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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Das Gericht

1841.

1.

"Herr Gott! wie ist die Nacht so lang!
    Daß doch der Morgen käme,
Und diese Qual, unendlich bang,
    Mir von der Seele nähme!
O fördre, Sonne, deinen Lauf!
Blutroth, o Morgen, steig' herauf,
    Da von des Henkers Händen
    Mein Leben sich soll enden!"

Er rief's und schwieg und seufzte leis,
    Und schloß die Augenlider;
Dicht auf der Stirne stand der Schweiß,
    Ihm zitterten die Glieder.
So zwei Secunden lag er kaum,
Da schreckt' er auf, da floh der Traum!
    Und rasch, mit klirrender Kette,
    Sprang er empor vom Bette.

Still war die Nacht! Ein Mondenstrahl,
    Der aus der Fensterecke
Sich mitten in den Kerker stahl,
    Glitt spielend an der Decke.
Und lauschend stand er auf den Zeh'n:
Den blauen Himmel konnt' er sehn,
    Und dort in ew'ger Ferne
    Die goldenen, die Sterne!

Still lag die Welt: nur wie im Meer
    Sich linde Wellen kräuseln,
So hört er leis von unten her
    Das Laub der Linde säuseln.
Da in die Brust des Aermsten schlich,
Wie Thau der Nacht es tröstend sich
    Und glättete die Wogen
    Des Herzens, Sturmdurchflogen.

"So wird es mir, so wird es thun,
    Wenn sich die Glieder lösen,
Im stillen Grab, so werd' ich ruhn,
    Gerettet und genesen:
Und o der Friede, den ich mir
Zugleich gemordet hab' mit ihr,
    Nach wenig bittern Stunden,
    Getrost! er ist gefunden!

Und doch, und doch! bin noch so jung
    Und soll auf ewig scheiden!
O bunte Welt! Erinnerung
    An Freuden und an Leiden!
An jene Stunde grausenvoll,
Da aus der Brust das Blut ihr quoll
    Und mir die Hand geröthet,
    Mit der ich sie getödtet!

Das Fenster dort - o könnt' ich nur
    Bis an das Gitter greifen!
Dürft' nur noch einmal durch die Flur
    Mein suchend Auge schweifen!
Säh' einmal noch die Rosen blühn,
Nur einmal noch der Laube Grün,
    Wo sie und mich erst Wonnen,
    Verderben dann umsponnen!"


2.

So, Raben gleich am Hochgericht,
    Umflattern ihn Gedanken,
Bis vor dem ersten Morgenlicht
    Die düstern Schatten sanken,
Bis daß am Thor der Riegel klirrt,
Und ihm ein Mönch gesendet wird,
    Der vor dem letzten Pfade
    Ihn seiner Schuld entlade.

Es war ein achtzigjähr'ger Greis,
    Und kam doch frisch gegangen;
Die Locken fielen silberweiß
    Um Scheitel ihm und Wangen:
Mit hellen Augen, blau und klar,
Mit Blicken schaut' er wunderbar,
    Die aus der Seele Tiefen
    Uralte Räthsel riefen.

Wohl lustig einst, vor alter Zeit,
    War er einher gesprungen,
Und hatte selbst in manchem Streit
    Sein blankes Schwert geschwungen:
Er war ein wackerer Soldat
Und hat manch gutem Kamerad,
    Dem man die Brust durchschossen,
    Das Auge zugeschlossen.

Drauf, als er alt geworden war,
    Ging er in Klosters Hafen,
Nicht, um an Betpult und Altar
    Zu singen und zu schlafen:
Nein! in die Kerker dringt er ein,
Und manches Herz, ob es von Stein,
    Ja ob's von Eisen wäre,
    Rührt seine schlichte Lehre.

So in der Frühe kommt er her,
    Mit Trost den Mann zu tränken,
Dem nun auf Erden niemals mehr
    Die Sonne sich soll senken;
Er grüßt ihn mild und spricht ihm zu,
Daß er zu seiner Seele Ruh'
    Noch vor dem letzten Pfade
    Der Sünden sich entlade.


3.

Der Jüngling sprach: "O frommer Greis,
    Wohl möcht' ich dir vertrauen!
Doch sieh, dein Bart ist silberweiß
    Und silbern deine Brauen;
Dich hat der Jahre Frost gekühlt,
Und ach, was mir im Herzen wühlt,
    Was ich gethan, gelassen,
    O Greis, wirst du es fassen?

