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Gedichte, Lyrik, Poesie

Gedichte
162 Bücher



Robert Eduard Prutz
Gedichte . 3. Auflage 1847



Die Mutter des Kosaken

1840.

Laß deine Locken flattern in dem Winde,
    Zerreiß', unsel'ge Mutter, dein Gewand!
Rasch fort, hinaus! Nach deinem letzten Kinde,
    O schau' hinab von dieses Ufers Rand!
Fern am Gebirge ward die Schlacht geschlagen,
    Dein Sohn war Hetman im Rebellenheer -
Er war's, er fiel -! und dort die Wellen tragen
    Den blut'gen Leichnam zögernd in das Meer! - -

Wer durfte sonst mit dieser sich vergleichen
    Von allen Müttern in der grünen Flur?
Drei Söhne waren ihr - jetzt sind sie Leichen,
    Sie sucht umsonst nur ihrer Gräber Spur.
Den Ersten rief, fern von der Heimatherde,
    Zur Türkenschlacht der Zaarin Aufgebot:
Den Pascha selber schoß er von dem Pferde
    Und sank und fand mit ihm denselben Tod.

Was war der Dank? - Als einst in froher Runde,
    Da ihn des Weines süßer Rausch umfing,
Der zweite Sohn mit allzukeckem Munde
    An Katharinens Namen sich verging:
Da schnell ein Ohr fand des Verräthers Klage,
    Schwerer, denn Blutschuld, wog das leichte Wort -
Und tief im Bergwerk, fern vom holden Tage,
    In Ketten ist sein müder Leib verdorrt! -

Noch Einer blieb, der Jüngste, Sohn der Schmerzen,
    Mit blauem Aug' und schwarzgelocktem Haar,
Ein süßes Kind, das ihrem Mutterherzen
    Wermuth zugleich und linder Balsam war.
Man hat sie oft noch Mitternachts gesehen,
    Wie sie emporsprang, bei der Lampe Schein,
In ihres Kindes Angesicht zu spähen:
    Und dann vor seinem Lager schlief sie ein.

Er wuchs heran: sein Auge, morgenhelle,
    Flog stolz und fröhlich in der Welt umher;
Kein Andrer trieb, wie er, das Roß so schnelle,
    Kein Andrer schwang die Lanze so, wie er.
Und sang er Nachts ein Liedchen vor den Zelten,
    Da schwieg das Volk und horchte voller Lust,
Und nickt' ihm zu - und mancher Dirne schwellten
    Sehnsücht'ge Seufzer die bewegte Brust.

Da plötzlich kam, gewaltsam Recht zu sprechen
    Für jedes Unrecht, das der Russe that,
Pugatschew kam: sein heil'ges Amt war Rächen,
    Ein Schwert sein Scepter, blutgetränkt sein Pfad!
Und Kampfgeschrei und Freiheitruf durchschwirrte
    Die grüne Steppe sausend, wie ein Pfeil,
Und jede Kette, die zu Boden klirrte,
    Ward umgeschmiedet in ein mordend Beil.

Auch an das Ohr der Mutter traf die Kunde.
    Zwei Tage saß sie wortelos und sann;
Am dritten erst, in mitternächt'ger Stunde,
    Zu ihrem Sohne flüsternd hob sie an:
"Dein erster Bruder liegt in fremder Erde,
    Im Bergwerk ist des Andern Leib verdorrt ..."
Hier brach sie ab; der Sohn pfiff nach dem Pferde:
    Denn er verstand die Mutter ohne Wort.

Sie weinte nicht, als mit verhängten Zügeln
    Ihr Liebling früh aus ihren Armen flog:
Sie wußte ja, daß auf des Ruhmes Flügeln
    Sein Name bald die halbe Welt durchzog!
Roth war von Blut das Fähnlein seiner Lanze,
    Sein Schwert war Blitzstrahl in der Feinde Reihn,
Und bald nun, bald, in hellem Siegesglanze
    Zieht er in Moskau's heil'ge Mauern ein! -

Doch anders war's in Gottes Rath beschlossen! -
    Fern am Gebirge braust die wilde Schlacht:
Da plötzlich hallt das Feld von flücht'gen Rossen,
    Kosaken stürmen durch die stille Nacht:
"Wir sind zerstreut, vernichtet und zerschlagen!
    Dein Sohn war Hetman im Rebellenheer -
Rasch fort! hinaus! Denn dort die Wellen tragen
    Den blut'gen Leichnam zögernd in das Meer!"

