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Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Der Nußbaum

unter dem Fenster spricht:

Wo ist das holde Kind geblieben,
    Das sonst, wenn kaum die Nacht entschwand,
Gleichwie von Zaubermacht getrieben,
    Früh unter meinem Schatten stand?
O sie war schön -! Wie junge Schlangen
    Spielt' um die Stirn ihr Lockenhaar,
Vom Schlummer brannten ihre Wangen,
    Ihr Auge doch, wie sonnenklar!

Ein Wörtchen flog von ihrem Munde,
    Ein Wörtchen nicht, ein Hauch, ein Klang,
Wie wohl in erster Morgenstunde
    Der muntern Lerche Frühgesang.
Und schnell das Fenster hört' ich gehen:
    "Ei guten Morgen, süßes Kind!" -
Wie lang' nicht hab' ich dich gesehen!
    O komm herab, herab geschwind! -

Und kam der Liebste nun gegangen,
    O welch ein sel'ger Morgengruß!
Welch zärtlich Neigen, hold Umfangen,
    Und Herz am Herzen, Kuß um Kuß!
Dann wandelte in meinem Schatten
    Das muntre Pärchen froh einher:
Was sie sich da zu sagen hatten?
    Sie sprachen wenig, küßten mehr:

Bis daß zu Nacht die Sterne kamen
    Und, von den Zweigen dicht bedeckt,
Sie schmerzlich süßen Abschied nahmen,
    Von keinem fremden Aug' erschreckt:
Da lachten, weinten sie und hielten
    Umklammert sich in trunkner Lust,
Und meine dunkeln Schatten spielten
    Wollüstig auf des Mädchens Brust.

Ei wohl, das mochte mir behagen,
    Das freute wohl mich alten Herrn,
Und wie ein Hauch von Frühlingstagen
    Durchbebt' es meinen morschen Kern.
Kein Lüftchen ging! kein Blätterrauschen!
    Still breitet' ich mein Schattendach,
Und stand versenkt in frommes Lauschen:
    Entschwundnen Lenzen dacht' ich nach.

Nun ist es Herbst, die Winde wehen,
    Mein grünes Haupt wird dürr und kahl,
Ich muß nun balde schlafen gehen:
    Gern säh' ich sie noch, sie einmal!
Möcht' mich an ihrem Auge wärmen,
    An ihrer Blicke Sonnenschein:
Dann ohne Grämen, ohne Härmen,
    Schlief' ich getrost und fröhlich ein.

O wenn die Vöglein wieder bauen,
    Wenn sich mein Wipfel neu belaubt,
Werd' ich das Kind wohl wieder schauen,
    Das mir der Herbst so früh geraubt?
Ach oder wo, auf welchen Wegen,
    Wohin dann irret ihre Flucht?
Dann wo sie sei, mit ihr sei Segen,
    Und holde Blüthe, reiche Frucht!


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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Der Nußbaum, Robert Eduard Prutz