Sieh mich nicht an! Jetzt bin ich krank,
    Gequält, zerknirscht, ermattet;
Ein Jüngling einst, wie Cedern schlank,
    Von Locken überschattet,
Die Wange frisch, wie Milch und Blut,
Und in der Jugend Uebermuth
    Der Schönste nah und ferne,
    Wie hört' ich das so gerne!

Wohl viele Mädchen sah ich flehn
    Und winken und erwarten:
Ich ließ sie welken, ließ sie stehn,
    Wie Blumen in dem Garten!
Wohl viele Lippen, weich und rund,
Verlangten nach des Jünglings Mund:
    Doch ohne drauf zu achten,
    Die Mägdlein ließ ich schmachten.

Denn Eine, Herr -! O hat vielleicht
    In deiner Jugend Jahren
Das fromme Herz auch dir erweicht,
    Was damals ich erfahren?
Der sel'gen Liebe Sonnenbrand,
Hast du ihn auch, o Greis, gekannt?
    Sonst hoffe nicht, zu wissen,
    Was mir die Brust zerrissen!

Denn Eine, Herr -! Die Schönste nicht
    War es von allen Frauen,
Doch sprach aus ihrem Angesicht
    Ein Blick, wie Engel schauen:
Ich ließ die Schönern willig stehn,
Nur in das Antlitz ihr zu sehn,
    Nur um an ihren Blicken
    Die Seele zu erquicken.

Greis, zürne nicht, daß, nah dem Tod,
    Ich dieser Lust gedenke,
Auf ihrer Wangen holdes Roth
    Mein brechend' Auge lenke!
O Greis, wer nur ein einzig Mal
Gekostet dieser Wonne Qual,
    Dem wird es schwer, mit Schweigen
    Auf das Schaffot zu steigen.

Ich hab's verdient! - Mit dieser Hand,
    Die ihre süßen Glieder
Mit losem Tändeln oft umspannt,
    Bis ich gelöst ihr Mieder,
Die oft ihr goldnes Haar zerwühlt,
Die ihren Herzschlag oft gefühlt
    Und ihrer Adern Pochen -
    Hab' ich sie selbst erstochen!

Du schweigst? Wohl, mich hat Gott verflucht,
    's giebt keine Qual, wie diese!
Ein Drache kroch, die Eifersucht,
    Durch meine Paradiese:
Mir ward geflüstert, ward genickt,
Mir kamen Boten zugeschickt,
    Daß Nachts im Rebengange
    Ein Zweiter sie umfange.

Ein Zweiter?! Wohl! - Schon kam die Nacht:
    Stumm, mit entblößtem Degen,
Verhüllten Haupts, in fremder Tracht,
    Schlich ich auf öden Wegen:
Bis wo der Rebengang sich dehnt,
Bis wo an ihm die Laube lehnt,
    Wo in des Mittags Gluthen
    Wir oft süß tändelnd ruhten.

Hell schien der Mond: ich kroch und schlich
    Auf diebisch leisen Sohlen,
Und drückte in die Zweige mich,
    Unhörbar und verstohlen.
Jetzt stand ich an der Laubenwand:
Ich hielt das Herz mir mit der Hand,
    Das laut und hörbar pochte,
    Und Gift, nicht Blut, mir kochte.

Und o, allmächt'ger Gott, ich sah
    Und wünschte zu erblinden:
Sie war's! im Hemdchen saß sie da,
    Das Haar gelöst den Winden!
Und neben ihr, ich sah's genau,
Ein dunkler Fleck, ein Schatten, schau!
    Jetzt dicht an ihrer Seite,
    Bei Gott! das ist der Zweite! - -

Ob sie die Nachtigall geweckt,
    Süßflötend durch die Kühle;
Ob sie ein Traum emporgeschreckt
    Von ihrem seidnen Pfühle:
Ob jenes Mannes dunkle Spur
Vielleicht ihr eigner Schatten nur,
    Der hin und her sich wendet
    Und mir den Geist verblendet:

Ich weiß es nicht! Denn wild, verstört,
    Ein Tiger auf dem Raube,
Blutlechzend, rasend, sinnbethört,
    So sprang ich in die Laube:
Und weiß nur, wie sie niedersank
Und wie ein Schrei ins Ohr mir klang,
    Und wie mein Degen blitzte,
    Und mich ihr Blut bespritzte...

