grünen Bäume klüger
Oder jene, welche dorren?
Pfeift der Vogel, der den Pips hat,
Schöner, als wenn er gesund ist?

Heinrich Heine hat den Pips,
Und der Tod ist ihm verschrieben,
Ohne nun sich stark zu zieren,
Wendet er sich gleich zu Gott.

Und er hebt sich mitternächtig
Schwankend von dem Schmerzenslager,
Hüllt sich in ein frisches Hemde,
Zieht ein langes Lorbeerreis

Aus dem Kissen seines Ruhmes,
Schlingt es um den blassen Scheitel,
Um den Gipfel seines Daseins;
Auch das Büchlein Romancero,

Fromm in schwarzen Sammt gebunden
Und mit feierlichem Goldschnitt,
Nimmt er zwischen beide Hände,
Und er macht sich auf zu Gott.


III.

Mitternächtig wandelt Heinrich
Wacker auf dem schmalen Pfade
Und spazieret gravitätisch
Aus der guten Welt hinaus.

Wo die letzten Lebensbäume
Säuselnd an dem Wege stehen
Und die letzten Silberwölkchen
Durch die dunklen Wipfel streifen,

Sitzt die Nachtigall und flötet
Im bewegten Laub verborgen,
Hüpft von einem Ast zum andern,
Und sie singt mit süßem Tone:

Tio tio tio tiüüh!
Heinrich Heine will verduften,
In den Himmel will er ziehen,
Und ist doch die Welt so schön!

Zornig nimmt er einen Stein,
Wirft ihn nach des Baumes Krone;
Doch die Nachtigall erhob sich,
Welteinwärts entfloh sie lachend.

Und ein Stücklein Weges weiter
In dem letzten Wassertümpel,
D'rin das letzte Sternchen schimmert,
Sitzt ein lautvergnügter Frosch.

"Kroax, kroax, ruft er fröhlich,
Zweimal ist im Jahr nicht Kirmes!
Besser ein lebend'ger Hund,
Wahrlich, als ein toter Löwe!

"Lieber ein lebend'ger Frosch,
Als ein totes Menschenherz!
Heinrich Heine will nicht sterben -
Kroax, kroax, lacht ihn aus!"

Heinrich trampelt in den Tümpel,
Um das Fröschlein platt zu treten;
Doch das tauchet gurgelnd unter
Und wirft Blasen in die Höhe,

Die noch leis des Armen spotten.
Jetzo ist er ganz am Rande,
Wo auf allerletztem Schöllchen
Nächtlich schwarz ein Heimchen zirpet:

"Zirpe, zirpe, zirpe, zirp!
Dichterherz und Grillenleben
Brechen, wenn sie ausgezirpet!
Heinrich Heine, wo hinaus?"

Heftig spuckt er nach dem Heimchen;
Doch es springt ihm auf den Scheitel;
Um es dorten zu vertreiben,
Schlägt er einen Purzelbaum

Wütend zweimal oder dreimal
In das leere Nichts hinaus;
Als er wieder aufgerichtet,
Glänzt' vor ihm die Himmelspforte.


IV.

Ragend in der dunklen Nacht
Stand das kolossale Tor;
Seine ehrnen Flügel glänzten
Wie von fernem Abendrot.

Matt und kühl erglänzten sie,
Wie benetzt von Silbertau;
Dieses war der Niederschlag,
All der ungezählten Seelen,

Die hineinzudringen strebten
Und am kalten Erz zerflossen,
Seelen, die in ihrem Leben -
Weder Meister noch Gesellen -

Nichts gekonnt und nichts ersonnen
Und hier in krystall'nen Tropfen,
Schuldlos, wie ein Frühlingsregen,
Und bewußtlos niederflossen.

Doch als unser Wandrer kecklich
Mit dem Buche Romancero
Dreimal an das Tor geschlagen,
Tat es lautlos weit sich auf.

Er betrat die Dämmerhalle
Sterblicher Unsterblichkeit,
Wo die Luft des Selbstbewußtseins
Bittersüß den Geist beseligt.

Denn was einer einst geschaffen,
Schwindet hier in nichts zusammen
Gegen Das, was nun er einsieht
Und was dort er unterlassen.

Schweigsam und beinahe mürrisch
Geh'n die Meister auf und nieder;
Jeder spinnet in Gedanken
Eifrig seine Welt nun fertig.

Wie in ird'schen Nebelnächten
Da und dort Laternenträger,
Gingen die berühmten Herren
Jeder still im eig'nen Scheine.

Doch als Heinrich nun erschien,
Rochen sie sein rotes Blut
Und den Flachs von seiner Leinwand
Und den Lorbeer seines Hauptes.

Gleich am Eingang wacht' ein Schatten
Witternd auf aus stillem Brüten,
Und es war der edle Platen,
Tönend hub er an zu singen:

"Lorbeer wächst auf meinem Grabe,
Und das Grab liegt an dem Meere,
Das da blaut so tief und himmlisch
Und wie Gottes Seele leuchtet!

"Ehr- und Freiheitsliebe trank ich
Aus demselben klaren Brunnen;
Denn mein Herz vertrug nicht beides:
Sänger und ein Hund zu sein!

"Manch ein rein und silberklingend
Lied gelang mir in den Tagen,
Und ich walle leicht und glänzend
Jenes deutsche Volk entlang!"

Horchend stand Herr Heinrich Heine,
Stutzend schaut' er den Poeten,
Und er rief im hellen Ärger:
"Also rühmst du dich noch immer?"

Doch mit transparenten Händen
Winkte jener ihm zur Ruhe
Und skandierte traurig weiter:
"Schmäher! wohl erkenn' ich dich!

"Aber laß, o Tor, dir sagen
Nichts auf Erden, noch im Himmel
Wird durch Worte je erzwungen,
Was er ist, das gilt ein Jeder!

"Gilt ein Jeder doch am Ende
Und kein Jota mehr noch minder!
Keine Witze und kein Selbstlob
Können einen Mann erhöhen

"Oder fremden Wert vermindern,
Und kein Eifern hilft, kein Schmähen,
Auch kein Rühmen und kein Lügen:
Was er ist, das gilt ein Jeder!

