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Gottfried Keller
Gesammelte
Gedichte . 3. Auflage 1888
Revolution
"Es wird schon geh'n!" ruft in den Lüften
Die Lerche, die am frühsten wach;
"Es wird schon geh'n!" rollt in den Grüften
Ein unterirdisch Wetter nach.
"Es geht!" rauscht es in allen Bäumen,
Und lieblich wie Schalmeienton:
"Es geht schon!" hallt es in den Träumen
Der fieberkranken Nation.
Die Städte werden reg und munter,
"Es geht!" erschallt's von Haus zu Haus;
Schon steigt der Ruhm in sie hinunter
Und wählt sich seine Kinder aus.
Die Morgensonne ruft: "Erwache,
O Volk, und eile auf den Markt!
Bring' auf das Forum deine Sache!
Im Freien nur ein Volk erstarkt!
Trag' all' dein Lieben und dein Hassen
Und Lust und Leid im Sturmesschritt,
Dein schlagend Herz frei durch die Gassen,
Ja bring' den ganzen Menschen mit!
Laß strömen all' dein Sein und Denken
Und kehr' dein Innerstes zu Tag!
Die Kindheit braucht dich nicht zu kränken,
Wenn du ein Kind von gutem Schlag!"
Die Morgensonne ruft: "Erwache!"
Klopft unter'm Dach am Fenster an;
"Steh' auf und schau zu uns'rer Sache,
Sie geht, sie geht auf guter Bahn!
Ich lege Gold auf deine Zunge!
Ich lege Feuer in dein Wort!
So mach' dich auf, mein lieber Junge,
Und schlag' dich zu dem Volke dort!"
Er eilt, und es empfängt die Menge
Ihn hoffend auf dem weiten Plan;
Stolz trägt sein Kind des Volks Gedränge
Zur Rednerbühne hoch hinan.
Nun geht ein Leuchten und Gewittern
Aus seinem Mund durch jedes Herz;
Durch gold'ne Säle weht ein Zittern -
Es wird schon geh'n, schon fließt das Erz.
Wie eine Braut am Hochzeitstage,
So ist ein Volk, das sich erkennt;
Wie rosenrot vom heißen Schlage,
Vom Liebespuls ihr Antlitz brennt!
Zum ersten Mal wird sie es inne,
Wie schön sie sei und fühlt es ganz:
So stehet in der Freiheitsminne
Ein Volk mit seinem Siegeskranz.
Doch wenn es nicht von Güte strahlet
Wie eine hochbeglückte Braut,
So ist sein Lohn ihm ausgezahlet
Und seine Freiheit fährt in's Kraut.
Ein böses Weib, ein gift'ger Drache
Und böses Volk sind all' ein Fluch,
Und traurig spinnt die beste Sache
Sich in ihr graues Leichentuch!
Gottfried
Keller . 1819 - 1890
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