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Rainer Maria Rilke
Die
frühen Gedichte . 2. Auflage 1909
Die weiße Fürstin
Eine Szene am Meer
Szene.
Die Hinterbühne:
Eine fürstliche Villa (gegen Ende des XVI. Jahr-
hunderts). Auf offener Loggia von fünf Bogen ein
einfaches, geschlossenes Pilastergeschoß. Davor eine
von Statuen eingefaßte Terrasse, von der sich eine
Treppe mit breiten Stufen nach dem Garten nieder-
läßt. Im Hintergrunde, hinter der Villa: der Park.
Die Mittelbühne:
Der Garten; Lorbeerbüsche, Maulbeerbäume und in
der Mitte, auf die Treppe zu, eine Platanen-Allee.
Vorn links: eine Steinbank mit Kissen und die Bild-
säule einer vielbrüstigen Göttin.
Die Vorderbühne:
Steiniger Strand (mit Landungssteg) und das Meer,
welches von der Seite des Zuschauers her gegen die
Szene wogt, in gleichmäßig landender Bewegung. -
Die Villa spiegelt den Himmel und die Weite des
Meeres.
Figuren :
Die weiße Fürstin. Ihre Schwester Monna Lara.
Der Haushofmeister Amadeo. Zwei Mönche in
schwarzer Maske. Ein Bote.
DIE WEISSE FÜRSTIN sie lehnt vorn auf der
Steinbank. Sie trägt ein weiches, weißes Gewand.
In ihren Augen ist Warten und Lauschen.
Pause.
AMADEO, DER ALTE in schwarzer Haustracht,
ernst.
Er neigt sich tief.
Der Fürst ist fort.
DIE WEISSE FÜRSTIN senkt leise die Stirne.
Pause.
AMADEO, DER ALTE
Und was gebietet Ihr?
Pause.
DIE WEISSE FÜRSTIN in Gedanken
Es ist zum erstenmal, daß uns der Fürst verläßt,
nicht wahr?
AMADEO,
DER ALTE
Zum erstenmal seit Eurem Hochzeitsfest.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Und das ist lange.
AMADEO,
DER ALTE
Es ist das elfte Jahr seit wir das Tor geschmückt
Euch zum Empfange.
Pause.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Man muß nicht denken, daß das viele sind.
Ich war ein Kind.
AMADEO,
DER ALTE
Ich kann mich noch entsinnen;
der Kranz schien viel zu früh für Euer Haupt -
Er
zögert ängstlich
aber aus Kindern werden Königinnen ...
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ja, wenn man ihnen alle Rosen raubt
und alle Mythen
und mit den reifenden Orangenblüten
die Stirn umlaubt,
bis sie die Schatten glaubt, die kalt
vom frühen Brautkranz auf sie niederrinnen:
dann werden aus den Kindern - Königinnen.
Pause.
Sie
erbebt siech, lebhafter
Der Fürst nahm viele Diener in den Wald?
rasch
Send alle fort, mach mir die Säle leer,
daß keiner mir begegne in den Gängen;
denn mir soll sein, als kam ich heute her
zu singen und die Säulen zu umwinden
mit Fruchtgehängen dichtgefügt und schwer.
AMADEO,
DER ALTE
Befehlt, ich werde einen Vorwand finden
und das Gesinde in die Winde streun;
ich aber darf wohl Euern Tag betreun?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Nein. Geh auch du. Mir ist, du wolltest längst
nach Pietrasanta, deine Enkel sehn.
Heut soll's geschehn.
AMADEO,
DER ALTE
Ihr wißt so gütig meiner zu gedenken ...
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ich bin nicht gut. Ich kann dich nur beschenken,
weil du mit gleicher Freiheit mich beschenkst.
Und weil du so an Monna Lara hängst,
so nimmt sie mit zu deinen klugen Kleinen.
AMADEO,
DER ALTE
Das ist ein Goldenes, das Ihr mir gönnt.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Und dann vergeßt nicht: Seide nehmt und Leinen
aus meinen Schränken mit, so viel Ihr könnt.
AMADEO,
DER ALTE
Ihr macht uns reich.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Könnt ich Euch sorglos machen!
Wer hat denn Zeit - das Leben ist so viel -
an Not zu denken, an die kleinen Sachen,
da doch in uns die großen Dinge wachen.
Man soll nicht weinen und man soll nicht lachen;
hingleiten soll man wie ein sanfter Nachen
und horchen auf des eignen Kieles Spiel.
Pause.
Verzeiht, ich rede aus Gedanken. Seht,
die sind in mir so seltsam aufgeschichtet,
so Jahr um Jahr. Wie einer, welcher dichtet
und einer, der sehr alt ist, das und das
in seinem Innern findet. - Aber, geht
und wenn Ihr wiederkommt, erzählt mir was
woran ein Kind sich freuen kann. Es steht
Euch Freudiges bevor. Vielleicht auch mir.
Wir wollen aneinander denken.
AMADEO, DER ALTE verneigt sich tief. Er
geht durch die Platanen-Allee auf das Haus zu und
quer
über die Terrasse.