"Hier in dieser kühlen Luft
Wird nicht Narrenwerk getrieben,
Jeder weiß, woran er ist,
Und die Willkür hat ein Ende!"

Diese himmlische Moral,
Ach, so einfach und begreiflich,
Nicht verstand sie Heinrich Heine,
Denn er war noch nicht gestorben!

Schnöd erwidert er dem Schatten:
"Das verlangt' ich nicht zu hören!
Sag' mir lieber, wo ist Er,
Unser aller Herr und Meister,

"Der die Welt sammt allen Meistern
Hat erfunden und geschaffen?
Unwohl bin ich und ich möchte
Drum zum rechten Doktor gehen!"

Doch mit duft'gen Geisterhänden
Winkt der Junker ihm von hinnen:
Sich in einen Nebel hüllend,
Schüttelt' er das Haupt und schwieg.


V.

Murrend zog der Kranke weiter
Viele kurze Menschenschritte,
Bis er stieß auf eine starke,
Lieblich heit're Säule Lichtes,

Die in allen Farben strahlte
Und von tausend Bildern lebte;
Felsgebirg und gold'ne Auen,
Festes Land und weite Meere,

Land und Leute, Meer und Schiffe,
Liebe Weiber, kecke Männer,
Hohe Türme, weiße Wolken
Und die zahllos schlanken Tiere:

Ei das zog und flog so fleißig,
Rasch und fleißig, unablässig!
Doch wer schafft und webt das alles?
Zwei weitoff'ne Sonnenaugen

Webten, webten unermüdlich,
Wie zwei gold'ne Schwesterspinnen;
In der Mitte dieses Lebens
Glühte solch' ein Doppelstern.

Und es webt sich und es dreht sich -
Plötzlich aber steht es still,
Und der ganze Spuk verschwindet
Bis auf jene Zauberaugen,

Angehörig einem alten,
Feierlichen schönen Manne;
Ruhig steht der da und heiter,
Und er sagt: "Hier riecht's nach Erde!"

Heine grüßet: "Dieses Duften
Kommt von mir, o Herr und Goethe!
Doch entschuld'ge, daß so kräftig
Ich nach Arzeneien dufte!"

Jener drauf: "Sie riechen herrlich!
Und ich seh' die vielgeliebten
Pflanzen all' der Höh'n und Tiefen
Mit den duftig feinen Oelen,

"Mit den heilsam edeln Salzen;
Feines Harz in lautern Tropfen
Seh' ich in der Sonne blinken,
Sehet jenen weißen Tropfen!

Wie Krystall hängt er am Baume,
Gelbes Licht durchblitzt ihn fröhlich
Und es wird azurnes Blau,
Froh und lehrreich war die Erde! -"

Er versank in tiefes Sinnen
Und dann sprach er, leicht erseufzend:
"Eines nur bereu' ich dennoch,
Wenn ich überhaupt bereue!

"Wo ein Herz ist, wie das meine,
Da versammeln sich die Raben
Mit den schönen Zuckeraugen
Und den anspruchsvollen Schnäbeln.

"Schwarze Raben, weiße Raben!
Und ich habe mich vertändelt;
Ach, am Ende war ich König,
Aber ohne Königin!"

"Allzuwarm ist auch nicht gut,
Golden ist die Mittelstraße!"
Rief ein and'rer hoher Schatten,
Der sich aus dem Dämmer nahte.

"Feurig wußt' ich auch zu singen,
Aber ohne mich zu brennen;
Mäßig war mein Liebeskummer,
Niemals raubt' er mir den Schlaf!

"Zeitig baut' ich meinen Herd,
Saß dabei und schürt' und schaffte,
Und zunächst am hellen Feuer
Weilte mir ein holdes Weib.

"So verlor ich keine Zeit,
Und das Herz war mir beruhigt;
Nötig war mir diese Weise,
Denn mein Leben war zu kurz.

"Wohl, die Hälfte meiner Bahn
Ist mit hellem Licht beschienen;
Doch die and're blieb im Dunkel;
Klag' und tanz' mit mir, o Freund!"

Und vereint begannen beide,
Sich in Einem Kreis zu drehen,
Und sie wirkten Ein Gewebe
Mit den großen Weberschiffen,

Daß Gestalten auf Gestalten
Leuchtend sich vorüberjagten
Und die beiden guten Helden
Dicht in ihren Reigen hüllten.

Mit im Tanze ging Mephisto,
Sprühend wie ein heißes Eisen,
Eine weißerglühte Klinge,
Eben aus der Ess' gezogen.

Und so grimmig war der Teufel,
Heinrich wäre fast gestorben,
Er, der selber prahl'risch glaubte
Weidlich schlimm und bös zu sein!

Solcherlei Gedankenstärke
Wollt' ihm nimmermehr behagen;
"Hier ist nicht zum Wort zu kommen!"
Brummt' er und begab sich fürbaß.


VI.

Als er lange Zeit gegangen,
Kam einher ein schlichter Waller,
Freudlos, doch auch kummerlos,
Seines Weges fest geschritten.

Und er summte diese Worte:
"Was ich wert bin, weiß die Welt;
Was sie wert ist, hab' ich redlich
Zu ergründen mich beflissen.

"Vom Bedürfniß müd getrieben
Sehnte sich mein Sinn nach Golde;
Dem Geschick verzeih' ich's nimmer,
Ohne Groll mag ich es sagen.

"Denn Verzeih'n und nicht Verzeihen,
Keines rühret mehr mein Herz;
Ruhig wandl' ich vor der Helle
Die der Morgenstern verkündet."

Guter Freund! Könnt ihr mir sagen,
Ist der liebe Gott zu finden
In der Gegend, wo ihr herkommt?
Also fragt ihn Meister Heine.

Jener drauf erwidert freundlich:
"Wer ein Mann ist, hilft sich selber!
Suchet, wessen ihr bedürfet
Und was will sich finden lassen!