Da lag sie, da! Im weißen Hemd,
    Mild lächelnd, wie sie pflegte,
Das Köpfchen in die Hand gestemmt,
    Wie sie zum Schlaf sich legte:
Doch dieses war ein Schlaf, so fest -!
Die Augen hielt sie zugepreßt
    Und dachte nur mit Schauern,
    Wie lang der Traum wird dauern!

Dann blickt' ich auf: doch keine Spur,
    Wohin die Augen glitten,
Im Grase rings kein Hälmchen nur
    Zerknickt von Männertritten!
Da fühlt' ich was, kalt, schrecklich schwer,
Als ob's ein Wurm der Hölle wär',
    Zu meinem Herzen schleichen
    Und fühlte mich erbleichen.

Und Mord! so rief es in mir, Mord!
    Mord! flüstert's in den Blättern,
Gepeitscht von Furien, stürzt' ich fort,
    Das Haupt mir zu zerschmettern.
Ich lief und suchte mir den Tod -
Und schaute doch das Morgenroth
    Und doch des Tages Leuchte,
    Die roth, wie Blut, mir däuchte.

So hab' ich irrend, lange Frist,
    Mich durch die Welt getrieben,
Und stets in meinen Ohren ist
    Ihr Todesschrei geblieben;
Ich zog die Erde kreuz und quer,
Und ging und schiffte über's Meer,
    Und fand nicht, was mir fehlte,
    Verlor nicht, was mich quälte.

Da ward ich müd: wohin es schaut,
    Mein Auge, matt von Thränen,
Ich seh' nur immer meine Braut
    Todt an der Laube lehnen.
Ihr wißt's, o Herr: ich selber bot
Mich dem Gericht und bat um Tod,
    Weil nur im Schooß der Erde
    Ich Frieden finden werde.

Und doch, o Greis! sieh, du bist alt,
    Halb schon in's Grab gesunken,
Dein Leib ist morsch, dein Blut ist kalt,
    Das meine sprühet Funken:
Hast du gedacht, was Sterben heißt?
Hast du's gedacht? und hat dein Geist
    Geduldig, ohne Zagen,
    Nur dieses Wort ertragen?

O denke, liegen in dem Schooß
    Der Erde, sonder Leben,
Dem Biß der Würmer nackt und bloß,
    Und keinen Finger heben -
Und nie die Sonne wieder schaun,
Den muntern Strom, die grünen Au'n -
    O Gott, vom Leben lassen,
    Es ist nicht leicht zu fassen!"


4.

Hier endet' er. Der Mönch begann,
    Denn ach, es drängt die Stunde!
Und sprach, und seine Rede rann
    Frisch aus des Herzens Grunde:
Er sprach vom Unbestand der Welt,
Und wie er schon manch jungem Held,
    Dem man die Brust durchschossen,
    Das Auge zugeschlossen.

Doch Jener horcht nur auf die Uhr,
    Ob sie sich bald wird regen,
Und rechnet die Secunde nur
    An seines Pulses Schlägen:
Nie meint' er in verworrnem Sinn,
Nie flog die Zeit so schnell dahin,
    Und fühlt im starren Blute
    Doch jegliche Minute! -

Jetzt schlägt sie, jetzt! Die letzte Frist,
    Nun ist sie auch verschwunden,
Und des Gefangnen Leben mißt
    Noch einzig nach Secunden.
Auf springt des Kerkers ehrnes Thor,
Schon fährt der blut'ge Karren vor;
    Der Mönch nur bleibt zur Seite;
    Daß er zum Tod ihn leite.

Er tritt hinaus - o neue Qual!
    Denn dort, in dunklen Massen,
Dumpf murmelnd wogt, weit ohne Zahl,
    Das Volk dort in den Gassen:
Mit Fingern weisen sie auf ihn,
Und lassen ihn vorüberziehn,
    Als ob er, guter Dinge,
    Zu einer Hochzeit ginge.

Die Menge steigt und wächst geschwind
    Und ballt im Knäul sich dichter:
Er senkt den Blick - und doch! es find
    Doch Menschenangesichter!
Schau hin, so sehen Menschen aus!
Bald in dem finstern, engen Haus,
    Eng, und doch unermessen!
    Wirst du sie auch vergessen.

Todtstille ward die Menge jetzt,
    Als ob sie Leichen wären,
Und selbst der Blick der Neugier netzt
    Sich mit des Mitleids Zähren.
Der König nur auf hohem Thron
Schaut finster drein und meint voll Hohn:
    " So schütz' ich Eure Töchter,
    Fort mit dem Weiberschlächter!"