Pause.
DIE WEISSE FÜRSTIN tritt ganz an den Rand der
Küste. In ihren Augen ist das Meer. Sie hebt langsam
die Arme und hält sie eine Weile weit ausgebreitet.
Pause.
MONNA LARA kommt von der Terrasse her.
Sie trägt ein hängendes Kleid aus verblichenem Blau.
Leise legt sie den Arm um die Fürstin. Sie schauen
beide
aufs Meer.
Pause.
MONNA
LARA leise
Laß mich bei dir.
Pause.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Du liebst doch Kinder, nicht?
MONNA
LARA
Ich liebe dich.
Kleine
Pause.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Du weißt nicht wer ich bin.
MONNA LARA wendet das Haupt und sieht der
Schwester
ins Gesicht.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Du Kind ...
MONNA
LARA
Ob wir im Traum
nicht manchmal älter sind?
Da sah ich dich. Da warst du wie ein Baum.
Du standest einsam und so jung von Grün
und warst von einem Abend angeglüht.
Und ich ging hin und kam ganz nah
und sah und sagte laut: Du hast noch nicht geblüht.
Und fragte dich: Wann wirst du blühn?
DIE WEISSE FÜRSTIN nimmt ihre beiden Hände
leise
Nun stell dir vor, der Traum ist nicht vorbei.
Sei tief im Traum, du Schlafende. Es sei
dein Traum und meiner. Hast du oft geträumt,
so weißt du auch wie unberechenbar
der Traum uns trägt. Er wendet sich, er bäumt
sich auf und er ist voll Gefahr.
Er rennt und jagt, dann wieder steht er still
und will nicht weiter; und er zittert so
wie Pferde zittern, wenn von irgendwo
genau derselbe Reiter noch einmal
entgegenkommt, genau dasselbe Tier,
derselbe Herr darauf, verzerrt und fahl -.
So, nicht wahr, ohne Absehn träumen wir.
Du weißt, im Traume kann so vielerlei
geschehn. Und es kann so verwandelt sein.
Wie eine Blume lautlos schläfst du ein,
und du erwachst vielleicht in einem Schrei ...
MONNA
LARA
Doch Traum ist Traum. Das kommt und das vergeht.
Und wenn es Morgen ist, so glänzt das Haus
und alle Träume sehen anders aus ...
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Und sind doch ewig in uns eingewebt.
Bedenk, ist irgend Leben mehr erlebt
als deiner Träume Bilder? Und mehr dein?
Du schläfst, allein. Die Tore ist verriegelt.
Nichts kann geschehn. Und doch, von dir gespiegelt,
hängt eine fremde Welt in dich hinein.
Pause.
So lag ich oft. Und draußen war ein Wandern,
da nahte, da entfernte sich ein Schritt;
mir aber war's der Herzschlag eines Andern,
der draußen schlug und den ich drinnen litt.
Ich litt ihn wie ein Tier den Tod erleidet,
ich konnte keinem sagen, was mir war.
Aber am Morgen kämmten sie mein Haar
und immer wieder ward ich angekleidet
für einen Tag -; mir schien es für ein Jahr.
Mir war, als ob das ganze Leben stände
solang ich wachte; alles was geschah
fiel mir vorbei den Träumen in die Hände -
jetzt aber weiß ich: es ist dennoch da.
Die Welt ist groß, doch in uns wird sie tief
wie Meeresgrund. Es hat fast nichts zu sagen
ob einer wachte oder schlief, -
er hat sein ganzes Leben doch getragen,
sein Leid wird dennoch sein und es verlief
sein Glück sich nicht. Tief unter schwerer Ruh
geschieht Notwendiges in halbem Lichte
und endlich kommt, mit strahlendem Gesichte,
sein Schicksal dennoch auf ihn zu.
MONNA
LARA
Ich weiß nicht, Schwester, was du sagst. Ich seh
dich nur. Es tut mir alles weh
von dir. Du bist so schwer.
Und doch will ich mehr von dir wissen.
Ich will eine Nacht auf deinem Kissen
schlafen. Ich will am Morgen dein warmes
Haar kämmen - drei Stunden - solang meines Armes
Kraft ist. Ich will dir dienen.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Du bist mir nie so erwachsen erschienen.
MONNA LARA
Ich will mit dir weinen -
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ich weine nicht. Ich denke an Einen.
MONNA
LARA
Denkst du ihn klar?
Ich möchte so gerne an einen denken,
aber ich kann mich in keinen versenken;
jeder zerfließt mir so sonderbar.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ich fühle ihn klarer Jahr um Jahr.
Er hat dich einmal an der Hand gehalten,
(da warst du klein).
Dir war er Gestalt unter großen Gestalten,
mir war er nicht mein.
Aber in einer Nacht, in der einen,
da ich lange und ungestillt
weinte, da bildete sich sein Bild
aus meinen Händen unter dem Weinen.
Und seither wuchs es in mir heran
wie Knaben wachsen;
und ist ein Mann.
