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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Der Waadtländer Schild
Erinnerung an Ferdinand Flocon.
1859.
An der Brücke zu Lausanne
Hängt der Wappenschild von Waadt,
Darauf "Vaterland und Freiheit"
Froh das Volk geschrieben hat.
Erzgegossen glänzt das Wappen,
In der Sonne strahlt die Schrift;
Also schrieb man in Helvetien,
Und von Eisen war der Stift!
Sieh! im regen Brückenwandel
Malet sich ein schönes Bild;
Liebend hebt ein kleines Dirnchen
Seinen Bruder vor den Schild,
Lehrt ihn schreiben jene Worte
"Freiheit" und das "Vaterland!"
Und sie führt des Knäbleins Finger
Mit der wenig größer'n Hand.
Und sie lenkt den zarten Finger
Am Metall hinauf, hinab,
An den sonndurchglühten Zeichen,
Die das große Rom uns gab.
Und wie von der Kinder Locken
Gold in Gold zusammenfließt,
Von der Wangen Freudenröte
Ros' an Rose blühend sprießt.
Aber auf derselben Brücke
Geht ein einsam fremder Mann,
Wandelt mit ergrautem Haare
Still und kühl in Acht und Bann;
Er gewahrt das Spiel der Kleinen,
Rascher fließt sogleich sein Blut,
Doch um schmerzlich nur zu klagen
Um verlornes höchstes Gut:
"Welche Worte seh' ich schreiben
Hier die Unschuld und das Glück!
Wehvoll wenden sie mein Sehnen,
Frankenland! zu dir zurück!
Was mir dort in Blut und Gräuel
Im Verrat zusammenbrach,
Lehret hier ein Kind das and're,
Singt der Vogel auf dem Dach!
Ist denn euer Himmel blauer,
Schweizer! gold'ner euer Korn?
Sind denn laut'rer eure Brunnen,
Eure Rosen ohne Dorn?
Glück und Unschuld, ach! sie bauen
Wohl allein der Freiheit Reich!
Ob ihr schuldlos seid - nicht weiß ich's -
Doch gesegnet seh' ich euch!"
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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