Denn was dort steht in ernster Pracht,
    Dort auf dem Klosterplane,
Am hellen Tag im Kleid der Nacht,
    Mit schwarzumhüllter Fahne,
Der furchtbare Koloß - o Gott!
Es ist sein Ziel, ist das Schaffot:
    Schon steht er an der Leiter,
    Stutzt, schwankt und schreitet weiter.

Da hebt ein feierlicher Klang
    Sich in des Klosters Mauern:
Ist's Grabgeläut? ist Todtensang?
    Das Volk vernimmt's mit Schauern.
Und rasselnd öffnet sich das Thor
Und langsam wallt daraus hervor,
    Ehrwürdig anzuschauen,
    Der Zug der frommen Frauen.

Die lebten in des Klosters Rund,
    Fern von der Welt geschieden,
Mit ihrem Gotte nur im Bund,
    In makellosem Frieden.
Die Menge grüßt sie andachtvoll
Und knieet nieder, wie sie soll,
    Wenn sich die frommen Frauen
    Im Volke lassen schauen.

Denn also wurden sie geschätzt,
    Von Armen und von Reichen,
Dicht zu den Heiligen gesetzt,
    Den Engeln zu vergleichen.
Auch von Geschlechte zu Geschlecht
Hat jede Nonne hier das Recht,
    Vom Tod, fast schon erlitten,
    Den Sünder loszubitten.

Drum wie hervor aus Klosternacht
    Die frommen Frauen wallten,
Da hat, wohl wissend und bedacht,
    Sogleich der Zug gehalten.
Rings Alles schweigt, kein Athem geht,
Nur die hoch vom Schaffotte weht,
    Die Fahne hört man rauschen:
    So stehen sie und lauschen.

Und sieh nur, eine Jungfrau reißt
    Sich aus der Nonnen Mitte,
Dicht vor den König tritt sie dreist
    Mit unverzagtem Schritte,
Und laut und flehend hebt sie an:
"Ich bitte, Herr, für diesen Mann!
    Schon auf dem Todespfade,
    O König, schenk' ihm Gnade!"

Den König freut' die Bitte nicht;
    Er runzelte die Brauen
Und sprach mit finsterm Angesicht:
    "Kehrt heimwärts, fromme Frauen!
Es geht nicht an, es kann nicht sein,
Ihn selbst treibt's in den Tod hinein,
    Er hat mit kühnem Pochen
    Den Tod selbst angesprochen."

Und Jene drauf: "Es ist mein Recht,
    Ererbt von alten Tagen,
Zu bitten für den ärmsten Knecht,
    Du wirst mir's nicht versagen.
Groß ist mein Recht, groß deine Huld,
Mit Einem Wort tilgst du die Schuld:
    Was hat der Mann verbrochen?"
    " "- Er hat sein Weib erstochen.""

"Sein Weib? wie das?" - Und hin und her
    Gehn rüstig ihre Fragen,
Der König muß, ob noch so schwer,
    Ihr volle Antwort sagen.
Da plötzlich sinkt sie in die Knie,
Und küßt das Kreuz, so küßt' sie's nie -!
    "Schon auf dem Todespfade,
    Herr, dennoch schenk' ihm Gnade!

So hat es Gott auch mir gethan,
    Thu's auch, du Mensch im Staube!
Denn sein Verbrechen ist ein Wahn,
    Hör' an, vernimm's und glaube!
An der der Mann sich frech verbrach,
Das Weib, o Herr, das er erstach
    Voll allzuraschen Sinnes -
    Schau her, o Herr: ich bin es!"

Kaum trifft dies Wort des Jünglings Ohr,
    Da stürzt er stammelnd nieder:
"Wie? aus den Grüften schon hervor,
    Die Todten kehren wieder?!"
Und knirscht und schweigt, springt auf und schaut:
Die Nonne da wär' seine Braut?
    Die er im Blut sah liegen,
    Sich ihm zu Füßen schmiegen? -

Die fromme Frau indeß erzählt
    Mit ruhigem Gemüthe,
Wie sie ihm heimlich war vermählt
    In ihrer Weltlust Blüthe,
Wie man mit Ränken, gottverflucht,
Zu bösem Argwohn ihn versucht,
    Und wie vor seinem Degen
    Ohnmächtig sie erlegen.