MONNA
LARA
Das kann also sein: daß man tief vergißt,
um tief zu gedenken ...
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Wir sind des Falles
entfernter Dinge dämmernder Schacht -
MONNA
LARA
Und meine Tage? Und Nacht um Nacht?
Und ich soll warten? - Gott, wie ist alles
lange und langsam was Leben ist.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Du liebe kleine Schwester, sei nicht bange;
bedenke, das ist alles unser Traum;
da kann das Kurze lang sein, und das Lange
ist ohne Ende. Und die Zeit ist Raum.
Sie nimmt Monna Laras Haupt in ihre beiden Hände
und küßt ihre Stirne mit langer milder Zärtlichkeit.
Amadeo, der Alte, der seit einer Weile in der Allee
gestanden hat, kommt vorsichtig näher; er verneigt sich.
AMADEO,
DER ALTE
Frau Fürstin -
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Seid Ihr noch nicht fort?
AMADEO,
DER ALTE
Verzeiht.
Zum Aufbruch waren wir bereit,
da kam ein Bote in verstaubtem Kleid
mit einem Brief; jetzt wartet er im Saal.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ich will ihn sehn.
Amadeo, der Alte verneigt sich.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Und Monna Lara wird ein andres Mal
zu Euren blonden Enkeln Euch begleiten.
MONNA
LARA zu Amadeo
Wir wollen einmal früh hinüberreiten
an einem Sommermorgen, Ihr und ich;
mein alter Freund, heut grüß ich sie vom weiten,
ich bin zu traurig und zu feierlich ...
AMADEO,
DER ALTE
verneigt sich tief. Geht in das
Haus.
MONNA LARA nachdenklich
lächelnd
Zu feierlich für Kinder. Und doch Kind.
Nicht wahr? Was sonst. Etwas verwandelt sich,
etwas fällt ab von mir. Doch es beginnt
noch nicht das Nächste. Meine Hände sind
Zugvögel, die zum erstenmal das Meer
hinüberfliegen; da ist keine Stelle.
Und sie versuchen, die und jene Welle
zu merken für den Weg der Wiederkehr -
DIE
WEISSE FÜRSTIN
nimmt ihre beiden Hände und betrachtet sie
Sie scheinen sich allein; doch fliegen Schwärme
desselben Weges zu den heißen Hügeln;
der Himmel liegt auf Millionen Flügeln.
Und alle kommen in die große Warme.
Indessen ist der Bote schnellen Schrittes in der Allee
näher gekommen; da Monna Lara ihn gewahrt, macht
sie sich frei und sieht ihm entgegen. Plötzlich, wie
in Angst
MONNA
LARA
Soll ich hineingehn? Bist du gern allein?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Nein. Wenn du gehst, so gehst du nur zum Schein.
Denn was bedeutet es, geht Baum nach Baum
an dir vorbei. Das, was du bist, das rührt sich kaum.
Du bist nicht fort und ich bin nicht allein.
Der Bote geht auf die Fürstin zu und reicht ihr
einen Brief. Er geht hierauf bis an den Anfang
der Allee zurück.
Die Fürstin öffnet ihn und reicht ihn, ohne zu lesen,
Monna Lara; sie lächelt.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ich weiß die Botschaft. Lange. Aber lies.
MONNA
LARA
sie liest aufmerksam, fast angestrengt
Und wenn du winkest ... Was bedeutet dies?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Daß ich allein bin. Daß ich hier gebiete.
Daß seine Barke landen kann am Strand.
Und daß ich einen, welcher uns verriete,
erwürgen würde: hier, mit dieser Hand.
MONNA
LARA staunend
So soll er kommen, heute, her? Am Parke
hier wird er landen, wirklich, wie ein Gast?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Hast du das nicht gewußt?
MONNA
LARA
Es war mir fast
als ginge heute etwas auf uns zu.
Mit plötzlicher
Bewunderung
Du Liebliche, du Wundersame, Starke.
DIE
WEISSE FÜRSTIN in Gedanken
Er schickt noch einen Brief, das große Kind.
Er muß noch schreiben, dieser liebe Knabe:
,Schau her, ich komme'.. Ist mein Blut denn blind?
Und noch ein Bote. Hundert Boten habe
ich heute schon empfangen. Duft und Wind,
Gesang und Stille, fernes Wagenrollen,
ein Vogelruf, und du, dein Bleibenwollen -
was war nicht Bote? Wieviel Boten stehn
vor meinem Herzen, - gehn mir im Gehöre
und drängen sich in meinen Adern - ach!
Und er besorgt noch, daß ich ihn verlöre.
MONNA
LARA
Ich kann verstehen, daß er tausendfach
sich sichern will. Wenn etwas noch geschähe,
wenn ein Geschick sich wendete und drohte, -
o welche Angst ist diese große Nähe
von Kommendem ...
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Der Bote.
Er wartet noch und wir vergessen ihn.
Sie winkt. Der Bote tritt herzu und verneigt sich.
Ihr sollt Euch stärken, Freund. Die Sonne schien
auf Euren Brief. Der Weg war weit und heiß.
