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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Epigrammatisches
Venus von Wiso.
Wie einst die Medizäerin
Bist, Aermste, du jetzt in der Mode
Und stehst in Gips, Porz'lan und Zinn
Auf Schreibtisch, Ofen und Kommode.
Die Suppe dampft, Geplauder tönt,
Gezänk und schnödes Kindsgeschrei;
An das Gerümpel längst gewöhnt,
Schaust du an allem still vorbei.
Wie durch den Glanz des Tempeltor's
Sieht man dich in die Ferne lauschen,
Und in der Muschel deines Ohr's
Hörst du azurne Wogen rauschen!
Ratzenburg.
Die Ratzenburg will Großstadt werden
Und schlägt die alten Linden um;
Die Türme macht sie gleich der Erden
Und streckt gerad, was traulich krumm.
Am Stadtbach wird ein Quai erbauet
Und einen Boulevard man schauet
Vom untern bis zum obern Tor;
Dort schreitet elegant hervor
Die Gänsehirtin Katharine,
Die herrlich statt der Krinoline,
Zu aller Schwestern blassem Neide,
Trägt einen Faßreif stolz im Kleide.
So ist gelungen jeder Plan,
Doch Niemand sieht das Nest mehr an!
An eine junge Simplicitas.
Schämig versagst du den Blick dem übel beleumdeten Ketzer,
Spendest zur Seite gewandt deinen verkümmerten Knicks!
Schwebe nur zierlich von hinnen: als Mütterchen seh' ich dich humpeln,
Welches zu Hussens Gericht steuert sein schwelendes Scheit!
Historiograph.
Weisheitsvoll und prophetisch betrieb er und schrieb er Geschichte;
Als sie mit blitzendem Schild aufstand, purzelt er um!
Wär' ich doch lieber ein Kätzlein, ein schäbiges, welches Miau schreit,
Als ein solcher Prophet! riefen die Dichter im Chor.
Einem Tendenzriecher.
Weil in Tendenzen du dich hast müd und kränklich geschwelget,
Aergert dich jetzo der Gran, welcher Gesunden bekommt!
Der Scheingesehrte.
"Wissende sagten es lange!" so schnarrte der Esel zu Erfurt,
Als er den Hafer entdeckt, schnuppernd im Psalter des Till.
Rhetorische Histrionen.
Einer flötet wie Honig so süß, der Andere lümmelt,
Doch vor dem gleichen Trümeau wurden die Reden studiert.
Denk' an die Leere des Spiegels, sobald das verlogene Wesen
Dir den redlichen Sinn irre zu führen versucht!
Ein schuldlos Unwahrer.
Launig erlog die Natur und bemalte den stattlichen Golem,
Dann, auf sich selber gestellt, log das Gebilde sich durch;
Was es berührt, wird unwahr, Gold zu gleißendem Tombak,
Kläglich im festlichen Krug macht es zu Wasser den Wein!
Möchte Natura naturans mit solchem Betrieb uns verschonen,
Laufen ja mehr als genug wirkliche Schelme herum!
Dynamit.
Seit ihr die Berge versetzet mit archimedischen Kräften,
Fürcht' ich, den Hebel entführt euch ein dämonisch Geschlecht!
Gleich dem bösen Gewissen geht um die verwünschte Patrone,
Jegliches Bübchen verbirgt schielend den Gräuel im Sack.
Wahrlich, die Weltvernichtung, sie nahet mit länglichen Schritten,
Und aus dem Nichts wird nichts: herrlich erfüllt sich das Wort!
Dem Kopf- und Herz-Dogmatiker.
Dein schlechtes Fühlen stieg aus deinem Kopf hernieder,
Dein schlechtes Denken kommt aus deinem Herzen bieder:
Das macht, weil dein Gehirn ein roher Hausknecht ist,
Die träge Magd, das Herz, zu wecken ihn vergißt!
Ein Goethe-Philister.
Den mit trock'nen Erbsen angefüllten Schädel
Taucht er jauchzend in des klaren Meeres Wellen,
Das man Goethe nennt; nun schauet achtsam,
Wie die Nähte platzen, wenn die Erbsen schwellen!
Parteileben.
Wer über den Partei'n sich wähnt mit stolzen Mienen,
Der steht zumeist vielmehr beträchtlich unter ihnen.
Trau' keinem, der nie Partei genommen
Und immer im Trüben ist geschwommen!
Doch wird dir jener auch nicht frommen,
Der nie darüber hinaus will kommen.
Fällt einer ab von eurer Schar,
So laßt ihn laufen und richtet nicht;
Doch dem, der zu euch stoßen will
Von dort, dem schauet ins Gesicht!
"Was du nicht willst, das man dir tu',
Das füg' auch keinem andern zu!"
Laß die Gesinnung merklich sein,
So ist der halbe Sieg schon dein.
Zu diesem Wort lacht manch' ein Schuft,
Der sich auf den Erfolg beruft;
Doch du erlebst, daß er wird wandern,
's trifft eben einen nach dem andern!
Halte fest an der Partei, wenn du ein Parteimann bist;
Aber unbewegt verläugne jeden Lügner und Sophist!
Betrachtet eurer Gegner Schwächen
Und lernt, am besten euch zu rächen,
Das eig'ne Unkraut auszustechen!
Wenn schlechte Leute zanken, riecht's übel um sie her;
Doch wenn sie sich versöhnen, so stinkt es noch viel mehr!
Als Gegner achte, wer es sei!
Strauchdiebe aber sind keine Partei!
Majorität.
Der Mehrheit ist nicht auszuweichen,
Mit Helden- wie mit Schwabenstreichen
Macht sie uns ihre Macht bekannt
Auf Weg und Steg im ganzen Land;
So gebt dem Kind den rechten Namen,
Laßt Ehr und Schuld ihm und sagt Amen!
Und läuft es dann auf schlechten Sohlen,
So wird es schon der Teufel holen!
Ist zu Ende nun das Kannegießen,
Lasset euch das Trinken nicht verdrießen;
Braucht die Kannen! Ist erst Wein darin,
Wird zum alten auch das neue Zinn!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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