Sie hört's - und schwieg! Nur ihre Blicke sanken,
    Wie müde Sterne, dämmernd niederwärts;
Nur einen Augenblick schien sie zu wanken,
    Dann wieder stand sie, gleich als wär' sie Erz.
Und als sie nun das Aug' emporgeschlagen,
    Da längst verschwunden ist der Flücht' gen Spur,
Nur noch den Hufschlag donnernd hört sie jagen,
    Und stumm nun wieder, schweigend liegt die Flur.

Still Alles, still! Nur in der Mutter Herzen,
    Welch jäher Nothschrei gellt entsetzlich dort!
Welch banges Echo fürchterlicher Schmerzen
    Erweckte da des Flüchtlings rasches Wort!
Ja, hätt' ein Gott es ihrem Mund verliehen,
    Die stumme Qual des Herzens auszuschrein:
Das Thier des Waldes hätte mitgeschrieen
    Und Mond und Sterne stimmeten mit ein! -

Schon wich die Nacht; der erste Lichtstrahl bebte
    Bleich und erschrocken über ihr Gesicht;
Sie fuhr empor - sie fühlte, daß sie lebte,
    Die Sonne nicht, es weckte sie die Pflicht.
Rasch fort, hinaus! Von jenes Ufers Wänden
    Nach ihres Sohnes Leichnam will sie schaun -
Er kommt, gewiß! und dann mit eignen Händen
    Dem Schooß der Erde will sie ihn vertraun. -

Der Tod ist stark, ein Fürst! Wer darf ihn hindern?
    Denn selbst der Mutter Thräne rührt ihn nicht.
Doch wird der Schmerz, der bitterste, sich lindern,
    Darf er am Grabe der Geliebten knien.
Es ruht sich weich an diesen grünen Hügeln,
    Es weint sich sanft in brünstigem Gebet,
An diesen Gräbern, die mit Engelsflügeln
    Wehmüth'gen Trostes süßer Hauch umweht! -

Ihr weht er nicht! Längst schon an fremden Lüften
    Bleicht ihres Erstlings blutiges Gebein,
Und um den Andern in des Bergwerks Klüften
    Weint leise nur das tropfende Gestein.
Den Jüngsten jetzt, o tragt ihn, liebe Wellen,
    Die er so oft mit rüst'gem Arm zertheilt,
Den Fels vorüber, durch des Stromes Schnellen,
    O tragt ihn sicher, tragt ihn unverweilt!

So sitzt sie nun, dicht an den Strom gekauert,
    Die Welle netzt ihr flatterndes Gewand,
Und schaut hinab tief in den Fluß und lauert,
    Gleich wie ein Adler von des Horstes Rand.
Roth schimmern rings des Stromes goldne Fluthen,
    Als ob ein Wald von Rosen hier versank:
Doch sind es nicht des Morgens Purpurgluthen,
    Das Blut der Feldschlacht ist es, das er trank.

Und näher jetzt und dichter kommt's gezogen,
    Ein wirres Knäul, in grausenvoller Hast;
Mit leisem Murren drängen sich die Wogen,
    Als grollten sie der unerwünschten Last.
Sieh, Waffen erst, zerbrochene Standarten,
    Ein Köcher hier, zerspalten und geleert,
Schau dort ein Schild, zerfetzt und voller Scharten,
    Und ohne Zaum und Sattel hier ein Pferd.

Und Leichen nun -! Aus breiter Todeswunde
    Strömt quellend noch das purpurrothe Blut,
Noch spricht der Schmerz aus dem verzerrten Munde
    Und jene Hand, sie ballt sich noch vor Wuth.
Zerrißne Kleider, wirre Locken hängen
    Wie müde Ruder lässig um sie her -
Und dichter stets und unabsehbar drängen
    Die Leichen sich und schwimmen fort in's Meer.