"Doch ich rat' euch, tut die Kräuter
Dort vorerst von euer'm Kopfe!
Denn er ist ein großer Herr,
Der sich nicht läßt imponieren.

"Ferner stellt euch stramm und fest
Und vernichtet euer Siechtum!
Denn wer einem Gott will nahen,
Muß den Menschen erst verwinden.

"Könnt ihr nicht, so geht und sterbt erst,
Und das weit're wird sich finden -
Gebt indessen mir das Buch dort,
Neugier quälet mich darnach!

"Ist's ein geistlich Buch?" "Gewiß!
Les't es nur", sprach Heinrich foppend;
Denn weil jener kindlich blickte,
Hielt er ihn für einen Kindskopf.

Also gab er ihm die Lieder,
Für sich selber aber grollt er:
"Lies, du Prahlhans, und bewund're,
Was wir heutzutage schaffen!

"Schaffen auf dem Bett des Todes,
Abgewelkt vor Schmerz die Glieder,
Wie die Echo ohne Körper
Wiederhallte laut von Liedern!

"Schau' die lust'ge Geistesflamme,
Die aus einem traurig tönern'
Lampenscherben leuchtend züngelt,
Und dann nenn' mich einen Schwächling!

"Suchen muß ich aber dennoch,
Wie ich einen Trost gewinne;
Unter diesen Selbstvergnügten,
Freilich, hauset kaum ein Gott!"


VII.

Suchend ging er wieder vorwärts,
Als ein seltsam kühles Wehen
Und ein schneidend Windesbrausen
Ihm das blasse Antlitz fegte.

Und sein weißes Linnenhemdchen
Flattert' wie ein Blatt im Sturme,
Aus dem Sturme rief ein Wesen:
"Folge mir, so wirst du finden!"

Endlich, endlich, sagte Heinrich,
Scheint sich etwas zu ereignen!
Fröstelnd schlottert mir die Seele,
Und doch bin ich guten Mutes!

Unverdrossen und begierig
Schwankt' er mit dem Wirbelwinde,
Hielt sich mühsam kämpfend aufrecht;
Ohr und Nase wurden eisig,

Spröde seine Nasenspitze,
Daß er an der dicken Finst're
Fast sie abgebrochen hätte,
Denn es ward erbärmlich dunkel;

Und der Wind mit rauhen Händen
Rieb so gröblich seine Ohren,
Wie kein ird'scher Schultyrann
Seiner Buben Köpfe walket.

Taumelnd, schwindelnd ächzte Heinrich:
Ach was sind das für Manieren?
Geht es also zu im Himmel,
Möcht' ich erst die Hölle sehen!

Doch jetzt legte sich das Wetter
Es begann ein feines Tönen
Und ein lieblich rotes Glänzen
Brach gemächlich durch das Dunkel.

Diesem Glanze folgt' er eifrig,
Näher kam er ihm und näher,
Bis er selbst in rotem Scheine
Glühte wie bengalisch Feuer.

Und dem Herde dieses Feuers
Stand er endlich gegenüber:
Ein Altar war aufgerichtet
Und darauf von rotem Glase

Lag ein mächtig großer Teller,
Auf dem Teller eine Glocke
Von demselben roten Glase,
Unter dieser glüht' der Lichtquell.

Aus der Glocke tönte jetzo
Gar melodisch eine Stimme:
Hebe diesen Deckel auf
Und du wirst das Leben schauen!

"Ländlich, sittlich!" sagte Heinrich,
"Die skurrile Form, sie soll mich
Nie und nimmermehr verhindern,
Einen guten Kern zu suchen!"

Und er griff die Glock' am Knopfe
Keck und kühn mit beiden Händen;
Wer nicht wich und wankte, war das
Gläserne Mysterium.

Wie er zerrte und sich stemmte,
Daß ihm bald die Arme schmerzten,
Haftet' unverrückt die Glocke;
Dennoch unversehens wich sie,

Und so plötzlich: auf dem Boden
Saß er von dem starken Rucke,
Keine Glocke in den Händen,
Kein Altar war mehr zu sehen,

Sondern dicht ihm gegenüber
Saß sein Erdfeind Ludwig Börne,
Der ihn so gehänselt hatte,
Lachend jetzo wie ein Dämon!


VIII.

Schleunig endete das Lachen,
Als ihm Heinrich in's Gesicht spie;
Und erbost, gleich wilden Katzen,
Prusteten die Zwei sich an,

Schneuzten, das es weithin zischte!
Lessing's Schatten, angelocket,
Kam herbei und sah dem Streite
Menschlich liebenswürdig zu.

Doch es wollt' ihm nicht gefallen,
Schüttelte den dicken Haarzopf,
Und er packte unvermutet
Den Lebend'gen und den Toten,

Beide mit der einen Faust,
Hielt am Kragen in die Luft sie,
Wie ein Jägersmann zwei Hasen
Fröhlich den Gefährten zeigt.

"Wollt ihr Ruhe geben!" rief er,
"Wahrlich, wär't ihr nicht die Meister
Neuer Künste, die uns Alten
Noch verborgen sind gewesen,

"Beide schmiss' ich in die Tinte!
Seht hier!" und mit wenig Schritten
Trug er sie zu einem Pförtchen,
Einer Art von Hintertüre,

Stieß sie auf und stellt' die armen
Sünder flugs auf ihre Beine.
"Seht, das ist die andre Seite
Unsers wohl besorgten Himmels!"

Und sie sah'n in fahlem Lichte
Weißlichgrau ein Feld sich dehnen,
Das sich hie und da bewegte,
Ohne daß man sah wovon.

Denn es war die Schimmeldecke
Über einem Tintenmeere;
Manchmal hob sie sich und zuckte,
Wie vom Kampf der Abgrundstiere.

Einen langen Schifferhaken
Nun ergriff der tapf're Lessing,
Riß damit ein tüchtig Loch
In den weißlichgrauen Schimmel,

Daß die gallig bitt're Flut
Schwarz aufquellend überfloß
Und auch stracks ein par Skandäler
Pfauchend aus der Tiefe stiegen,

Abgebrühte Ungeheuer,
Abenteuerliche Würme,
So die triefend schwarzen Häupter
Grinsend aus den Wellen hoben.

