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Gesammelte Gedichte
162 Bücher



Gottfried Keller
Gesammelte Gedichte . 3. Auflage 1888



Tod und Dichter

    Tod:
Deiner bunten Blasen Kinderfreude
Hängt und bricht an meiner Sensenschneide,
Wirf zur Seite nunmehr Rohr und Schaum,
Mache dich auf, aus ist der Traum!

    Dichter:
Halte weg die Sense! lasse steigen
Meiner Irisbälle bunten Tanz!

    Tod:
Schon an meinem Schädel platzt der Reigen,
Und ein Ende nimmt der Firlefanz!

    Dichter:
Laß! ich will dich als das Beste preisen,
Trost und Labsal alles Menschentumes!

    Tod:
Nicht bedarf ich Schrecklicher des Ruhmes;
Spare deine falschen Schmeichelweisen!

    Dichter:
Weh', noch schuld' ich manche schöne Pflichten!

    Tod:
Reif genug schon bist du den Gerichten!

    Dichter:
Doch die lieblichste der Dichtersünden
Laßt nicht büßen mich, der sie gepflegt:
Süße Frauenbilder zu erfinden,
Wie die bittre Erde sie nicht hegt!

    Tod:
Warum hast du solchen Spaß getrieben,
Schemen zu ersinnen und zu lieben?

    Dichter:
Sind sie nicht auf diesem kleinen Sterne,
Blüh'n sie doch wo in der Weltenferne,
Blut von meinem Blute; zu verderben
Bin ich nicht, eh' jene sterben!

    Tod:
Ei, da fahr' ich hin, sie wegzumähen,
Und sie müssen gleich mit dir vergehen!

    Dichter:
Hui! da fährt er hin in's Unermess'ne,
Und ich bin der glückliche Vergess'ne,
Spiele weiter in des Lebens Fluten,
Bis er findet jene schönen Guten!


  Gottfried Keller . 1819 - 1890






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