Ihr seid aus Lucca?
DER
BOTE
Wie Ihr sagt.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Ich weiß. Wie steht es in der Stadt?
DER
BOTE
Erlauchte Frau,
Grau ist die Stadt. Wie dieser Staub so grau.
Sie steht, als stünde Frohes nicht bevor.
Sie war ganz ohne Stimme, nur am Tor,
da rauften sich die Wachen, da ich ging
und schrien mich an und fielen nach mir aus.
Ich dankte Gott, daß ich mich nicht verfing
in dieses Hauen. Heil kam ich heraus -
DIE WEISSE FÜRSTIN läßt sieb vorn auf der
Bank nieder während des Folgenden hört sie immer
weniger auf die Worte des Boten und versinkt in
sieb selbst, mit weiten Augen hinausschauend aufs
Meer
Und wandertet, vermut ich, voller Mut
und heil des Weges? War der Weg denn gut?
DER
BOTE
Der Weg war gut, erlauchte Frau. Er bot
zwar wenig Schatten. Aber das war besser
als durch die Dörfer kommen. Wie durch Messer
so ging man durch den Aufschrei ihrer Not.
Da ist der Tod, erlauchte Frau, der Tod.
Ich sah ein Haus, in seiner Türe schrie
ein schwangres Weib und riß sich an den Haaren.
Und viele Frauen, die nicht schwanger waren -
das macht die Angst, so denke ich - schrien wie sie.
Und da und dort ging einer mir vorbei
und griff auf einmal so ins Ungewisse
und biß die Luft, und plötzlich durch die Bisse
des blauen Mundes drängte sich ein Schrei.
Ein Schrei, das sagt man so, wer läßt sich stören?
Ich habe viele Männer schreien hören
und es kam vor, ich habe selbst geschrien;
doch niemals hört' ich einen Schrein wie ihn.
Ja, es gibt Dinge, die man nicht vergißt: -
da war die Angst, die in den Tieren ist,
die Angst von Weibern wenn sie irre kreißen,
die Angst von kleinen Kindern war darin, -
und das ergriff ihn und das warf ihn hin,
und das war so, als müßt' es ihn zerreißen.
MONNA LARA die den Boten starr ansieht, tritt
scheu an die Bank zurück. Sie zwingt sich zu
sagen
War das in San Terenzo, was Ihr saht?
DER
BOTE
Nein, edles Fräulein. In Vezzano war es.
In San Terenzo war es still. Ich trat
in eine Kirche ein und bat
im Lichte eines einzigen Altares
um gute Reise. Ich war ganz allein.
Doch in Sarzana, in der Kathedrale,
da sangen sie. Was sag ich, singen? Nein,
auch das war Schreien: wie mit einemmale
an Siebenhundert und die Orgel schrien.
Sie knieten, Fräulein. Ihre Hälse waren
wie Stengel vom Rhabarber, stimmenstrotzend.
Die Augen waren bei den Männern glotzend,
wie Munde offen, bei den Frauen zu.
Sogar die Kinder hatten keine Ruh:
wie lange Hälse streckten sie die Arme
und hielten sie wie einen zweiten Mund
aus dem Gedränge, aus dem warmen Schwärme;
erbarme! brüllten sie, erbarme! Und:
erbarme! donnerte im Hintergrund
der breite Bischof vor dem Hochaltare
das Tabernakel an, so daß die klare
Monstranz erzitterte und schien, als sende
sie Blicke aus. Sie aber schrien, es war
als zöge Gott sie an dem obern Ende
der langen Stimmen wie an langem Haar.
Und als ich mich zwischen die andern schob,
empfand ich (noch empfind ich's an den Sohlen),
daß sich die ganze Kathedrale hob -
und wieder senkte, wie ein Atemholen. -
Das war ein Wunder. "Wunder tun uns not.
Ihr habt das nicht gesehen, wie der Tod
da kommt und geht, ganz wie im eignen Haus;
und ist nicht unser Tod, ein fremder, aus ...
aus irgendeiner grundverhurten Stadt,
kein Tod von Gott besoldet ...
DIE WEISSE FÜRSTIN sieht plötzlich auf
Tod? Was hat er da gesagt?
MONNA
LARA
Ich bitte dich, befiehl ihm, daß er ginge.
Mir graut vor ihm, er redet solche Dinge -
DER
BOTE
Ein fremder Tod sag ich, den keiner kennt,
er aber ist bekannt mit einem jeden ...
DIE WEISSE FÜRSTIN sieht Monna Laras Angst
Verzeih, ich ließ ihn immer weiter reden,
mir klang's von ferne wie ein Instrument.
Sie gewahrt, daß Monna Lara in ihrer Erregung
den Brief, den sie immer noch hielt, ganz zerrissen
hat. Lächelnd
Und sieh, mein Brief ...
Monna
Lara erschrickt.
DIE WEISSE FÜRSTIN ohne Vorwurf
So leben deine Hände
für sich allein -
zum
Boten
Mein guter Freund, es wohnt
im Meierhofe mancher Mann; der stände
Euch besser zu Gehör, daß es sich lohnt.
