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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gesammelte Gedichte
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Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Grillen

Die Phantasie tut wie ein Kind,
Das einsam Kränze windet,
Bald lacht und plaudert mit dem Wind,
Bald einen Schwank erfindet
Und wunderliche Märchen spinnt,
Dann inne hält und traurig sinnt.

Als ich vergangne Mitternacht
In düsterm Sinnen schwebte,
Da hab' ich still und bang gedacht:
Wie? wenn ich nicht erlebte
Der nächsten Morgenglocke Schlag?
Wer weiß denn, was geschehen mag!

Da schrieb ich einen langen Brief
An Alle, die mich lieben;
Was mir im Herzen wacht' und schlief
Hab' ich hinein geschrieben,
Damit beim Scheiden aus der Welt
Mein Soll und Haben sei bestellt.

Ich schrieb mein kurzes Leben auf
Mit meinem besten Wissen;
Irrtümer wuchsen mir zu Hauf,
Ich zählte sie beflissen,
Folgt' auch des Guten schön'rer Spur,
Doch fast war's eine Nachschrift nur!

Den Lieblingsdichter legt' ich hin,
Daneben aufgeschlagen,
Als wär' das Fehlende darin
Für Freunde zu erfragen;
Und den und jenen guten Spruch
Bezeichnet' ich in manchem Buch.

Darauf verbrannt' ich viel Papier
Und räumte in den Schränken,
Stürzt' um ein kühnes Trinkgeschirr,
Und auf den Fensterbänken,
Wo ein paar magre Sträucher blühn,
Legt' ich gebrochne Knospen hin.

Drin ich in Tagen, rauh und mild,
Bald sang, bald wieder greinte,
Ich schuf mein Zimmer so zum Bild,
Wie ich zu sein vermeinte.
So war ich endlich konterfeit
Nach tief geheimster Eitelkeit.

Mit grauendem Gedankenspiel
Legt' ich mich jetzo nieder;
Doch bald versanken weich im Pfühl,
Schlaftrunken, Haupt und Glieder;
Die Todesphantasie, ein Schaum,
Zerfloß in einen Torentraum.

Und dieser auch floh vor dem Tag,
Und ich erschrak, erwachend,
Als ich da schnell besonnen lag,
Das Leben mich umlachend.
Wie war mir wunderlich und fremd
Im angemaßten Leichenhemd!

Das Zimmer war voll Sonnenschein
Und von der Drossel Schmettern;
Ein Hagel schlug zum Fenster ein
Von weißen Blütenblättern;
Der Frühlingsschimmer überflog
Den Totenkram, den ich erlog.

Und auch der Brief, den ich gemacht,
War glänzend überzogen;
Ich las nun wieder mit Bedacht
Die vollgeschrieb'nen Bogen;
Am Ende aber, klar und rein,
Stand eine Zeile Sonnenschein:

"Du magst noch fürder unentwegt
In dieser Lenzluft hauchen,
Wie jetzt dein Sein sich hebt und regt,
Ist's drüben nicht zu brauchen.
Es bricht kein Herz so arm und klein,
Es muß dem Tod gewachsen sein!

Doch baue nicht zu lang darauf!
Gott wird uns Tage senden,
Die mit vordoppelt schnellem Lauf
Die schwerste Arbeit enden,
Wo mancher Geist, der sinnt und schweift,
Im Sturm dem Tod entgegenreift!"


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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