Und dazwischen schwammen traurig
Abgebiss'ne Bein' und Arme,
Abgeschnitt'ne Menschenehren
Und zerfress'ne gute Namen.

Wieder grollt' der tapf're Lessing:
"Nehmet wahr die Willkürbestien,
Wie sie bitt're Tinte saufen,
Alle, die nicht rechttun mochten!

"Dankt dem Schöpfer, ihr zwei Lümmel,
Daß er euch Talent verliehen!
Sicher würdet sonst ihr patschen
Unter diesem Dunkelvolke!"

Ja, sie patschten und sie plumpten
Gar zu grauslich in der Schwarzflut;
Manchmal kamen ganze Klumpen,
Rattenkönige, zum Vorschein,

Manchmal jagten sie zu Scharen
Hinter einem einz'gen fetten
Rundgeschwoll'nen Tintenmolche,
Oder zaus'ten einen magern.

Je zuweilen schlug der gute
Lessing seinen Eisenhaken,
Wie im Traum vergang'ner Tage,
Einem Seehund auf die Schnauze,

Oder stört' ein breites Haimaul
Aus der Tiefe, dem die schwarzen
Schnüre aus den Ecken flossen,
Als es grimmig klaffend auffuhr.

Immer liegt ein solcher Kraken
Grämlich lauernd auf dem Grunde;
Aber kommt ein neuer Tintrich,
Wird er fürchterlich rumoren.

An dem Fischteich stand Herr Heinrich,
Und es ward ihm bang zu Mute;
Er beschaute seine Hände
Gleich der bangen Lady Makbeth.

Schaut' und rief mit schlaugem Lächeln:
"Rein ist meine Hand von Tinte,
Denn schon lang' schrieb ich mit Bleistift
Meine allerschlimmsten Sachen!"

Da erhielt er einen Stoß
Hinterrücks von Ludwig Börne,
Daß er köpflings untertauchte
In die dunkle bitt're Nacht.

Und mit schreckgelähmter Seele
Fuhr er trostlos in die Tiefe,
Die so unerforschlich dunkelt',
Wie der Satz im Schreibekübel

Eines federsiechen Schmierers;
Aber mählig ward es lichter,
Und am Ende schaut' er um sich
In der hellsten Morgensonne.

Freundlich schien sie auf sein Lager
In der alten Stadt Paris,
Und er lag in seinen Kissen
Wohlgepflegt und ziemlich munter.

Manch ein Eckermännchen harrte
Aufmerksam an seinem Bette,
Schreibbereit mit seinem Griffel,
Den es still im Ärmel barg.

Jetzt besann er sich und sagte:
Liebe Herr'n und edle Freunde,
Nur Geduld noch! und dann bitt ich,
Unterschiebt mir keine Witze!

Denn soeben träumt ich seltsam,
Und ich werd' im Himmel froh sein,
Wenn ich nicht noch fremde Späße
Einst auf dem Gewissen habe!

Ja, mir schwanen böse Dinge!
Wenn die Säue wieder grasen
Und die tollen Tische tanzen,
Wird man mein Gespenst beschwören.

Spuken läßt man mich an Orten,
Wo das dümmste Holz wird klopfen,
Und Sottisen muß ich sagen
Aus dem Hirne alter Weiber.


IX.

Viele Tage lag der Dichter
Witzig lächelnd noch am Sterben;
Veilchen blühten und verwelkten,
Endlich aber brach sein Herz.

Und er starb unwiderruflich.
Seine Sterne blieben stehen,
Wie ein Uhrwerk stille steht;
Doch ihr Glanz wird rosig flimmern,

Bis all' uns're Stern' erbleichen
Und in and'rer Tage Sonnen
Eine Sage werden sein;
Denn vergänglich sind wir Ärmsten!

Unterdessen aber zogen
Schwarze Rößlein seine Leiche
Durch's Gewühl der großen Babel
In die stille Totenstadt.

Auf den Höhen ist gelagert
Dort ein Meer von Marmorblöcken.
Von Cypressen, Sykomoren,
Trauerweiden überwachsen

Und von Rosen, die das Jahr durch
Einen Wald von Dornen bilden
Und nur wenig Sommerwochen
Blumen tragen und erröten.

Welch' ein Heervolk liegt hier oben!
Leicht und welk wie Waldesblätter,
Die der Wind des rauen Herbstes
Auf den Boden hat geblasen!

Wohl bedarf's der Marmorlasten,
Solch' ein Heervolk zu beschweren;
Denn ein Lufthauch jagte sonst
All' das Flatterzeug von dannen!

Angeschürft wird das Planetchen
Nun um eines Menschen Länge
Und ein Bettlein aufgelockert
In der duftig weichen Erde.

Ja, die alte braune Mutter
Duftet freundlich in die Nase,
Und sie frißt die toten Kinder
Selber wieder gleich den Katzen.

Auch der Dichter, kaum versenket,
Wird von ihr mit Hast umarmt,
Und wie Goethe einst auf weißem
Nacken hat zu Rom skandiert,

So skandiert sie dichterlich
Jetzt mit Schollen auf dem Sarge;
Auch ein Schädel poltert hurtig
Auf dem Deckel zwei Trochä'n.

Aber endlich wird es still,
Da der Hügel ist errichtet,
Und der Gute liegt beruhigt;
Unsichtbar ist er geworden

Allen, die noch Salz genießen.
Gleich von hinnen fährt der Fuhrmann
Mit dem dunklen Totenwagen
Und den schwarzumhüllten Gäulen.

Rittlings hockt er auf dem Einen,
Läßt die Peitsche lustig knallen,
Fährt im Trab den Berg hinunter,
Daß die schwarzen Tücher fliegen.

Rötlich blühet seine Nase,
Lebensfroh und luftgebadet;
An der ersten Schenke hält er,
Einen feur'gen Schluck zu nehmen.