Hier sind nur Frauen und sind ungewohnt
so ernsthaften Gespräches. Ihr verschont
uns sicher gern, vor allem dieses Kind.
DER BOTE tritt zurück und
verneigt sich
Verzeiht, erlauchte Frau, ich war wie blind,
daß ich nicht sah, wie es dem Fräulein schadet.
Es riß mich mit, wie schon die Worte sind.
Doch wenn Ihr mich zu einem noch begnadet,
so laßt mich's sagen.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Wenn es mild ist, sprecht.
DER
BOTE
Ihr seid so unbewacht. Das ist nicht recht.
Der Park ist offen wie des Herrgotts Land
und hier am Strande kann ein jeder gehen.
Da denk ich mir, verzeiht, es kann geschehen,
daß diese Hunde kommen; nah von hier
gehn sie schon um. Da sah ich ihrer vier
raubvogelhaft vor einem Haus gespenstern;
sie warten überall und dauern aus,
und winkt man ihnen furchtsam aus den Fenstern,
so kommen sie und holen aus dem Haus
was Totes da ist: Kinder, Männer, Frauen, -
sie nehmen alles, ohne Unterschied.
Man sagt, daß sie auch nach den Kranken schauen;
doch wie sie schauen? Ja, weiß Gott, man sieht
nicht ihr Gesicht. Es geht ein kaltes Grauen
von ihnen aus. Ich könnte keinem trauen.
Das was sie tun mag ja barmherzig sein
und christlich gut: sie sorgen für die Toten
und tragen sie heraus, so ist's geboten,
was aber tragen sie ins Haus hinein?
Und wenn sie draußen stehn im Feuerschein
und wenn von ihren hohen Leichenhaufen
aus Rauch und Schauder sich die Flamme hebt,
dann gehn sie in dem Feuer aus und ein.
Es ist als hätte, wer noch lebt,
die Pflicht, sich von den Brüdern freizukaufen ...
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Das müßt Ihr tun, mein Freund; das Lösegeld
will ich Euch morgen senden. Bleibt zur Nacht
im Meierhofe, dort seid Ihr bewacht
und könnt geruhig schlafen und der Welt
erhalten bleiben. Geht in Gottes Namen.
DER
BOTE
Dank und Vergebung, sehr erlauchte Damen,
für meine lästige Beredsamkeit.
Es tut in dieser wunderlichen Zeit
so gut, zu sprechen von der Dinge Lauf.
Dank, und vergeßt nicht, stellet Wachen auf,
besser ist besser; sie sind wie die Kletten
und hängen sich an einen an und betten
den Scheiterhaufen auf, so daß man denkt,
es bliebe einem selber nicht geschenkt
darauf zu schlafen.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Nun, für diesmal mag
Euch noch ein andres Bette wärmen. So.
Nun, hoff ich, seid Ihr auch getrost und froh,
und schlaft Euch Mut zu einem Heimkehrtag.
DER BOTE verneigt sich tief und geht durch die
Allee
ab.
MONNA LARA die ganz reglos dagestanden hatte,
bricht plötzlich in Weinen aus. Die Fürstin zieht
sie neben sich auf die Bank, und sie legt ihr weinen-
des Haupt in den Arm der Schwester.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Mein liebes Kind, bist du erregt? Du mußt
nicht bange sein; das ist Geschwätz, geschart
um feige Furcht, geringe Redensart -
MONNA
LARA
Ich habe alles dieses nicht gewußt ...
Nun kommt auf einmal alles über mich,
nun bricht es über mich herein, und ich,
ich ahne jetzt erst, daß das Leben droht.
Daß das nicht Leben war das sanfte Sein,
das sich mir bot, -
wer lebt, ist traurig, hilflos und allein
mit sich, mit Sorge, Angst, Gefahr und Tod.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Und wenn er's wäre, meine Freundin, sieh, -
wenn er es ist, wie ich es bin seit Jahren,
glaubst du, die Tage, welche trostlos waren,
dürften mir fehlen in der Melodie
der großen Freude, die ich heute trage?
Sie sagen: Tod, - doch hör, wenn ich es sage:
Tod - ist es dann nicht wie aus anderm Klang?
Nur ausgelöst, vereinzelt macht es bang.
Nimm sie im ganzen - alle, als das Deine
die vielen Worte, nimm sie in Gebrauch: -
nur wo sie alle bis ins Ungemeine
und Große wachsen, wächst das eine auch.
MONNA
LARA
Doch nicht um Worte handelt sich's: sie sterben.
Sie sterben, Viele. Jetzt und jetzt und jetzt.
Sie ringen noch, sie hoffen bis zuletzt;
noch wenn der Tod die Finger angesetzt,
um sie zu würgen, hoffen sie, gehetzt
von ihrer Angst.
Monna Lara siebt ratlos um sieb. Es entsteht eine
Stille; die Fürstin schüttelt leise das Haupt.
