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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Morgenwache
Nun, da diese alten Herr'n
Tief im Rausche sanken,
Oben auch von Stern zu Stern
Morgennebel wanken:
Rücken wir zusammen
Unterm Gartentor,
Jetzt in neuen Flammen
Schlägt die Lust empor!
Daß der junge Sonnenball,
Rollt er auf den Hügeln,
Sich im funkelnden Kristall
Klärlich kann bespiegeln,
Halten wir entgegen
Becher ihm und Glas;
Fließe gold'ner Regen,
Glühe, dunkles Naß!
Jungfrau! Geh' und sieh mir nach
Rings in allen Gärten,
Ob die Rosen schon sind wach,
Bring' die Tauverklärten!
Rosen, Rosen bringe!
Rosenduft soll weh'n!
Wenn ich trink' und singe,
Muß ich Blumen seh'n!
Horch'! Der tiefe Amselschlag
Schallet aus den Gründen;
Treue Wächter soll der Tag,
Heiter in uns finden.
Wer wird denn vermissen
Eine kurze Nacht,
Wenn sie sangbeflissen
Wacker durchgewacht?
Tief ist uns'rer Freude Born,
Tiefer als das Leiden,
Doch es wacht der helle Zorn
Gleich in ihnen beiden.
Darum lasset rinnen
Letztes Glas und Lied!
Zornig uns von hinnen
Nun die Freude zieht!
Und der Lüge schwarzen Molch
Tapfer anzustechen,
Dem gemeinen Höllenstrolch
Kühn das Horn zu brechen:
Ja, die Nas' zu finden,
Die uns nicht gefällt,
Zieh'n mit allen Winden
Fort wir in die Welt!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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