Freunde kommen und er schwingt
Seinen mächt'gen, florbehang'nen
Trauerdreispitz voller Freuden;
Schnell das zweite Gläschen nimmt er.

Eine Flasche wird gestochen
Und ein Dutzend Schelmenliedchen
An den Schwänzen eingefangen,
Am Refrain, den alle kennen.

Und sie trinken und sie singen,
Bis die Sonne niedergehet;
Ihre braunen Pfeifchen glühen
Heiß gleich ihren braunen Aeuglein.

Aber oben auf dem Berge
Rötet sich das weiße Steinmeer,
Und die Wipfel rauschen leise
Ueber einem neuen Grabe.


X.

Unabsehbar in der Runde
Schwimmt Paris im Abendgolde,
Das den Rauch und Dunst durchflimmert,
Draus die hundert Türme ragen.

Da und dort erblinkt die Seine,
Diese Magd, die ewig wandert,
Aber nie den Herr'n entrinnet,
Die ihr an der Schürze hangen.

Dort erstrecket Malepartus
Grauverschleiert seine Zinnen,
Wo der große Rattenfänger
Seine pfiff'ge Pfeife bläs't.

Seht die Künste, die er treibt!
Wie ein Storch auf einem Beine
Steht er, mit dem Fuß des andern
Reibt behaglich er die Wade.

Jetzo dreht er das Gesicht
In's Genick und bläs't nach hinten,
Gräulich anzusehn, nach vorne
Nickt er mit dem Hinterkopfe.

Wirft das Flötchen in die Lüfte,
Fängt es auf mit seiner Nase;
Von der Spitze bis zur Wurzel
Muß es auf und nieder tanzen.

Wetter! welch vertrackte Nase!
An ihr hängt die ganze Welt,
Wie der tote Has' am Nagel.
Steh'n wir wirklich auf zwei Augen?

Wieder liegt die Pfeif' am Munde;
Doch er bläs't nicht - Todesstille
Herrschet ringsher, seine Augen
Glüh'n wie die der Klapperschlange.

Lässig spielt er mit den Fingern;
Doch es tönt nicht, stechend blickt er.
Und mit aufgeriss'nem Munde
Gafft Europa wie ein Maulaff!

Plötzlich gellt ein schriller Triller,
Gleich darauf wird's wieder stille,
Und Europa's Millionen
Flüstern: hört, es hat gepfiffen!

Wenig ist's, womit er wirket,
Fast zum Lachen schlicht und einfach,
Denn er kennet seine Leute
Und die Dummheit schlechten Volkes!

Und die seiner Pfeife lauschen,
Die ihm in die Augen starren,
Alle wird der Teufel holen,
Wird sie holen und mit Recht!

Kinder, Kinder sind sie alle,
Aber leider ohne Unschuld!
Und mit Recht erwürgt er Alle,
Die nach seiner Pfeife tanzen!

Auf zwei Augen steht die Welt!
Doch ich habe stets vernommen,
Daß die Mähre schlechter sei,
Als der Reiter, der sie reitet. -

Aber hinter Malepartus,
Weiterhin im fernen Süden
Raget in dem roten Dunste
Glühend eine runde Kuppel.

Pantheon hat sie geheißen
In den Tagen, die verschwunden;
Mächtig ragt sie gleich der leeren
Hirnschal' eines toten Riesen.


XI.

Westlich sank die rote Sonne:
Doch im Osten, wo der Rhein geht
Und die deutschen Wälder schlafen,
Steht der Mond am blauen Himmel.

Leise kommt der weise Wandler,
Traurig kommt der traute Träumer
Aus den Eichen, aus den Linden,
Mit dem treuen kalten Antlitz.

Als des Nachtgerichtes Wärtel
Kommt er hier die Schau zu halten,
Schließt mit seinem Silberschlüssel
Lautlos auf die stillen Gräber.

Oeffnet reich' und arme Mäler,
Und es steigt die schlummertrunkne
Wohnerschaft aus ihren Betten,
Nachbar und die Nachbarin.

Nachbarsleut' aus Nord und Süden,
Fern vom Osten und vom Westen,
Unruhvoller Kirmeströdel,
Der im Tanze hingesunken.

Sieh, das Haar der Trauerweide,
Bis zur Erde niederhängend,
Oeffnet sich, aus seinem Schatten
Tritt die Tänz'rin von Sevilla,

Schlägt zurück den dichten Schleier
Ihrer schwarzen Sammethaare,
Daß aus seinem tiefen Schatten
Arm und Busen silbern leuchten.

Horch, sie rührt die Castagnetten
Mit vier weißen Totenbeinchen,
Feinen Knöchlein eines Kindes,
Welche hell und lieblich klingen.

Aus dem Schatten der Cypresse,
Schlank und dunkel, wie sie selber,
Löset sich des Tibro Tochter,
Die den Saltarello tanzet.

Kaum gesellt sie sich zu jener
Mit geschwung'nem Tamburine,
Dessen Reif der Mond durchleuchtet,
So erbraust die Sykomore,

Denn aus ihren Wurzeln windet
Heftig sich die Bajadere,
Und sie schwingt sich auf die Zehen,
Die am Ganges einst gewirbelt.

Mit den zimmetfarb'nen Armen
Wetzt und schlägt sie gold'ne Cymbeln,
Hält sie weithin auseinander,
Zeigt sie lächelnd wie zwei Monde.

Bald liegt ihr Gewand am Boden,
Doch kein Aug' sieht ihre Reize,
Einen blassen Lichtstreif einzig
Läßt der Wirbeltanz erscheinen.

Von dem wilden Schall der Becken
Zittert eine hohe Tanne,
Deren Aeste, schwarz und düster,
Einen Rasen tief beschatten.

Aus dem Rasen steigt die Böhmin,
Steigt die böhm'sche Musikantin
Mit den böhm'schen Diamanten
Um den Hals und an den Armen.