MONNA LARA horchend
Und jetzt!
Sie wirft sich der Fürstin zu Füßen, flehend mit
ringenden Händen
O laß uns helfen! Laß uns weiches Linnen
aus deinen Schränken nehmen für die Betten,
und was bereit war für die Wöchnerinnen
an Binden, Hemden, Salben, Amuletten.
Die dichten Tropfen und die leisen Öle,
die Elixiere für das trübe Blut -
o irgend etwas, das in ihrer Höhle
noch niemals war und das ein Wunder tut.
Warum geschieht kein Wunder? Daß ich wüßte
mit welchem Wort ich Dich erreichen kann:
Maria! Warum rührst Du sie nicht an?
Wo ist Dein Mund, der Jesu Wunden küßte?
Ekelt es Dich? Und willst Du nicht geruhn
ein Wunder an den Stinkenden zu tun, -
so tu's an mir: Gib Milch in meine Brüste,
daß ich sie tränke ...
Monna Lara hat sich knieend zurückgeworfen und
hält mit beiden Händen ihre Brüste hin, als wartete
sie, daß sie sich füllen sollten. So bleibt sie eine Weile,
ihre Spannung steigert sich, bricht ab, und sie fällt
vornüber der Fürstin in den Schoß.
DIE WEISSE FÜRSTIN sie streicht der Knieenden
sanft, beruhigend über das Haar und spricht, über
sie geneigt, leise,
eindringlich
Wir wollen das Unsrige zu dem Ihren tun. Wir
wollen die Falten in ihren weichen Lagern glätten,
so daß sie es hätten wie die Kinder der Reichen.
Wir wollen ihnen zureden wie Tieren, daß sie sich
nicht scheuen, und selbst alle Scheu verlieren ihret-
wegen. Ich will mich zu denen legen, die frieren.
Ich will die Stirnen der Sterbenden halten. Ich
will die Alten reinigen, und ihnen die Bärte über
die Decken breiten. Heiter will ich zu den Kindern
hinüberschauen und die Frauen erleichtern, und
ihre blauen Nägel und ihr Eiter soll mich nicht
schrecken. Und ich will für die Toten sorgen -
Pause.
Monna Lara hebt das Haupt. Sie ist ganz ruhig
fast
nüchtern.
DIE WEISSE FÜRSTIN über sie fortschauend,
zögernd
Von morgen an wird das mein Tagwerk sein -
und meiner langen Nächte Werk.
MONNA
LARA
Von morgen?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Von morgen, Schwester. Heute bin ich sein,
des Kommenden.
Wie seiner Väter Erbschaft
ihm zugefallen, reich für ihn allein.
Selbst mein Gemahl hat mich für ihn bewahrt;
mit seiner Wildheit übergroßem Jähzorn,
dem keiner wehren könnte wenn er tobt,
hielt er in Bann der Andern Wort und Art:
der Edelleute, Dichter und des Herzogs.
Pause.
So blieb ich Braut. Dem Weitesten verlobt.
Monna Lara hat sich während der letzten Worte
erhoben; sie steht steif und hilflos, fast puppenhaft
vor der Fürstin und spricht mit seltsam tonloser
Stimme.
MONNA
LARA
Und dein Gemahl, der Fürst, lag nie bei dir?
Pause.
Die Fürstin aufs Meer
hinausblickend.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Er lag bei mir.
Sie erhebt sich; Monna Lara tritt scheu vor ihr
zurück.
Wenn abends die Musik
ihn sänftigte, so daß er nichts verlangte,
so bot ich ihm mein Bett. Sein Auge dankte
mir lange. Seine harte Lippe schwieg.
So schlief er ein. Und mir war gar nicht bange.
Nachts saß ich manchmal auf und sah ihn an,
die scharfe Falte zwischen seinen Brauen,
und sah: jetzt träumte er von den ändern Frauen
(vielleicht von jener blonden Loredan,
die ihn so liebte) - träumte nicht von mir.
Da war ich frei. Da sah ich stundenlang
fort über ihn durch hohe Fensterbogen:
das Meer, wie Himmel, weit und ohne Wogen,
und etwas Klares, welches langsam sank;
was keiner sieht und sagt: Monduntergang.
Dann kam ein frühes Fischerboot gezogen
im Raum und lautlos wie der Mond. Das Ziehn
von diesen beiden schien mir so verwandt.
Mit einem senkte sich der Himmel näher
und durch das andre ward die Weite weit.
Und ich war wach und frei und ohne Späher
und eingeweiht in diese Einsamkeit.
Mir war als ginge dieses von mir aus,
was sich so traumhaft durch den Raum bewegte.
Ich streckte mich, und wenn mein Leib sich regte,
entstand ein Duft und duftete hinaus.
Und wie sich Blumen geben an dem Raum,
daß jeder Lufthauch mit Geruch beladen
von ihnen fortgeht, - gab ich mich in Gnaden
meinem Geliebten in den Traum.
Mit diesen Stunden hielt ich ihn.
Pause.
Es gab
auch andre Stunden, da ich ihn verlor.