Sie aber steht: - nie hat bei seinem Netze
    Ein armer Fischer diese Gier gefühlt,
Der Taucher nie, der um verlorne Schätze
    Des tiefen Meeres öden Grund zerwühlt.
Laut pocht ihr Herz! all' ihre Sinne lauschen!
    Ihr Auge starrt, weit aufgerissen, weit!
Nichts unterbricht, als nur der Woge Rauschen,
    Die ungeheure, stumme Einsamkeit.

Doch sieh, wer kommt hier dicht herangetragen,
    Als sucht' er selbst ein Grab sich an dem Strand?
Ihm ward das Haupt zerschmettert und zerschlagen,
    Sein bester Freund hätt' ihn nicht mehr gekannt.
Und doch in diesen Orden ist's zu lesen,
    Einst bei der Zaarin lächelt' ihm das Glück,
Es ist ein Feind, ein Russe ist's gewesen -
    Und mit dem Fuße stößt sie ihn zurück! - -

Kein Ende noch! Schon senkt der Tag sich nieder,
    Die Nacht bricht ein: - horch auf, da rauscht's vorbei,
Und schwirrt und schlägt mit flatterndem Gefieder,
    Und kreischt und schrillt mit heiserem Geschrei:
Das ist das Volk der Geier und der Raben,
    Fernher gefolgt dem leckern Festgericht -
"O ew'ger Gott, o schont nur meinen Knaben,
    Nur in sein Antlitz schlagt die Klaue nicht!"

Sie sprang empor: rasch mit erhobnem Stecken
    Schlug sie die Luft mit lautem Jammerton:
Und Rab' und Geier schienen zu erschrecken,
    Umkreisten sie und stutzten und entflohn.
Und wieder nur den Nachtwind hört sie pfeifen,
    Die Sterne schaun großaugig in die Fluth,
Und ihren Blick noch immer läßt sie schweifen,
    Der heller flammt, als aller Sterne Gluth.

Dort plötzlich, dort! Ihr Herz hat nicht gelogen,
    Dorthin, o schau! ihr Auge kennt ihn schon:
Der Nächste dort, das Haupt zurückgebogen,
    Allmächt'ger Himmel, ja, es ist ihr Sohn!
Die sie so oft geküßt, die Locken schmiegen
    Sich wie ein Kissen um den blut'gen Mann,
Rasch rinnt der Strom, und weiche Wellen wiegen
    Zu seiner Mutter schmeichelnd ihn heran.

"Du sollst mir nicht in dieser Fluth verderben,
    In die des Feindes rohe Hand dich warf:
Nicht Alles wird von meinem Sohn mir sterben,
    Bleibt mir ein Grab, an dem ich weinen darf!"
Sie rief's und schwang mit raschgewagtem Schritte
    Sich in der Welle trüben Gischt hinein,
Hoch schäumt die Fluth um ihres Leibes Mitte,
    Und tiefer taucht bis an die Brust sie ein.

Jetzt sein Gewand, jetzt die erstarrten Hände,
    Dicht um den Leib jetzt hat sie ihn gefaßt:
Doch steil und mühsam sind des Ufers Wände,
    Die Strömung stark, und o! so schwer die Last!
Und weiter, weiter, ohne Ruhe drängen
    Zahllose Leichen rauschend hinterdrein,
Und treiben sie und stoßen sie und zwängen
    Sie immer tiefer in die Fluth hinein.

Sie stemmt sich, kämpft - sie will den Sohn nicht lassen,
    Mitten im Strome treibt sie selber schon -
Fest dennoch, fest! - in schmerzlichstem Umfassen,
    Die Mutter sterbend mit dem todten Sohn!
Da bricht ihr Fuß, da senkt ihr Haupt sich nieder,
    Die Locken trinken in der Fluth sich schwer:
Und Brust an Brust, verschränkt die starren Glieder,
    Treibt mit dem Sohn die Mutter in das Meer. - -

Zur selben Zeit, an ihres Buhlen Seite,
    Die Zaarin schlief in goldnem Cabinet;
Da war es ihr, als ob ein Schatten gleite
    Langsam, unhörbar, dicht bis an ihr Bett -
Und dort - o dort - entsetzliche Gesichte!!
    Sie schrie im Traum, fuhr auf, griff nach dem Licht....
Wer starb den schlimmern Tod? - Fragt die Geschichte:
    Die Mutter des Kosaken - starb ihn nicht.


  Robert Eduard Prutz . 1816 - 1872






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