An den weißen Handgelenken
Funkelt es mit sieben Farben,
Wenn sie auf der Geige spielet,
Die sie an die Achsel drückt,

An die Achsel rund und blendend,
Wie sie quillt aus grünem Sammet;
Und im Schatten starker Brauen
Glüh'n die Augen süß und dunkel.

Also zieht sie mit dem Bogen
Klagend, singend lange Töne,
Welche bebend, immer stärker,
Sich in einen Walzer schlingen.

Manch gedieg'nes Muttersöhnchen
Hat sie mit dem Fiedelbogen,
Mit dem Glüh'n der dunkeln Augen
Wortlos und behend verführt.

Jetzo rauscht es in der Fichte
Und es knacken ihre Aeste;
Aus der schwanken Krone springet
Hohen Sprungs die Amazone,

Springt die schöne Reiterpolin,
Die getanzt auf der Schabracke
Manchesmal, daß die Pariser
Außer sich vor Freuden klatschten.

Tadellos am ganzen Leibe,
War kein Zoll, den sie nicht tollkühn
In der Luft zu wenden wußte
Ueber dem gejagten Pferde.

Ueber'n Handschuh, durch das Reifchen,
Vor- und rückwärts, eine Schlange,
Und das Unterste zu oberst
Stob und flog sie um sich selber.

Alles das genügt' ihr nicht.
Einen Großen zu gewinnen,
Der im Circus mächtig prunkte,
Wagte sie das Unerhörte.

Fort jetzt mit der alten Leier!
Fort jetzt mit dem Nacheinander!
Rief sie; jetzt das Nebeneinander
Gilt's mit Einem Blitz zu zeigen!

Und schon schwebt sie in den Lüften,
Unbeschreiblich in der Lage -
Doch den Gaul erreicht sie nimmer
Und im Sand brach sie den Hals.

Aber lachend springt die Polin
Nun auf Heinrichs neuen Hügel,
Tanzt darauf, als wär' es eines
Circusschimmels breiter Rücken.

Aber seht! Ein Grabmal öffnet
Seine erzgegoss'ne Türe
Und in starrer schwarzer Seide
Rauscht hervor die falsche Gräfin.

Rauscht die reizende Lorette,
In Lutetia geboren,
Welche ihre lange Grabschrift
Leider selber nicht kann lesen.

Manche Million gewonnen
Hat sie in den Blütetagen
Dieses Kaiserreich's des Friedens,
Spielend im Champagnerrausche.

Da entging ein Mann ihr nimmer,
Stattlich mit Manschett' und Degen;
Und nach Kirchen und Spitälern
Fuhr sie fürhin mit zwei Füchsen.

Doch die allzu strenge Tugend
Knickte vor der Zeit ihr Leben;
Der Gemahl ließ sie bestatten,
Wie es einer Gräfin ziemte.

Aber jetzt erwachen wieder
Ihre vielgeliebten Nücken
Von dem Ball der großen Oper,
Aus den Sommergartennächten.

Plötzlich schüttelt sie die Locken,
Ihre braunen Seidenlocken,
Wiegt die schön gewölbten Schultern,
Und sie schürzt das Kleid zum Tanze.

Schneller dreht sie schon die Hüften,
Und sie wirft den fein beschuhten
Fuß empor zum keuschen Monde,
Dreimal wohl in der Secunde.

Jetzo rauschen alle Bäume
Von dem mitternächt'gen Winde,
Welcher kalt die Luft durchwehet
Und die köstlichen Gewänder.

Enger schließen die Gespenster
Sich zusammen und sie geben
Sich die weichen weißen Hände,
Die nur Zuckerbrot gebrochen.

Ihre krausen Tänze mischen
Sich zu einem runden Reigen
Um das Grab des toten Dichters,
Es umkreisend bittren Ernstes.

Wundersam gestaltet sich
Nun das Spiel und schmerzlich zucken
Jetzt die Lippen und die Wangen,
Und sie singen stöhnend, klagend:

Moder sind wir, Staub und Moder!
Klagt, ihr Armen! Klaget Schwestern!
In den zierbegabten Brüsten
Hat uns nie ein Herz geschlagen!

Moder sind wir, Staub und Moder!
Hätten wir ein Herz besessen,
O wie hätten wir's gezeigt,
Wie ein Kindlein süß gepflegt.

Moder sind wir, Staub und Asche!
Herzlos, ungelehrt und kindisch
Lebten wir ein sündig Leben,
Wie wir's besser nicht verstanden.

Moder sind wir, Staub und Asche!
Doch wir schienen, was wir waren;
Ohne Herz und ohne Wissen
Gaben wir uns, wie wir waren!

Und der Aff' hier, dieser Dichter,
Der ein wohlgebildet Herz,
Das getaucht in edle Rheinflut,
In der reichen Brust getragen:

Kindisch hielt er es verborgen,
Mühte sich mit Staubgebärden
Uns zu gleichen und den reichen
Schatz beharrlich zu verleugnen!

Moder sind wir, Staub und Asche,
Aber unverfälschter Moder!
Schwestern! Duldet keinen Heuchler,
Der ein Herz in's Grab geschmuggelt!

Er, der sich mit Prahlen rühmte,
Tigerkrallen zu besitzen,
(Mäuse fing er mit den Krallen
Grausam freilich wie ein Kätzchen),

Dieser große Herzverleugner
Sei von uns heraufbeschworen,
Daß er büße sein Vergehen,
Eh' er sich des Schlafs erfreut!

Rege dich und steig' herauf
An das kluge Licht des Mondes!
Mancher narrt die gold'ne Sonne,
Doch der Mond, er sieht die Herzen!

Manches glaubt die gold'ne Sonne,
Denn sie funkelt selbstzufrieden;
Das bescheid'ne Mondesviertel
Zwinkert still durch Menschenrippen.


XII.

Leise regen sich die Schollen
Und entlassen Heinrich's Schatten,
Leicht und luftig schon die Füße,
Doch noch erdenschwer die Stirne.