Wenn ich drin wachte und er stand davor,
vielleicht bereit, die Türe einzudrücken, -
dann war ich Grab: Stein unter meinem Rücken
und selber hart wie eine Steinfigur.
Wenn meine Züge einen Ausdruck hatten,
so war das nur der Ampel Schein und Schatten
auf einer inhaltlosen Meißelspur.
So lag ich, Bild von einer welche war,
auf meines Lagers breitem Sarkophage,
und die Sekunden gingen: Jahr und Jahr.
Und unter mir und in derselben Lage
lag meine Leiche welk in ihrem Haar.
Pause.
Monna Lara tritt zur Fürstin und umfaßt sie leise.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Sieh, so ist Tod im Leben. Beides läuft
so durcheinander, wie in einem Teppich
die Fäden laufen; und daraus entsteht
für einen, der vorübergeht, ein Bild.
Wenn jemand stirbt, das nicht allein ist Tod.
Tod ist, wenn einer lebt und es nicht weiß.
Tod ist, wenn einer gar nicht sterben kann.
Vieles ist Tod; man kann es nicht begraben.
In uns ist täglich Sterben und Geburt,
und wir sind rücksichtslos wie die Natur,
die über beidem dauert, trauerlos
und ohne Anteil. Leid und Freude sind
nur Farben für den Fremden, der uns schaut.
Darum bedeutet es für uns so viel
den Schauenden zu finden, ihn, der sieht,
der uns zusammenfaßt in seinem Schauen
und einfach sagt: ich sehe das und das,
wo andere nur raten oder lügen.
MONNA
LARA
Ja, ja, das ist's. Ein solcher muß es sein,
sonst wird das namenlose Bild zu schwer.
Kleine
Pause.
Dir kommt er heut ...
Kleine
Pause.
Wie aber konntest du's
so lange tragen? Ich vermag's kaum mehr.
Wenn ich mir denke, daß ich noch ein Jahr
herumgehn soll mit unerklärtem Blut,
unausgeruht, - von meinem eignen Haar
hochmütig übersehen wie ein Kind,
allein und blind inmitten meiner Brände,
sogar den Hunden neu und wie versagt,
mir selbst so fremd, daß mich die eignen Hände
anrühren wie die Hände einer Magd ...:
wenn ich ein Jahr noch also leben soll,
so werf ich mich nach diesem einen Jahre
einem Bedienten in den Weg wie toll
und fleh ihn an, daß er mir das erspare.
Wie trugst du das?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Mein Blut war übervoll.
Oft rief es laut, daß ich davon erwachte,
mich weinend fand und in die Stille lachte
und in mein Kissen biß, bis es zerriß.
In einer solchen Nacht - ich weiß noch - schmolz
von seines Kreuzes Ebenholz
mein Christus los;
so groß war meine Glut: ...
die Arme offen lag er über mir.
MONNA
LARA
Und dennoch war so tiefe Kraft in dir.
DIE
WEISSE FÜRSTIN
Das war nicht Kraft. Geiz war es, Habsucht war es
womit ich alle Gluten jedes Jahres
aufsparte für den späten Hochzeitstag.
Nun ist er da. Mit tausendfachem Schlag
schlägt mir das Herz. Der Wurzeln letzte Süße
ist in mich eingegangen; ich bin reif.
Mein Haupt ist schön, und unter meine leichten Füße
schiebt sich die Erde wie ein Wolkenstreif.
Und morgen darf ich altern.
MONNA
LARA
Du bist jung -
DIE WEISSE FÜRSTIN
zärtlich lächelnd
Jugend ist nur Erinnerung
an einen, der noch nicht kam.
Sie faßt die Schwester mit beiden Händen an den
Schultern.
Auch du wirst sparen für den Bräutigam.
Denn deine Ungeduld ist Übergang.
Lang ist das Leben.
Pause.
MONNA LARA bewundernd
Glanz geht von dir aus
und eine Stärke wie von Königinnen.
DIE WEISSE FÜRSTIN sieht aufgerichtet zurück
nach dem Palast
Die Sonne sinkt und spiegelt sich im Haus.
Nun will ich warten, und dann will ich winken.
MONNA
LARA
Winktest du nicht?
DIE
WEISSE FÜRSTIN
So hieße das: uns droht
Gefahr.
MONNA LARA mit geschlossenen Augen, traum-
haft
schmerzlich
Er führe wie das frühe Fischerboot
vorüber von dem rechten Rand zum linken.
Sie reißt wie in Angst
die Augen auf
Aber du winkst?!
DIE WEISSE FÜRSTIN
glücklich
Wenn dort das Meer verloht,
so wink ich aufrecht in das Abendrot.
Das Haus ist leer -
MONNA LARA
Still! Waren das nicht Schritte?
DIE WEISSE FÜRSTIN horcht einen Augenblick
Nein; komm zur Terrasse. Man sieht von der Mitte
so weit ins Meer.