Doch sie genas: die Narbe blieb,
    Dicht über ihrem Herzen,
Und in ihr Herz, o Gott, da schrieb
    Sich eine Schrift der Schmerzen:
Und während er in fernes Land
Die flücht'gen Schritte hat gewandt,
    Beschließt sie voller Grämen,
    Den Schleier anzunehmen.

"Du siehst, o Herr, Gott hat gewollt,
    Daß Unrecht sich vernichte:
So sei denn du nicht minder hold,
    Geh gnädig zu Gerichte!
's ist nicht mein Buhle mehr, mein Mann:
Dem Ewigen traut' ich mich an,
    Gieb ihn in meine Hände,
    Daß ich den Sinn ihm wende!"

Der Jüngling aber steht verstört,
    Die Augen schlägt er nieder:
Ist es ein Traum, was ihn bethört?
    Und sinnt und sinnet wieder:
So soll er jetzt kein Mörder sein?
Und alle Qual und alle Pein,
    So waren sie erlogen
    Und Furcht hat ihn betrogen?!

Sie trägt zwar auch ein weißes Hemd,
    Doch nonnenhaft, in Falten,
Und o, die Stimme däucht ihm fremd,
    Kann die denn auch veralten?
Das ist nicht jener Stimme Klang,
Der ihm so süß zum Herzen drang -
    Zum Guten oder Bösen,
    Wer wird das Räthsel lösen?


5.

Stumm saß indessen lange Zeit
    Der König in Gedanken,
In seinem Innersten entzweit,
    Die Seele fühlt er schwanken.
Das Volk umher jauchzt auf und tobt
Und benedeit und singt und lobt,
    Und auch den Mönch mit Schweigen
    Sieht man die Kniee neigen.

Da tritt die Nonne voller Hast,
    Den bangen Streit zu enden,
Dicht vor den König hin und faßt
    Ihn rasch an beiden Händen:
Den Schleier rückt sie, wenig nur,
Und läßt vom Degen ihn die Spur,
    Läßt an der Brust mit Grauen
    Ihn halb die Narbe schauen.

Und sieh! der König neigt sich ihr
    Und springt empor vom Throne:
"Du bist sein Weib! ich glaube dir,
    Du bist's, bei meiner Krone!
Gott selber hat für dich erkannt,
Ich geb' ihn hin in deine Hand,
    Daß er zu frohem Ende
    Auf bessern Weg sich wende!"

Zum Jüngling tritt sie: er allein
    Theilt nicht die laute Wonne,
Nur regungslos, starr wie ein Stein,
    Betrachtet er die Nonne.
Sie trägt zwar auch ein weißes Hemd,
Und doch ist ihm die Stimme fremd,
    Die einst wie Engelszungen
    Ihm in das Herz geklungen!

Und wie er zögernd vorwärts geht,
    Die Lippen will bewegen,
Da wie mit Liebesathem weht
    Die Mailuft ihm entgegen:
Das Leben lacht so mild ihn an,
Und Thal hinab und Berg hinan
    Läßt er die Blicke fliegen -
    Und steht und bleibt verschwiegen.

Sie nimmt den Jüngling bei der Hand,
    Auch sie stumm, ohne Worte,
Und führt ihn leis und unverwandt
    Hinein zur Klosterpforte:
Rasch durch den Kreuzgang zum Altar,
Wo einsam die Kapelle war,
    Daß in den öden Hallen
    Die Tritte wiederschallen.

Jetzt stehen beide, stumm und bleich,
    Allein sich gegenüber,
Den Bildern in der Nische gleich,
    Nur ernster noch und trüber.
Er sprach: "Enthülle dein Gesicht!"
Und sie: "Du weißt's, ich bin es nicht.
    Der König ward betrogen,
    Ich hab' dich losgelogen!"

Sie nahm den Schleier vom Gesicht,
    Wie klopft das Herz ihm schneller!
Und ach, in seine Seele bricht
    Ein Tag, ein schmerzlich heller:
Sie ist ihm fremd und doch bekannt,
Ein Antlitz, das ihm längst verschwand,
    Das keines Traumes Schatten
    Ihm mehr gewiesen hatten.

Die Nonne sprach: "Du kennst mich wohl,
    Wenn du mich jemals kanntest!
Jetzt freilich ward die Wange hohl,
    Seit du hieher mich banntest:
Das Aug' erlosch, das einst gesprüht,
In Flammen einst für dich geglüht,
    Das dich allein erblickte,
    Dir seine Blitze schickte!