Wie ein Kind, aus erstem Schlafe
Aufgeschreckt, die Augen reibet,
Unwirsch klagt und nicht erkennt,
Weder sich, noch wo es ist,

Drückt er die gerung'nen Hände
An die schwer umflorten Augen,
Und er seufzet tief und schüttelt
Schwach das Haupt zum Protestieren.

Doch wie eine Windsbraut wirbelt
Sich empor mit ihm der Reigen;
In die Luft wie eine Lerche
Jählings schießt die blasse Schar,

Und nach Süden geht der Zug;
Ueber monderhellten Wolken
Und vorbei den blanken Sternen
Schwebt der neue Frauenlob.

Sechs enthüllte Schultern tragen,
Zwölf verschränkte Arme wiegen
Ihn durch die azurnen Höhen,
Und schon lacht der Dichter wieder.

Doch er sieht nichts von den Sternen;
Denn die weh'nden Rabenhaare
Seiner Trägerinnen decken
Wie ein Schleier ihm die Augen.

Unter ihm erglänzen silbern
Zwölf beflügelt leichte Füße
Gleich den Schwingen weißer Tauben
Schimmern weithin ihre Sohlen.

Alles flattert, weht und leuchtet,
Haar, Gewänder, Knie' und Füße;
Einem aufgeflog'nen Grabmal
Gleicht es, von verwegnem Stile.

Könnt' er ewig also schweben,
Fahren durch den weichen Aether,
Ach, dem Schelmen wohl gefiel' es,
Und er würde nicht sich rühren!

Doch ein minder gutes Ziel
Ist ihm ja schon längst beschieden;
Nach Südosten unaufhaltsam
Durch die Lüfte fährt die Sippschaft.

In der Tiefe dunkelt Frankreich,
Rechtshin blinket die Loire,
Und schon bellen auch die Füchse
In den Wäldern der Côte d'or.

Auf der Saone grünen Weiden
Schlafen träumend Tier' und Hirten,
Doch schon dunkeln auch die Tannen
Schwarz empor am Juraberg.

Schaut dort vor dem großen Spiegel
Ihres Sees die edle Genf -
Wahrlich ein Grisettenhäubchen
Trägt sie traurig auf dem Ohr,

Während ihre alte Krone,
Ihre gold'ne Mauerkrone
Auf dem grünen Tisch verschleudert
Dort ein Tor und alter Schächer!

Weiter! Laut erbraus't die Arve,
Schäumend durch Gestein und Klüfte,
Wände ragen über Wolken,
Ein Lawinenchor erdröhnt.

Jetzt aus ihren Riesenschleiern
Endlich blitzt die nackte Wüste,
Und mit allen seinen Schrecken
Tritt hervor der weiße Berg.

Flattert dort, vom Sturm verschlagen,
Eine Hand voll Schmetterlinge
An dem ew'gen Eis der Firnen,
Auf dem tausendjähr'gen Schnee?

Nein, es sind die Totenmädchen
Von Paris mit unserm Dichter,
Dem sie eine Kammer suchen
Für sein Purgatorium.


XIII.

Von Gestein, schwarz und verwittert,
Zieht sich weit ein Berggesimse,
Wunderliche Eisgebilde
Stehen längs darauf gereiht.

Auf dem schmalen Gletschersteige
Wandeln jetzt die Tänzerinnen
Und sie tragen unverdrossen
Ihre leichte Schattenbürde.

Aus dem Berge tritt ein Männchen
Ihnen weiß und starr entgegen;
Von dem Scheitel bis zur Zehe
Klirrt von Eis ihm Haar und Bart.

Und ein Büschel seines Bartes
Hält es hoch wie eine Rute
Von bereiftem Birkenreisig;
Glashell glänzen seine Augen.

Freundlich schwingt der Zwerg die Rute,
Und er ruft mit guter Laune:
Kommt ihr, meine Schar zu mehren,
Meine Heerde, die ich hüte?

Meine Schäflein, meine Kühlein,
Meine Bosheitsdilettanten,
Die wir hier im kühlen Eise
Für den Himmel temperieren?

Seht, sie sitzen wohl geordnet
Mir im Block, in Zack' und Nadel,
Und das böse Höllenmütchen
Kühlt sich langsam aber sicher!

Alle Mädchen rufen lachend:
Freilich! diesen tollen Burschen
Bringen wir, mit Höllenkünsten
Hat die Schwachen er geärgert!

Hinter einer Satyrmaske
Hielt er störrisch sich verborgen,
Und durch ihre leeren Augen
Schabte Rübchen er den Leuten.

Wie ein volles Veilchentöpfchen
War sein Herz, das aufgegangen
Just am schönsten Frühlingsmorgen,
Alle Kelche schwabblig voll

Von dem klarsten Taugeflunker;
Aber gräuliche Gesichter
Schnitt er, als ob er im Busen
Schnöd' ein Nest von Disteln trüge.

Her mit ihm! ich kenn' die Sorte!
Rief das weiße Männchen munter,
Folgt mir nur! Wie an den Augen
Ich erkenne, ist's ein Deutscher!

Seht den Schalk! Die Sündermaske
Will um keinen Preis er lassen!
Wart' nur, in Krystall geprägt
Wollen wir sie aufbewahren!

Haben eine schöne Sammlung
Solcher abgelegten Larven,
Welche uns're Burg verzieren,
Während ihre alten Eigner

Lange schon im Paradiese
Harmlos wie die Zicklein spielen.
Vorwärts mit dem guten Kauze,
Daß wir sein Quartier besorgen!

Und er führt den Zug der Geister
Hurtig fort durch das Gefror'ne
Drin gar schnurrig, wunderbarlich
Allerlei Gestalten sitzen.

Manche fletschen noch die Zähne,
Manche strecken noch die Zunge,
Andre sitzen still gekauert,
Wie das Kind im Mutterleibe,

Und beginnen in den Urstand
Ihrer Unschuld rückzukehren,
Und sie werden klug und weislich
Mit sich selber wieder einig.

Jetzo ragt ein hoher schmaler
Zinken mächtig in die Lüfte,
Gleich dem Speere eines Kriegers
Spießt er eine Wolkenflocke.

