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Gedichte
162 Bücher



Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Der Verlornen

1836.

1.

Von prächt'gen Städten geht verjährte Kunde,
    Die einst die Wellen über Nacht verschlangen;
    Die Gassen sieht man noch, die breiten, langen,
Sieht Schloß und Tempel schimmern aus dem Grunde.

Auch war's dem Schiffer oft in nächt'ger Stunde,
    Als ob die Glocken aus der Tiefe klangen,
    Als ob melodisch ferne Stimmen sangen
Geheime Lieder aus geheimem Munde.

Ach! Glück und Liebe sind die Herrlichkeiten,
    Mein Herz das Meer, darin sie untergingen,
    Kein Taucher bringt, was dort versank, mir wieder.

Ich träum' und singe von vergangnen Zeiten,
    Der Schiffer weiß nicht, was die Glocken klingen,
    Und Niemand ach! verstehet meine Lieder.


2.

Verstummen wollt' ich, wollte nimmer sagen,
    Was ich gefühlt in dieser bangen Zeit,
    Welch bitter Grämen, welch unnennbar Leid,
Da jäher Sturm mein keimend Glück zerschlagen.

Doch fürchte nicht! Mit Seufzern nicht, noch Klagen
    Will ich verkümmern deine Heiterkeit:
    Du hast's gewollt, und sieh! ich bin bereit,
Wie Freuden einst, die Leiden jetzt zu tragen.

Du hast's gewollt, es sei! wir müssen scheiden!
    Gieb mir zum Abschied einmal noch die Hand -
    Nicht zürne drum: die Hand, nur auf Secunden!

Was wäre Liebe, könnte sie nicht leiden?
    Dieselbe ja, die einst mich Freund genannt,
    Dieselbe schlägt mir jetzt auch diese Wunden.


3.

Nun will die Nacht sich auf die Erde senken,
    Der Tag war lang, und Manches ist geschehn,
    Zu hören gab es viel und viel zu sehn;
Doch konnte nichts von dir die Seele lenken.

Jetzt sitz' ich einsam zwischen Bücherschränken,
    Auf jedem Blatte wird dein Name stehn;
    Dann, ruhelos, werd' ich zur Ruhe gehn,
Und selbst im Traume werd' ich dein gedenken.

Du hast indeß, von Schmeichelein umflogen,
    Bei Festmusik und heller Kerzen Licht
    Dich satt geschwelgt in üpp'gen Tanzes Wogen.

Mich hast du wohl seit lange schon vergessen,
    Mein Name klang in diese Cymbeln nicht:
    Hab' ich indeß dich minder drum besessen?


4.

Nicht diese Zeit ist's, diese wild empörte,
    Die, irr gelenkt durch selbst verschuldet Weh,
    Aufschwankt und ab, ein Schifflein auf der See,
Was mir des Busens süßen Frieden störte;

Auch nicht die Zukunft ist's, die mich bethörte,
    Daß ich wie fremd durch's bunte Leben geh',
    Hinbrüte stumm und sinnend stille steh',
Als ob ich fernher Geisterstimmen hörte:

Vergangenheit! auf dich nur hingewendet,
    Ward mir das Heute, mir das Morgen leer,
    Und nichts mehr freut, nichts kümmert meine Sinne.

Und o, mir ist's, als hätt' ich längst vollendet,
    Und diese Welt wär' nur ein Sarg, nichts mehr,
    Darin ich schlafend schwere Träume spinne.


5.

Papyrusrollen, Schriften alter Zeiten,
    Hat man gegraben aus Pompeji's Grund,
    Von Purpur einst und blankem Golde bunt,
Jetzt aschenfarb, mühselig auszubreiten.

Vergebens netzt man die erloschnen Seiten,
    Mit Kunst zu lösen ihren todten Mund:
    Sie bleiben stumm! Kein Zeugniß wird uns kund
Von jener Vorzeit stolzen Herrlichkeiten. -

Ein Blatt nur mein! ein einziges, zerknittert,
    Unscheinbar, gelb, ein schlechtes Stück Papier:
    Sie aber hat, sie selbst, es mir geschrieben!

Und wenn auf's Blatt die Thräne niederzittert,
    Wird lesbar wieder jede Silbe mir,
    Und wieder blüht mein Glück mir und ihr Lieben,


6.

Wehmuth beschleicht mich: denn ein seltsam Bild
    Hält ohne Rast die Sinne mir gefangen,
    Als säh' ein Mädchen ich, mit bleichen Wangen,
Gesenkten Haupts, die Locken wirr und wild.

Nicht weint sie mehr: versiegt ist, nicht gestillt,
    Der Thränen Quell; tief in ihr nagt, wie Schlangen,
    Rathloser Jammer, tödtliches Erbangen,
Davon das Herz ihr hoch in Wogen schwillt.

Horch, armes Kind! horch auf und tröste dich!
    Wie linder Balsam träuft von allen Zweigen
    Der holden Vöglein süße Melodie!

Horch auf - und jetzt, als kehrte sie auf mich
    Das Auge jetzt mit stumm beredtem Neigen -
    Und mir, o Gott! mir ist's, als kennt' ich sie!


7.

Vorbei, vorbei! - Horch, ging die Thüre nicht?
    Sie ging, bei Gott: als käm' mit leisen Tritten
    Die Falsche selbst zu mir hereingeschritten,
Sie ist es, ja! mich täuscht kein Dämmerlicht!

Gesenkten Aug's schamroth das Angesicht,
    Tritt sie herein, Vergebung zu erbitten
    Für all den Schmerz, den ich um sie gelitten,
Für all den Kummer, der das Herz mir bricht.

Die weißen Händchen auf die Stirn gelegt,
    Beugt sie sich abwärts, vor mich hinzuknieen;
    Der Mund ist stumm, doch ach! die Seele spricht.

Ich aber fühl' mein Innerstes bewegt,
    Versöhnt versöhnend sie ans Herz zu ziehen -
    Vorbei, vorbei! es war ein Traumgesicht.


8.

Ob ich dir zürne? - Zürnt man auch dem Mai,
    Dem köstlichen, da alle Quellen sprangen,
    Aus jungem Laub die muntern Vögel sangen
Daß er uns ach! zu schnell entschwunden sei?

So warst auch du, so hell und wolkenfrei,
    In deiner Schönheit maienhaftem Prangen
    An meinem Himmel einst mir aufgegangen:
Wie zürnt' ich jetzt? Der Frühling ist vorbei.

Und wie der Hirt, wenn Winterstürme wüthen,
    Sich Lieder reimt von der vergangnen Lust
    Und fröhlich hofft auf neue Blüthenzeiten:

So will auch ich das Angedenken hüten
    An jenen Frühling in getreuer Brust: -
    Nur hoffen freilich kann ich keinen zweiten.


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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