Auch du, mein Freund, auch du bist krank,
    Von Todesangst ermattet:
Ein Jüngling einst, wie Cedern schlank,
    Von Locken überschattet,
Die Wange frisch, wie Milch und Blut,
Und in der Jugend Uebermuth
    Der Schönste nah und ferne,
    Wie sah ich dich so gerne!

Doch eine Andre hielt dich fest,
    Die ich nicht konnt' besiegen,
Sie hieltest du ans Herz gepreßt,
    Ich mußte einsam liegen!
Da in dein Herz die gift'ge Frucht
Sät' ich der tollen Eifersucht:
    Die Liebe wollt' ich stören,
    Nicht dich zum Mord bethören.

Ich selber war's, die deine Braut
    Zu Nacht hinab entboten,
Ich war der Mann, den du geschaut,
    Ich sah dich bei der Todten,
Und sah dich wenden deinen Fuß
Und deinen letzten bangen Gruß
    Der Todten zugewendet,
    Den Kuß an ihr verschwendet!

Da ging ein Schwert durch meine Brust:
    Mein ganzes junges Leben,
Ich hätt' es lächelnd, voller Lust,
    Für diesen Tob gegeben:
Er kam ja doch von deiner Hand!
Und weinend kniet' ich in den Sand,
    Und sah dein Weib verscheiden
    Und mußte sie beneiden.

Nun ist's vorbei, nun ist es gut,
    Nun sieh auch meine Buße,
Die Thränen sieh und sieh das Blut
    Hier an des Kreuzes Fuße,
Sieh an der Brust die Narbe jetzt,
Wie mich die Geißel hat verletzt:
    O daß von deinem Schwerte
    Die Narbe nur mich ehrte! -

Wie ich vom Tod dich frei gemacht,
    Mit Thränen und mit Bitten,
Was ich erfunden, was erdacht,
    Und was um dich gelitten,
Du weißt's, o Freund, weißt meine Schuld:
O übe du nun gleiche Huld,
    Und zeig' auch meinem Pfade
    Die Sonne deiner Gnade."

Er aber sprach: "Und was denn nun?
    Geh selber deine Pfade!
Für dich, mein Kind, was kann ich thun,
    Was nützt dir meine Gnade?
Es ist ja all das Alte doch,
Ich bin ein Mörder immer noch,
    Und wiederum auf's Neue
    Zernagt mich Gram und Reue.

Zu feig zum Tod am Hochgericht,
    Zu elend um zu leben -
Ich dank' dir, Kind, die Mühe nicht,
    Die du dir hast gegeben.
Ich bin des wüsten Treibens satt,
Mein Geist ist krank, mein Herz ist matt:
    Welch Ziel und welch Beginnen
    Kannst du mir nun ersinnen?"

Die Nonne sprach: "Bau' dir ein Haus,
    Dort bei den Fliederzweigen,
Zum Fenster laß uns dann hinaus
    Die trüben Augen neigen:
So darf ich doch dein Angesicht,
Darf dann, o Gott! die frömmste nicht,
    Die seligste der Frauen,
    Zu dir hinüber schauen!"

Er aber rief: "Du treibst nur Spott,
    Kein Klausner mag ich werden!
Wo ist das Kloster, wo der Gott,
    Der Ruhe giebt auf Erden?
Du, wo du willst, bau' dir dein Haus,
Nach wem du willst, schau' du hinaus -
    Und wenn's die Teufel thäten,
    Ich mag mit dir nicht beten!

Ich will hinaus: weit in die Welt,
    Wo sie am Wildsten stürmet,
Fernhin, wo der empörte Belt
    Sich hoch in Wogen thürmet!
Da will ich keck im Sturme stehn,
Da soll mein Schifflein untergehn:
    Fort! laß mich weiter wanken,
    Ich weiß dir Nichts zu danken."

Er ging. Sie rief: "Nur einen Blick
    O nur den letzten Einen!"
Er aber schaute nicht zurück,
    Er hörte nicht ihr Weinen;
Nur wie er an der Schwelle stand,
Da winkt' er rückwärts mit der Hand,
    Und ging hinaus zum Thurme
    Und sang laut in dem Sturme:

"Herr Gott, wie ist der Weg so lang!
    Daß doch ein Engel käme,
Der diese Qual, unendlich bang,
    Mir von der Seele nähme!
O fördre, Leben, deinen Lauf!
Wohlthät'ge Nacht, o steig' herauf,
    Daß sich die Sonne wende
    Und ich mein Leben ende!"


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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