Halt! Hier ist ein leerer Zacken!
Schreien unverweilt die Weiber;
Prächtig kann da unser Wildfang
In die höchste Spitze fahren!

Doch der Alte ruft: Mit nichten!
Dieser schöne lange Zapfen
Muß noch stets zur Höhe wachsen
Für den längsten aller Sünder!

Denn es wird ihn einst bewohnen
Jener lange Karl, der Heinzen,
Der seit manchen langen Jahren
Theoretisch Köpfe schneidet,

Aber friedevollen Herzens
Noch kein Tröpflein Bluts vergossen,
Während lautlos die Tyrannen
Schlachten, daß die Erde raucht.

Aber hier ist, was wir suchen!
Ein verführtes Mädchen sitzt mir,
Schön geläutert hier im Eise;
Lassen wir das Täubchen fliegen!

Und den ungezog'nen Dichter
Sperren wir an seiner Stelle
In den kühlen Mädchenzwinger,
In's krystallne Kämmerlein.

Also sprach der kleine Hüter;
Mit dem Trüppchen armer Seelen
Hielt er an vor einer Säule,
Die mit klaren Silberkanten,

Wie mit Filigran gefaßt,
Und mit spiegelnden Facetten
In der Bergnacht tiefes Schwarzblau
Sich erhob und lieblich glänzte.

Alle standen vor dem Türmchen;
Heinrich auch ward aufgestellt,
Und sie sahn ein schönes Wunder
Mit verblüfften Todtenaugen.

Hinter dem erhellten Eise
Stand der Morgenstern am Himmel,
Groß und glänzend, und sein Licht
Strahlte durch die klare Wohnung.

Einen zarten Frauenumriß
Zeichnete der Glanz des Sternes
Freundlich in das reine Prisma
Der gefeiten Himmelswasser;

Ohne deren Lauterkeit
Nur um einen Hauch zu trüben,
Schwebt darin das Lichtgebilde
Gleich dem Umriß eines Engels,

Den ein Meister in das Trinkglas
Seiner Liebsten leis gegraben.
Doch im dunkelblauem Feuer
Blühten zwei gar süße Augen,

Glühten ruhig gleich zwei Sternen,
Die im fernen Osten leuchten;
Alles andre war so lauter
Wie das Wasser junger Quellen.

Nun erschloß das Hütergreischen
Leis und sanft die lichte Zelle,
Klatschte freundlich in die Hände -
Und das schöne Bild entfloh.

Lächelnd schwebt' es auf zum Himmel,
Wo die großen Sterne flammten.
Dieses war das holde Clärchen
Aus dem Tal von Chamounix.

"Schnell jetzt, eh' das Nest erkaltet,
Schnell hinein den Versedrechsler!
Einen wackern Harfenengel
Will ich aus dem Sünder machen!"

Also rief das weiße Männlein;
Und sie schoben ihn zur Stelle;
Aber siehe da! mein Heinrich
Ward auf einmal wild und munter,

Sperrte sich mit Händ' und Füßen,
Strampelte mit beiden Beinen,
Schlug umher und rief gewaltig:
"Macht mir keine schlechten Witze!

Ihr erträumtes, schnöd' erfund'nes
Lumpenpack der Phantasie
Eines schnöden Nachgebor'nen!
Was! Ihr wollt mich maltraitieren?

Laßt mich, daß aus meinem todten
Armen Hirn ich schnell Euch solche
Höhnisch grimm'ge Spottgeburten
Auf den magern Buckel jage,

Daß Ihr heulend mir davon stäubt,
Froh, wenn in des Toren Schädel,
Dem Ihr unbedacht entsprungen,
Wieder könnt zurücke kriechen!"

"Ruhig, ruhig!" sprach der Alte,
"Schicke dich! Du hast gesprochen!
Nun durchaus mußt Du erdulden
Auch der andern Spruch und Rede!

Kein Atom von Deinem Werte
Wird man Dir herunter kratzen,
Wie Du bist, wirst Du bestehen!
Einlogiert nun ohne Zaudern!"

Und den Störrischen berührte
Er mit seiner Silberrute;
Sieh, da huscht' er still und willig
In die funkelnde Behausung.

Schon erglänzten von Krystallen
Leichenhemd und Kranz und Locken,
Und der Alte schloß die Wohnung
Mit dem Hauche seines Mundes,

Mit dem Hauche starr und eisig.
Aus der Tiefe rief das Schneehuhn
Durch die stillen Alpentriften
Seinen ersten Morgengruß.

Plötzlich schwanden jene Nymphen
Aufgeschreckt in alle Lüfte,
Schneller, als ein Flug von Spatzen
Einem Flintenschuß entflattert.

Doch der Alte, still und einsam,
Reinigte mit seinem Barte
Wohlgefällig noch die hellen
Spiegelscheiben an dem Eise,

Welches schon der Frühschein streifte,
Daß es anfing zu erglühen
Zwischen silbergrauem Aether
Und der dunkelblauen Tiefe.

Und die weißbereiften Haare
Knisternd auf dem Felsen schleppend
Ging das kleine Geistermännchen
Endlich in den Berg hinein. -

Zierlich ist das winz'ge Mücklein,
Das im gold'nen Bernstein sitzet;
In der fernen Ostseesonne
Schimmert es am Hals der Frauen.

Und erhaben ist der Mamuth,
Der im Eisberg eingeschlossen
Von dem Nordlicht falb erhellet,
Auf dem dunklen Meere schwimmt.

Myriaden wohl von Jahren
Künden beide, Mück' und Mamuth;
Doch das Maß für ihre Größe
Reichet über meinen Sinn.

Manchmal scheint das Rüsseltier
Winzig mir wie eine Mücke;
Manchmal wieder schwillt die Mücke
Mir zum Elephanten auf!

Aber mein in Eis gesetzter
Trauter Herr und Zeitgenosse
Tritt mir immer menschlich sittlich
Und belehrend freundlich nah.


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






Gedicht: Der Apotheker von Chamounir

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