Sie geben, sich umfaßt haltend, langsam durch die
Platanen-Allee. Das Meer atmet langsamer und
schwerer. Als die Fürstin einmal stehen bleibt und
zurücksieht, sagt
MONNA LARA wie einen Kindervers
Nun kannst du nicht gehen und Linnen verschenken
und Öl und Salbe und Spezerei,
mußt an dein eigenes Bette denken,
daß es bereitet und selig sei.
DIE WEISSE FÜRSTIN nickt ernsthaft im Weiter-
gehen. - Ein Stück weiter faßt Monna Lara die
Fürstin an der Hand. Sie bleiben beide stehen, die
Fürstin sieht wieder nach
dem Meer.
MONNA
LARA
Glaubst du, kann ich dir dein Lager rüsten
und das Becken in das du dein Antlitz tauchst?
Mir ist als ob meine Hände wüßten
Alles was du heute brauchst.
Die Fürstin nickt und sie gehen wieder ein Stück
Weiter; so kommen sie auf die Stufen der. Terrasse
und bleiben wieder stehen.
MONNA LARA kniet plötzlich
nieder
Ich will dich betten. Ich will dir dienen.
Alles Meine ist zu dir treu -
Die weiße Fürstin hebt sie leise empor, faßt ihr
Gesicht mit beiden Händen und sieht hinein.
DIE WEISSE FÜRSTIN
Deine Augen sind tief und neu.
Ich sehe mein ganzes Glück in ihnen.
Sie küßt sie auf den Mund. Monna Lara macht
sich schnell los und eilt ins Haus hinein.
Die Fürstin schreitet jetzt die letzten Stufen empor,
wendet sich und sieht in großem Erwarten auf das
Meer hinaus. - Nach einer Weile erscheint Monna
Lara, einen silbernen Spiegel tragend, den sie, in-
dem sie niederkniet, der Fürstin vorhält. Langsam
ordnet die Fürstin ihr schweres Haar.
MONNA LARA unter dem Spiegel,
leise
Jetzt ist er in mir wiedergekommen.
Er hat mich einmal an der Hand genommen.
Jetzt fühl ich es wieder in meiner Hand.
Sieh, so hab ich ihn doch gekannt ...
Die Fürstin lächelt in den Spiegel hinein, zerstreut
hinhörend. Gleich darauf richtet sie sich, ausblickend,
auf.
MONNA
LARA
Jetzt geht die Sonne ins Meer.
Sie eilt ins Haus zurück.
Pause.
Die weiße Fürstin steht jetzt allein, aufrecht und in
gespanntem Schauen, auf der Terrasse. Die Villa
hinter ihr wird immer strahlender (als leuchtete ein
großes Fest darin) vom Widerschein der sinkenden
Sonne. Da erkennt die Fürstin, nach rechts blickend,
etwas Fernes. Sie langt einmal flüchtig nach der
Gürteltasche, wie um zum Winken bereit zu sein.
Dann wartet sie. Endlich hört man Ruderschläge,
die näher kommen. Während die Fürstin der
Bewegung draußen mit ihrem ganzen Wesen folgt, ist
den Strand entlang von rechts (vom Zuschauer aus
gemeint) ein Frater der Misericordia, die schwarze
Maske vor dem Gesicht, aufgetreten und bis an den
Anfang der Allee gegangen. Ihm folgt ein zweiter.
Sie sehen beide nach dem Haus und flüstern miteinander.
Jetzt, da die Fürstin mit einer schnellen
Gebärde nach ihrem Tuche greift, rühren sich beide
und der erste Mönch macht einige rasche Schritte vorwärts.
Dann zögert er, wendet sich nach seinem
Gefährten zurück, steht still. Die weiße Fürstin hat
ihn bemerkt. Von diesem Augenblick an sieht sie
nur ihn; ihre Gestalt erstarrt in Schrecken, sie verliert
das Meer aus den Augen, aus dem Bewußtsein,
während jetzt ganz laut die Ruderschläge von dort,
langsam, zögernd, vernehmbar sind. Die Fürstin
macht eine große Anstrengung, den entsetzlichen Bann
zu brechen und dennoch zu winken. Eine Weile
dauert dieser Kampf. Bei einer ihrer schweren, mühsamen
Bewegungen macht der zweite Bruder ein paar
Schritte, so daß er jetzt fast neben dem ersten in der
Allee steht. - Die Fürstin rührt sich nicht mehr.
Die Fronte der Villa beginnt zu verlöschen. Das
Boot muß vorbeigefahren sein; leiser, ferner und
ferner verliert sich der Ruderschlag in dem schweren
Branden des fast nächtlichen Meeres.
Da, als man ihn eben noch unterscheiden kann, wird
oben im Haus der Vorhang von einem der hohen
Bogenfenster fortgerissen und etwas Helles, Schlankes
erscheint, fast wie die Figur eines Kindes, und winkt.
Winkt erst rufend; hält einen Augenblick ein und
winkt dann anders: schwer und langsam, in zögernden
Zügen, wie man zum Abschied winkt.
Vorhang.
Rainer
Maria Rilke . 1875 - 1926
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